Verschiedene: Die Gartenlaube (1875) | |
|
An den hochgethürmten Caligulabauten und der aus gewaltigen Tuffblöcken aufgeführten Ringmauer der Roma quadrata vorbei, kam ich zur langen Reihe jener Gemächer, welche man wohl mit Recht als die Wohnungen des palatinischen Gesindes und der diensthabenden Soldaten bezeichnet, deren Namen noch heute in den guterhaltenen Wänden eingekratzt zu lesen sind, und weiter zu den malerischen weitgedehnten Ruinen der Paläste des Commodus und des Septimius Severus. Geschosse um Geschosse sind hier vier-, fünffach aneinander getürmt, gewaltige Mauern, wie für die Ewigkeit gebaut, ragen schwarz in die Höhe, die Wände der Parterregemächer sind zum Theil noch bemalt, die Gewölbe zeigen kunstvolle Cassetirungen, aber oben auf den Mauern, auf den Decken der Gewölbe, die dem Sturme der Zeit widerstanden haben und noch nicht zusammengebrochen sind, wuchert munter junges Grün, blühen Büsche, haben sogar Bäume ihre Wurzeln geschlagen – unten, halbbedeckt vom Schutte oder von jungen Zweigen umrankt, liegen gestürzte Capitäle, zerbrochene Friese und Gesimse, liegen gewaltige Säulentrümmer umher, und das mußte ein Tag voll schwerem unglückseligen Verhängnisses gewesen sein, da diese leuchtenden Marmorriesen, die einst den prachtstrahlenden, mit den schönsten Schöpfungen der griechischen Kunst angefüllten Palast getragen und zwischen welchen Cäsaren, Senatoren Könige prunkvoll dahin gewandelt waren, in Feuer und Brand donnernd zusammenbrachen, von schwarzen Rauchwolken umhüllt und die ganze Herrlichkeit des alten Römerreiches im Sturze mit sich begrabend.
Auf langgestreckten Treppen, deren Stufen noch die Reste früherer Marmorbekleidung zeigen, gelangt man in die Höhe zu neuen Ruinen, zu neuen Trümmern. Während man auf dem breitgewölbten Dache eines Palastflügels hinzuschreiten glaubt, zeigen große Mosaiküberreste auf dem Boden, deren Zeichnung noch fast unversehrt ist, daß wir uns nur in einem neuen Geschosse befinden; aber die Wände sind gebrochen, zerfallen, verschwunden und nur ein Mauerrest in der Ecke scheint übrig geblieben zu sein, um noch nach fast zweitausend Jahren von der stolzen Höhe des ungeheuren Saales, auf dessen Boden wir wie auf einer Plattform wandeln, Zeugniß zu geben.
Die Aussicht, die sich von hier einst den Augen der römischen Imperatoren bot, muß entzückend gewesen sein: drüben zur Rechten die weitgedehnten, gigantischen Marmorbauten der Caracallathermen, dieser „prachtvollsten Luxusbäder der Welt“, mit ihren kühngewölbten verschwenderisch ausgestatteten schimmernden Sälen, mit ihren dunkelgrünen Hainen, mit ihren stolzen Portiken, mit ihren zahllosen Bild- und Kunstwerken jeder Art; dort zur Linken das Colosseum, eines der großartigsten von Menschenhand gebildeten Werke und noch heute aus den Häusern, aus der Landschaft ringsum in unvergleichlicher Hoheit zum Himmel ragend. Zwischen beiden hin der herrliche Blick über die römische Campagna mit ihren Aquäducten, mit ihren Gräberstraßen, heute eine melancholische, ruinenerfüllte Einöde, zur Zeit der Cäsaren bedeckt von immergrünen Hainen und Gärten, von leuchtenden Villen und Palästen, deren marmorne Giebel und goldene Kuppeln das Bild einer zweiten Stadt boten, das sich nicht minder schön und groß, als das unermeßliche Rom selbst, dem bewundernden Blicke endlich im violetten Duft des Albanergebirges verlor.
