verschiedene: Die Gartenlaube (1875) | |
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mein vermessenes Wort von vorhin – Du kannst mehr noch begreifen, als mein bitteres Weh. Aufgeben müssen, ist vielleicht noch härter, als verlieren. Ich will dem Leben sein Recht geben wie Du es gethan hast. Gott helfe mir! Amen!“
„Amen!“ sagte die Mutter aus tiefster Seele und schloß die zarte Gestalt fest in ihre Arme. „Gehörst Du von nun an uns und der Menschheit wieder, dann wirst Du auch erfahren, daß aus Dornen oft die Rose keimt.“
Was man im Gebirge erlebt. (Mit Abbildungen Seite 576 und 577.) „Durchgemacht und durchgelacht ist die Berglustbarkeit, liebe Freunde. Nun laßt sie uns zu Papier bringen!“ Diese schöne Rede hielt ein Mann von der Feder an zwei Männer vom Stifte in einem Tiroler Gebirgswirthshause im kühlen Grunde, zu welchem sie aus den höheren Regionen der Sennhütten herunter gekommen waren. Die Namen dieser durch treffliche Leistungen bekannten Künstler sind den Freunden der Gartenlaube längst nicht mehr fremd: L. Braun schreibt sich der Eine und H. Heubner der Andere, und Jeder von Beiden wiegte eine absonderliche Idee im filzbedeckten Haupte, während der Eine die Skizzenmappe auf’s Knie, der Andere auf den Tisch legte, Jeder nach seiner Art,
- „denn die Gewohnheit nennt er seine Amme.“
Braun war von seiner Aufgabe entzückt: das verräth sein Bild der Sennhütte. Sie war wie tausend andere und enthielt das tausend Mal gesehene Personal. Aber mit frischer Naturwahrheit, ganz abweichend von den süßlichen Mimilivorstellungen, welche der Plattländer an die Sennhütten zu knüpfen pflegt, hat Braun auf seinem Bilde das kecke, fröhliche Gebirgsleben wiedergegeben. Seine Gestalten, sowohl der Sennerinnen mit den Wildheuerhosen, wie der Sennbuben, tragen das frische Roth der Wirklichkeit auf den Wangen.
Während wir uns noch an dem Bilde Braun’s erfreuten, vernahmen wir ein herrannahendes Durcheinander von Stimmen, und zur Thür herein grüßten mehrere Reisedämchen und Reiseherren. Ich freute mich der lustigen Schaar; es waren keine verzwickten Modekinder, sondern frische und sogar namhafte Bühnengenossen, darunter eine unserer beliebtesten Tragödinnen, so daß es mir wirklich leid thut, zum Ausputze dieser Zeilen nicht einige Namen nennen zu dürfen. Ich hab’s versprochen, sie nicht mit diesem Scherze in die Oeffentlichkeit zu bringen, denn der Himmel begnadete uns mit einem gar absonderlichen gemeinsamen Geschicke.
Wir hatten uns der Gesellschaft natürlich zum Hinabsteigen in’s Thal angeschlossen; das Wetter, das den Tag über uns leidlich günstig gewesen, hatte endlich die Geduld verloren und brach, als wir nur noch die letzte Viertelstunde Wegs bis zu unserer Herberge vor uns hatten, mit solchem Wasch- und Badeeifer über uns her, daß wir so pudelnaß, wie nur menschenmöglich, aber trotzalledem mit vollem Lachen – denn der Humor war selbst bei den Damen nicht mit den Kleidern verdorben worden – in’s Wirthshaus hineintrieften.
