Verschiedene: Die Gartenlaube (1875) | |
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„Es wird Dir gelingen, mein Kind,“ sagte der Onkel aufstehend und küßte sie herzlich auf die Stirn. „Wer die Wahrheit so muthig anhört und ihr ohne Zaudern die Ehre giebt, der kann Großes vollbringen. Das Ziel hoch gesteckt, Emmy, und die Augen unverwandt darauf gerichtet, den festen Willen im Herzen, dann kann’s nicht fehlen.“
Sie schritten langsam wieder den Berg hinab, es war still in Haus und Hof, der Herr hatte mit der Frau Medicinalrath eine kleine Spazierfahrt nach den neuen Anlagen gemacht. Das war Emmy gerade recht, sie ging zu ihrem Kindchen und saß noch lange mit ihm in der großen Laube, wo man weit über die Felder hinsieht. Ihre Augen verfolgten die schmale graue Figur des Onkels, der längs dem Waldrande seinen Abendspaziergang machte.
Zwei Stunden später saß die kleine Familie auf der Veranda wieder um den Theetisch vereinigt. Rosen und Jasmin dufteten durch die laue Nacht, dann und wann zog ein großer Falter seine Kreise um die Kugellampe, deren Schein sich über die blanken Geschirre und die im Kreise darum befindlichen Menschengesichter ergoß. Sie sahen Alle freundlicher aus heute Abend.
„Wir haben eine schöne Fahrt gemacht, fing die Mama an. „Robert hat mir gezeigt, was er Alles in den letzten Wochen angelegt hat, ich muß sagen, er hat alle Ehre davon. Ach ja,“ sagte sie, sich zurücklegend und nach dem mondbeschienenen Garten hinausblickend, „es ist wunderschön hier bei Euch.“
„Nun, liebe Mama,“ sagte Emmy etwas erröthend und mit unsicherer Stimme, „wenn es Dir hier wirklich gut gefällt, so machst Du uns auch gewiß die Freude, den ganzen Sommer da zu bleiben. Daß es Robert’s höchster Wunsch ist, weißt Du, und was in meinen Kräften steht, es Dir hier behaglich zu machen, soll gewiß geschehen. Wenn ich in der letzten Woche manchmal etwas heftig war –“
Aber die alte Frau ließ sie nicht weiter kommen. „Nein, nein, liebstes Emmychen, Du brauchst Dich nicht anzuklagen,“ rief sie und gab ihr einen herzlichen Kuß. „Wir alten Leute sind auch wunderlich, aber wenn man nur den guten Willen hat, muß es doch gehen! Du hast Recht, Robert,“ sagte sie dann zu diesem gewandt, „sie hat ein gutes Herz!“
Aber dieser hörte sie kaum, seine strahlenden Augen hingen an dem erröthenden lieblichen Gesichte ihm gegenüber, und mit dem innigsten Glücksgefühle empfand er es, daß sein junges Weib eine schwere Ueberwindung nur seinetwillen geübt hatte. Und als Emmy diesem Blicke voll Liebe und Stolz begegnete, fühlte sie eine so süße Befriedigung im Herzen, daß es gar keine weitere Ueberlegung brauchte, um den eben betretenen Weg für den richtigen zu erkennen. Sie schlug die Augen nach dem Onkel auf, dieser aber beobachtete gerade mit großem Interesse einen dicken Nachtfalter, der sich auf dem nächsten Jasminzweige wiegte. – – –
Jahre sind seitdem vergangen, Emmy steht als glückliche, geliebte Frau im Kreise ihrer heranwachsenden Kinder, und aus dem gezwungen freundlichen Verhältnisse zur Schwiegermutter ist mit der Zeit ein aufrichtig herzliches geworden. Das Bewußtsein, so vieler Menschen Glück zu begründen, verleiht Emmy eine immer neue Freudigkeit des Handelns, während die alte Frau dankbar die sanfte Hand segnet, deren Walten ihren Lebensabend so schön erheitert.