Drüben zur Linken lag der eigentliche Mittelpunkt des weltherrschenden Rom, lag das Forum mit seinem einzigen Prachtwald von Tempeln, Triumphbogen, Säulen, Statuen, ragte das Capitol, dessen goldstarrende Zinnen allerdings hier, zugedeckt von den gewaltigen Palastbauten des Caligula, nicht sichtbar gewesen sein mögen. Von der Höhe zur Rechten aber, vom Aventin schimmerten die Tempel und Heiligthümer des alten Plebejer-Quartiers herüber. Dazwischen in der Tiefe dehnte sich der Circus Maximus mit seinen 250,000 Sitzplätzen, mit seinen staubaufwirbelnden Wagenrennen, mit seinen blutigen Faustkämpfen, mit seinen Läufer- und Ringspielen. Dort boten die Cäsaren, die Gunst der Masse zu gewinnen, ihrem nach immer neuen Genüssen, nach immer neuen Aufregungen lechzenden Volke ein glänzendes Schauspiel um das andere, und das Beifallsgebrülle der bis zur Tollheit erregten Menge hallte donnergleich bis herauf zu den Marmorpalästen der Kaiser.
Jetzt ist keine Stätte Roms öder, einsamer und stiller, als diese. Verweht ist der Staub der Cäsaren, die, vom Taumel der absoluten Macht trunken und schon von Haus aus mit krankhafter Geistesanlage behaftet, hier in Wahnsinn und Raserei gehaust, hier über ein inmitten des ungeheuerlichsten Luxus und der ungeheuerlichsten Laster selbst immer am Rande des Wahnsinns hintaumelndes Volk geherrscht haben, das, nachdem es in der Politik, der Kunst, der Poesie, der Philosophie eben sein Höchstes erreicht hatte, nun rasch seinem Niedergange zustrebte. In Ruinen liegen die kaiserlichen Paläste, das Forum ist zerstört, die Campagna ist verödet. Da und dort auf dem Palatin und in seiner Nähe liegt ein Klosterhof, den die Mönche hier auf der Stätte früherer Kaiserherrlichkeit erbaut haben, in seinem Hofe schaukelt eine vereinzelte Palme ihren Wipfel, und nur die ewige Sonne strahlt noch immer so voll, so göttlich wie früher auf diese Welt von Trümmern und Ruinen.
Was ist Menschenschicksal? Was ist Völkerschicksal?
Wüstenbild. (Mit Abbildung S. 657). Wie tobte und lärmte es in den Straßen von Biskarah, der algerischen Stadt, an welcher vorüber die große Straße von Constantine nach der Sahara führt! Welch reges Leben herrschte an den zahlreichen Kaffeehäusern der Hauptstraße von diesem „Paris der Wüste“, wie es Baron Maltzahn nannte! Wie wild klangen die dumpfen Töne der Negertrommeln und die schrillen Töne der aus Geierknochen geschnittenen Pfeifen der Araber durcheinander! Auf den Straßen gingen unter allen Stämmen der Sahara und der Gebirge auch die verschleierten Söhne vom Stamme der Twaregg, weit aus dem Süden der glühenden Wüste. Wie gesagt, alle Stämme waren hier vertreten und Alle hatte ein gleicher Zweck hierher geführt, Alle wollten genießen!
Auf den Straßen vor ihren Häusern und hauptsächlich an den zahlreichen Kaffeehäusern traf man überall auf die reichgeschmückten unverschleierten Töchter der Freude, die Naïlijah, sogenannt von ihrem Stamme, den Ulad-Naïl, dem sie fast ohne Ausnahme angehören. Sie sind die unübertrefflichen, sinnberauschenden Tänzerinnen in diesem modernen Babel der Wüste.
