Verschiedene: Die Gartenlaube (1875) | |
|
und französische haben; sie hatten einen Ruf, wie ihn keine andere deutsche Stadt hat erlangen können. Und Weimar blieb nicht nur lange Zeit hindurch in diesem Sinne der Einheitspunkt, welchen der nationale Geist des deutschen Volkes gewonnen hatte, es war Weimar zugleich – und wieder im Bunde mit Jena – die Stätte, auf welcher die deutsche politische Presse, das nationale politische Leben und Streben, die politische Freiheit ihren Anfang und Ausgang nahm.
Daß das kleine Weimar zum Heile des gesammten Vaterlandes dies geworden, ist das Verdienst seines Herzogs Karl August. Ganz Deutschland, ja die ganze gebildete Welt hat es freudig in jenen unvergeßlichen September-Tagen des Jahres 1857 anerkannt, als in Weimar nicht nur den Heroen der deutschen Dichtkunst Denkmäler gesetzt, sondern auch auf dem Fürstenplatze zum Denkmale des „alten Herrn“ der Grundstein gelegt wurde. Es war der 3. September 1857, der hundertjährige Geburtstag des Herzogs. Achtzehn Jahre sind seitdem verflossen, wie vor hundert Jahren die achtzehn Jahre von Karl August’s Geburt bis zu seinem Regierungsantritt am 3. September 1775. Am bevorstehenden 3. September begeht Weimar, begeht Deutschland die Säcularfeier vom Regierungsantritte des Herzogs. Zwar werden im Festzuge leider manche jener hochverdienten Männer fehlen, welche einst vor achtzehn Jahren den Grundstein umstanden; der biedere, greise Commissionsrath, Hofbuchhändler Hoffmann, der, als ein Zeuge der schönsten Tage des Herzogs auch in weiteren Kreisen bekannt, im Morgenzuge nach der Fürstengruft den ältesten Bürgern der Stadt voranschritt, der Redner auf dem Friedhofe, Oberpfarrer Dittenberger, der Festredner bei der Grundsteinlegung, Superintendent Stier, wie der dortige Redner Minister von Watzdorff – sie alle sind inzwischen schlafen gegangen. Aber die jüngere Generation verehrt mit gleicher Begeisterung den genialen deutschen Fürsten, und wenn von dem ehernen Reiterstandbilde des Herzogs, welches der Bildhauer Professor Donndorf in Dresden, Weimars Sohn, mit vollendeter Meisterhand geschaffen, die Hülle fällt, wenn der Herzog, in Kraft und Würde neuerstanden, die Wenigen, die ihn noch persönlich gekannt, wie die zahlreichen ihn verehrenden Epigonen in unvergänglichem, strahlendem Glanze begrüßt, wird der Jubel weit über Weimars Marken hinaus durch alle deutschen Gaue erschallen.
Feiern wir den festlichen Tag durch einen Rückblick auf die Jugend des Herzogs, auf die Entwickelung seines Geistes und Charakters, auf die Zeit vor hundert Jahren!
Als Herzog Ernst August von Sachsen-Weimar, der wunderliche, strenge Autokrat, im Jahre 1748 starb, schien die Sächsisch-Ernestinische Linie, welche einst in der Reformationszeit so hervorragende charakter- und kraftvolle Männer geliefert, dem Erlöschen nahe. Sein Thronerbe war sein einziger Sohn Ernst August Constantin, ein kränklicher Jüngling. Am 16. März 1756 vermählte er sich mit der siebenzehnjährigen Braunschweiger Prinzessin Anna Amalie, der Nichte Friedrich’s des Großen. Am 3. September 1757 schenkte sie dem Erbprinzen Karl August das Leben. Der Tag, an dessen Morgen der Prinz das Licht der Welt erblickte, sollte für die Stadt Weimar in den damaligen kriegerischen Wirren ein ernster Tag werden: am Nachmittage rückten von Arnstadt her Reichstruppen ein und besetzten die Stadt. Aber auch freundliche Zeichen fehlten nicht und wurden von den Bürgern als gute Vorbedeutung genommen; sah man doch während des Taufactes am 4. September bei heiterem Himmel und Sonnenscheine einen hellen Regenbogen über dem Schlosse, der Wilhelmsburg, stehen. Doch schon im Frühling des folgenden Jahres, am 28. Mai 1758, noch ehe die Herzogin von ihrem zweiten Sohne, Constantin, entbunden war, starb nach kurzer Regierung, durch Güte und Wohlwollen beliebt, der kaum einundzwanzigjährige Herzog, und der jungen, erst neunzehnjährigen Wittwe fiel die schwere Aufgabe zu, neben der Vormundschaft über ihre Kinder zugleich die Regentschaft des Landes in der stürmischen Zeit des siebenjährigen Krieges zu übernehmen. In bewundernswerther Weise löste sie diese Doppelaufgabe und bereitete zugleich in dem kleinen, bis dahin wenig beachteten Weimar mit deutschem Sinn der deutschen Kunst eine Stätte, welche bald darauf von ihrem großen Sohne im Vereine mit der genialen Kraft seines Busenfreundes zum Mittelpunkte deutscher Kunst und Literatur erhoben werden sollte.