Und Derlei wäre anderwärts wohl auch möglich!
Ein Grabdenkmal in West-Afrika. (Mit Abbildung Seite 677.) Die Entdeckung des gewaltigen Nigerstromes im nordwestlichen Afrika, die Erforschung seines mehr als viertausend Kilometer langen Laufes durch Mungo Park und die Gebrüder Lander hatte trotz des unglücklichen Ausgangs der ersten Expeditionen wiederholt den Gedanken hervorgerufen, diesen Fluß als Verkehrsstraße zu benutzen, um Centralafrika, die südlichen Theile des Sudan dem Handel zugänglich zu machen. Um so mehr richtete sich das Augenmerk auf eine solche Verbindung mit jenen Gegenden, als der Versuch, von der Küste des Mittelmeeres aus durch die Wüste einen Handelsweg in das Herz Afrikas zu bahnen, auf die größten Schwierigkeiten gestoßen war, da nicht allein die Wüste mit ihren Schrecken, sondern auch die räuberische Bevölkerung dieser Districte derartigen Unternehmungen unüberwindliche Hindernisse entgegenstellen. Mit ungleich geringeren Gefahren und Hemmnissen verknüpft schien die Wasserverbindung, wie auch die rohen, heidnischen Negerstämme das Zustandekommen eines friedlichen Verkehrs viel eher hoffen ließen, als im Norden die fanatischen Anhänger des Islams. Zudem hatte ein neues Handelsproduct, welches täglich eine größere Wichtigkeit erlangte, das Palmöl, schon längst die Schiffe der Kaufleute in die Nigertiefländer gezogen. Um den so vielfach erwogenen Plan zur Ausführung zu bringen und einen regelmäßigen Handelsverkehr mit dem Inneren Afrikas herzustellen, rüstete England im Jahre 1841 drei Dampfer, „Sudan“, „Albert“ und „Wilberforce“, nebst einem Transportschiffe aus. Unter den Gelehrten, welche an dieser Expedition teilnahmen, war der deutsche Botaniker Dr. Theodor Vogel, dessen Name, obwohl weniger in die Oeffentlichkeit gedrungen, als der des gleichnamigen Reisenden, Eduard Vogel, welcher dem grausamen Herrscher von Wadai zum Opfer fiel, doch gleich diesem als leuchtendes Denkmal deutschen Opfermuthes, des feurigen Strebens und der Ausdauer deutscher Forscher in Afrika in der Geschichte der Entdeckungen verzeichnet steht.
Theodor Vogel war zu Berlin am 30. Juli 1812 geboren und hatte hier auch seine Gymnasial- und Universitätsbildung erhalten. Seit 1838 in Bonn am botanischen Garten und als Privatdocent angestellt, erhielt er die ehrenvolle Aufforderung, an der Nigerfahrt theilzunehmen, der er mit Begeisterung Folge leistete. Die Expedition, welche im Juni 1841 England verließ, erreichte im August desselben Jahres den Guineabusen und fuhr durch den Nunfluß, eine der zahlreichen Mündungen des Niger, diesen Strom hinauf. In der Mitte des September hatte man den Einfluß des Tschadda in den Niger erreicht, wo das eigentliche Feld der Thätigkeit für die Expedition begann. Da stellten sich die schon lange gefürchteten tropischen Fieber ein, welche sämmtliche Europäer befielen, einen großen Theil von Officieren und Mannschaften hinwegrafften, die übrigen zu weiterer Thätigkeit unfähig machten und dem Unternehmen ein frühes Ziel steckten. Man war gezwungen, umzukehren. Um den verderblichen Einflüssen des Küstenklimas zu entgehen, fuhr die Flotte nach der Insel Ascension, die, inmitten des atlantischen Oceans gelegen, durch ihre reine Seeluft den Kranken Besserung versprach. Vogel, der selbst am Fieber schwer darnieder lag, konnte sich dennoch nicht entschließen, auf jenem öden Eilande, welches ihm für seine botanischen Forschungen nicht die geringste Aussicht eröffnete, sich einer Wochen, vielleicht Monate langen Unthätigkeit hinzugeben, und beschloß, auf der vegetationsreichen Insel Fernando-Po seine Genesung abzuwarten.