O, diese quatschende und patschende Gesellschaft! Die angeklebten Schleier und die Spritzbrünnchen der Stiefeletten bei jedem Auftreten! Das ganze Haus lief zusammen – aber die Hausfrau war weise und der Wirth klug und bei Beiden guter Rath nicht theuer. Männlein und Fräulein wurden in zwei Gemächer getrennt und beiden Theilen alle nur vorräthigen Kleidungsstücke des Haushalts zugetheilt. Die nasse Waare aber, alles Gewand vom Kopfe bis zu den Füßen, ward zu den beiden Thüren hinausgereicht, um zu einer gemeinsamen Draperie des großen Kachelofens in der Wirthsstube vereinigt zu werden.
Nach vorgenommener Umkleidung bildeten wir Mannsleute eine recht stattliche Gesellschaft von Bauern und Burschen, nahmen auch keinen Anstand, in unserm Costüme in die Gaststube zu wandern und einen Tisch mit unseren lebenden Bildern zu schmücken. Da – mitten in dieser gemüthlichen Unterhaltung, öffnet sich die Thür zum Gemache der Frauen, und herein tritt mit ehrfurchtgebietender Gravität, mit den Kleidern der Wirthsleute halb männlich, halb weiblich costümirt, die Hände feierlich erhoben, eine abenteuerliche Gestalt.
„Dich begrüß’ ich in Ehrfurcht,
Prangende Halle,
Säulengetragenes, herrliches Dach,“
tönte es aus ihrem redegewaltigen Munde, und betroffen und fast erschrocken starrte Alles auf die groteske Erscheinung. Als aber aus allen Ecken und Winkeln des engen Zimmers das Ach und O freudigen Erstaunens erscholl, winkte sie still mit der Hand und fuhr in gehobenem Tone fort:
„Schwer liegt der Himmel von Madrid auf mir,
Wie das Bewußtsein eines Mords. Nur schnelle
Veränderung des Himmels kann mich heilen – “
und mit unnachahmlicher Grazie wies sie zum Fenster hin, wo noch immer der Regen prasselnd anschlug. Im Zimmer war es still, als ob ein Engel durch dasselbe schreite. Da plötzlich erscholl von der Tafelrunde der tiefe Baß des Heldenspielers:
„Beim wunderbaren Gott, das Weib ist schön!
Welch’ edler Anstand, welch’ ein holdes Wesen,
Wie einfach jeder Zug und doch wie auserlesen!
Unschuld und Grazie gehen ihr zur Seite,
Und keine Tugend fehlt in dem Geleite.“
Die Hand auf die Joppe des Wirths legend, da, wo der Sage nach, das Herz pochen soll, verneigte sich die Schöne mit verschämten Blicken:
„O, stille, Prinz! von diesen kindischen
Geschichten, die noch jetzt mich schamroth machen!“
Es war ein herrlicher Anblick: unsere Tragödin – denn keine andere war es – in den Unterkleidern der Frau Wirthin und der kurzen Joppe des Vater Wirthes! Sie, die sonst nur gewohnt war, das griechische Gewand der Iphigenie in classischen Falten über die Schulter zu werfen, den Harnisch und den Helm der Johanna von Orleans im Lampenlichte leuchten zu lassen oder die stolze Schleppe der jungfräulichen Königin von England gravitätisch über die weltbedeutenden Bretter zu wälzen – sie, die sonst so schlanke Gestalt im groben Gewande der Frau Wirthin, das noch dazu zum erforderlichen Umfange künstlich ausgefüllt war!
Die komische Wirkung, welche diese Figur hervorrief, prägte sich auf allen Gesichtern aus, und allgemeine Heiterkeit ergriff die Gesellschaft – eine Scene, die wiederzugeben kein Stift ausreichen dürfte. Der Künstler hat deshalb auch nur zwei Momente der prächtigen Situation herausgegriffen, die Tragödin und das Stillleben am Ofen.