Wochenlang lebte ich bereits in Biskarah, täglich und täglich hatte ich das tolle Leben mitgemacht, mitdurchkostet, oft aber auch mich still in einen Winkel irgend eines Kaffeehauses zurückgezogen, um meine Skizzen und Studien zu vermehren. Kaum dürfte es wohl einen zweiten Ort in der Welt geben, der solches Interesse für den Künstler böte.
Wirr und wüst war schließlich mein Kopf. In dem ganzen Orte kein Plätzchen, wohin nicht gegen Abend und die halbe Nacht hindurch das Gelärme und Getöse gedrungen wäre. Ich sehnte mich nach Ruhe. – So ließ ich mir denn oft gegen Abend mein Pferd satteln und ritt dann hinaus, hinaus in die große, schöne, heilige Wüste. Langsam im Schritt vorwärts reitend, ließ ich dann Ton um Ton zurück in Biskarah, bis nur noch, als ich schon weit, weit draußen war, die Schläge der wilden Trommel schwach zu mir herübertönten. Und auch diese verwehte bald der leise Zugwind; nur noch ganz vereinzelt, in langen Pausen ließ sich manchmal ein loser dumpfer Schlag hören und dann auch dies nicht mehr.
Es war ringsum Ruhe, ewige große Grabesruhe. Kein Vöglein ließ seine Stimme hören, Nichts! Meines Pferdes Schritte waren unhörbar auf dem weichen Sandboden und nur zuweilen, wenn es den schöngeformten Kopf mit den großen blauen Augen emporwarf, klangen die Ketten des Gebisses fast unheimlich in der tiefen Stille. Dann gab ich wohl auch meinem guten Thiere die Schenkel und sagte vorwärts! vorwärts! hinein in das unendliche Nichts, stundenlang. Ach! es war ein so wohliges Gefühl, von dem Abendwinde in dieser Jahreszeit umspielt zu sein, und auch mein Renner mochte dieses fühlen, denn ohne Aufmunterung jagte er fort und fort, immer wilder, immer schneller, bis manchmal schon tiefe Dunkelheit auf die stille Wüste herabgesunken war. Dann zügelte ich mein gutes Thier und stieg ab, legte mich auf den weichen schmeichelnden Sandboden und träumte oft noch stundenlang von Deutschland und Deutschlands neuerstandener Herrlichkeit. Mit gesenktem Kopfe wartete dann mein Pferd, Siroko hatten wir es genannt, bis sein Herr ausgeträumt, und oft mußte ich dann Feuerzeug und Compaß zur Hand nehmen, um den Rückweg zu finden. Von weit, weit draußen sah man aber schon die Lichter Biskarahs blinken und näher und näher rückte dann auch wieder die wilde, sinnverwirrende, eigentümlich packende Musik.
So ritt ich denn eines Tages wieder durch die Wüste, Sidi Akba zu. Ein Brief aus der lieben Heimath hatte mich verstimmt, und Siroko den Zügel auf den Hals gelegt, ritt ich still dahin und träumte. Durch ein „El Hamd-ul Ilah“ (Lob sei Gott) aus meinen Betrachtungen geweckt, schaute ich auf, und ein, wenn auch oft gesehenes, doch immer wieder wunderbar schönes Bild bot sich meinen Augen. Aus fernen Gegenden kommend, zog eine Karawane auf mich zu. Langsamen, gezogenen Schrittes mit schwanenartigen Halsbewegungen ging Kameel um Kameel vorbei, unter den hochbeinigen Schiffen der Wüste manch schwerbepacktes Eselein, das trippelnd Schritt zu halten suchte. Ich hatte mein Pferd angehalten, und freundlich gegrüßt von Jedem der kindlichen Araber, zog so die ganze Karawane an mir vorüber. Es mochten wohl weit über hundert Kameele sein. Neugierig schaute jedes mit seinen klugen Augen den einsamen Wanderer an, auch blieb wohl das eine oder andere einen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 659. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_659.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2019)