Vor den Mündungen des Camerun und Calabar liegt in der Guineabucht, sechsunddreißig bis vierzig Kilometer von der Küste entfernt, das prächtige, felsige Eiland Fernando-Po, die schönste der afrikanischen Inseln. Schroff ansteigend erheben sich die Ufer aus der See zu einem majestätischen, kegelförmigen Pik, dessen viertausend Meter hoher Gipfel einen alten Krater trägt. Die ganze Insel ist in ein gleichmäßiges dunkles Grün gekleidet, mit dichter, größtentheils aus Oelpalmen bestehender Urwaldung bedeckt, welche in der üppigsten Fülle tropischen Pflanzenwuchses prangt. Obgleich schon im Jahre 1471 von einem portugiesischen Seefahrer entdeckt, dessen Namen sie führt, und seit 1778 im Besitze der spanischen Regierung, ist die Insel doch noch sehr unvollständig durchforscht. Erst im Jahre 1843 wurde ihr Pik durch den spanischen Gouverneur Beecroft zum ersten Male erstiegen und dessen Höhe gemessen. Seitdem ist sie häufig von Zoologen und Botanikern besucht, aber sicherlich harrt noch manche diesem interessanten Eilande eigenthümliche Thier- und Pflanzenform ihres Entdeckers.
Die einzige europäische Niederlassung ist der Ort Sanct Isabel, an der Bai gleichen Namens gelegen, zugleich landschaftlich der schönste Punkt der Insel. Die tiefe Bucht, offenbar der Schlund eines in das Meer gesunkenen Kraters, wird im Halbkreise von den schroff abfallenden Felsenufern, den alten Kraterwänden, umgeben, die sich dann zu einem weiten, herrlichen Amphitheater erheben. Hoch auf dem Ufer, hart am Gestade, liegen die Häuser der Europäer, die Gouvernements- und Missionsgebäude. Verfolgt man die Straße, welche von hier aus längs dem Ufer an ein Flüßchen verläuft, so gelangt man zu dem Friedhofe der Colonie. Hier ruhen manche der heldenmüthigen Erforscher Afrikas, Lander, Capitain Allen und auch unser Landsmann Vogel. Derselbe hatte sich zusammen mit dem Geologen der Nigerexpedition, Roscher, ebenfalls einem Deutschen, nach Abfahrt der Schiffe nach Ascension in Sanct Isabel eingerichtet, um vom Fieber zu genesen und auf dem vielversprechenden Eilande seine botanischen Forschungen fortzusetzen. Doch sein kräftiger Körper war schon zu stark erschüttert. Am 17. December 1841 erlag er der schleichenden Krankheit.
An dem äußersten Ende der Isabel-Bai, wo das Ufer in einer schmalen Spitze in das Meer vorspringt, ist jetzt ein Sandsteinmonument zum Andenken an die Expedition errichtet, geschmückt mit den Namen der auf der Fahrt gestorbenen Officiere und dem des Dr. Vogel. Diese Stelle hat der Künstler auf dem Holzschnitte skizzirt. Rechts sieht man die Bai, umgeben von den schroffen Uferwänden, die hinter den hart am Rande gelegenen Gebäuden zu dem mächtigen Pik ansteigen. Im Vordergrunde steht, von Cocospalmen beschattet, das Denkmal, ein Erinnerungszeichen an viele ruhmvolle Forscher, welche in der Blüthe der Jahre auf dem Gipfelpunkte freundlichen Schaffens durch das feindliche Klima hinweggerafft wurden und Ruhe fanden in der fremden Erde.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_679.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)