Während der ersten Kinderjahre des Prinzen war Demoiselle Kotzebue, ein geist- und gemüthvolles Fräulein, seine Erzieherin; im fünften Lebensjahre desselben wurde Graf Johann Eustach von Görtz (der nachmalige preußische Minister) zu seinem Erzieher bestellt. Es war diese Wahl vielleicht kein glücklicher Griff Amaliens, denn Graf Görtz war ein mit aristokratischem Stolze erfüllter, pedantischer Mann, aber die ausgezeichneten Anlagen, mit denen die Natur den jungen Fürstensohn ausgestattet, der ihm von frühester Kindheit an eigene lebhafte und kräftige Wille schützten ihn gegen üble Folgen jener Erziehungsmethode; mit seinem Widerwillen gegen pedantische Regeln und Etiquettenzwang mag er seinen pedantischen Lehrern Noth genug gemacht haben. Bei dem Confirmationsexamen, welches am 27. März 1771 sein Instructor, der Oberconsistorialrath Seidler, bei offenen Thüren und „in Gegenwart ansehnlicher Versammlung“ mit ihm hielt, bewährte er die eigenthümliche Schnelligkeit, mit welcher er Ideen ergriff und in das Innerste jedes Gegenstandes eindrang. Sein gutes Herz aber bewährte er in demselben Jahre bei Gelegenheit der Hungersnoth und der Seuchen, welche damals ganz Thüringen verheerten; er bat den Geheimen Rath von Fritsch, die Erlaubniß der Mutter für ihn zu erwirken, daß er vierhundert Thaler aus seiner Schatulle dazu verwenden dürfe, sie unter die Weimarischen und Eisenacher Armen zu vertheilen. „Ich würde,“ schrieb der vierzehnjährige Prinz, „mein Geld nie besser anwenden können; die Fürsten sind zwar nur insoweit glücklich, als sie Gutes thun können.“
So hatte Friedrich der Große, sein Großoheim, gewiß nur vollkommen Recht, als er in eben diesem Jahre 1771, von dem vierzehnjährigen Prinzen zum ersten Mal begrüßt, voll Bewunderung zu den Umstehenden äußerte: „einen so vielversprechenden Prinzen, wie diesen, hab’ ich noch nie gesehen.“ So war es auch Wahrheit, nicht Schmeichelei, als im folgenden Jahre Wieland, damals Professor der Philosophie und kurmainzischer Regierungsrath in Erfurt, der Verfasser des „goldenen Spiegels“, nach wiederholten Besuchen des Weimarischen Hofes, an die Herzogin Amalie über deren Sohn Karl August schrieb: „Es ist dieser hohe Grad von gesunder Vernunft, diese natürliche Richtigkeit des Verstandes, die Begierde, sich zu unterrichten, diese Liebe zur Wahrheit, dieser Widerwille gegen die Schmeichelei, die der Prinz ohne alle Frage im höchsten Maße besitzt. Das sind lauter vortreffliche Anlagen. Man mache aus ihm einen aufgeklärten Fürsten, und ich stehe für sein Herz ein.“ Von der Herzogin Amalie, auch auf Karl August’s Bitte, zum Instructor ihrer beiden Söhne nach Weimar berufen, trat Wieland im September 1772 in seinen neuen Wirkungskreis als Erzieher neben Graf Görtz ein, und noch in demselben Jahre konnte er seinem Freunde Jacobi voll Zuversicht schreiben: „Ich habe das Vergnügen gehabt, in der Hoffnung bestätigt zu werden, welche ich mir von unserem jungen Fürsten mache. Wenn der Himmel ihn und ein paar gute Freunde, die er hat, leben läßt, so sollen Sie in sechs Jahren von Dato einen kleinen Hof sehen, der verdienen soll, daß man von den Enden der Welt komme, ihn zu sehen.“ Wie schön sollte diese Prophezeihung sich erfüllen!
Inzwischen nahm, während Graf von Görtz und Wieland gemeinsam als seine Erzieher fungierten, der junge Prinz, mit seinem durchdringenden Verstande, seinem Ehrgeiz, seinem festen, fast unbeugsamen Charakter, mehr und mehr eine selbstbewusste Stellung ein. Er beanspruchte die äußere Ehrenstellung des Herzogs, welche gegen den Gebrauch anderer Höfe ihm, dem minderjährigen, zur Regierungsnachfolge gelangten Fürsten, bisher vorenthalten worden war, und indem der intriguante, kluge von Görtz, der milde, nachgiebige Wieland diesen Wunsch unterstützten, die Mutter und Regentin aber diesen Ansprüchen der „aufgehenden Sonne“ entgegen war, trat damals zwischen Sohn und Mutter eine Verstimmung so tiefgehender Art ein, daß letztere schon mit dem Gedanken der Niederlegung der Regentschaft sich trug, als ihr Minister, Geheimer Rath von Fritsch, vermittelnd eintrat und der Prinz „eine Art kleinen Hof“, wie auch die Einführung in das Geheime Conseil erlangte. Ebenso charakteristisch für den jungen Fürsten ist seine Haltung nach dem Brande, welcher in der Nacht vom 5. bis 6. Mai 1774 die Wilhelmsburg in Schutt und Asche legte. Er wählte das
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 602. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_602.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)