Zwei Institute der Selbsthülfe. Bei den immer wachsenden Ansprüchen, welche das Leben an den einzelnen stellt, tritt die Nothwendigkeit der Selbsthülfe immer mahnender und dringender an die Vertreter namentlich derjenigen Berufsclassen hinan, welche ihre Existenz der drohenden Invalidität späterer Lebensjahre gegenüber nicht genügend durch ein sicheres und dauerndes Einkommen gewährleistet sehen. Die Thatsache, daß die Zahl der Genossenschaften und Vereinigungen zur Abwehr von Noth und Elend täglich mehr und mehr innerhalb der verschiedenen Berufszweige wächst, muß daher freudig begrüßt werden. Zu den jüngst in Aussicht genommenen derartigen Instituten der Selbsthülfe gehören unter Anderen der Pensionsverband für Kaufleute und Buchhändler zunächst im Königreiche Sachsen, welcher von Chemnitz aus durch ein Reihe hochangesehener Männer angeregt worden, und die Genossenschaft deutscher Techniker, zu deren Bildung sich in Bromberg ein Ausschuß zusammengethan hat. Wir halten es für unsere Pflicht, auf diese beiden Humanitätsunternehmungen im Interesse der Sache selbst aufmerksam zu machen und sie der allgemeinsten Beachtung auf das Wärmste zu empfehlen. In Betreff der erstgenannten Vereinigung wolle man sich wegen näherer Auskunft an das Comité zur Errichtung einer Pensionscasse für Kaufleute und Buchhändler in Chemnitz, bezüglich der letzterwähnten an den Herrn Techniker A. Gregorius in Bromberg (Bahnhof) wenden!
Der Schiffbruch des „Schiller“ ist in der „Gartenlaube“ von einem einfachen Bürger aus Sachsen als eigenes Erlebniß erzählt; in einem Nachworte dazu sagten wir wohlbegründeten Berichtigungen den nöthigen Raum zu. Als solche Berichtigungen können wir jedoch nicht die Behauptungen anerkennen, welche der erste Officier des untergegangenen Schiffes in einem Hamburger Blatte gegen Herrn Schellenberg aufstellt. Mit bloßem Negiren ist noch nichts bewiesen. Und da ein anderer, ebenso eifriger Vertheidiger der Hamburger Rhederei, dessen Schreiben in unserer Redaction jedermann vorgelegt werden kann, trotz alledem ausdrücklich bemerkt: „Die Erzählung Ihres Herrn Berichterstatters verdient die vollste Anerkennung; er beschreibt einfach, was er erlebt und wie er es aufgefaßt hat“, so können auch wir hiermit nur erklären, daß das Wort dieses Mannes, der nach sechs Seereisen kein Neuling mehr auf einem Schiffe ist, uns ebenso viel gilt, wie das eines Officiers, in dessen Berichte der bedenkliche Punkt der Versäumniß des rechtzeitigen Lothens so vorsichtig umgangen wird, daß die eigentliche Absicht seiner „Berichtigungen“ wohl nicht verkannt werden kann. Wir hatten keine Veranlassung, nicht zu glauben, daß Herrn Schellenberg in seiner unabhängigen Stellung keine andere Absicht bei seiner Berichterstattung leiten konnte, als die, über Schiff, Führung und Untergang desselben als einer der wenigen geretteten Passagiere nach seiner Ueberzeugung die Wahrheit zu sagen. Uebrigens werden wir Herrn Schellenberg die betreffende Zeitung zusenden und seine Erwiderung, wenn nöthig, später mittheilen.
Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin. Vom Rechtsanwalt Winterfeldt in Berlin geht uns die Mittheilung zu, daß die Angabe in dem Artikel „Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin“ (Nr. 23), er sei Mitgründer des Lichterfelder Bauvereins, nicht auf Wahrheit beruhe, wovon sich Jeder durch Einsicht der Beilagen zum Handelsregister überzeugen könnte.
Der Verfasser, Otto Glagau, bemerkt zu diesen Reclamationen: „Das Handelsregister mit seinen Beilagen ist, wie jeder Staatsanwalt bezeugen kann, eine sehr unschuldige Sache. Es giebt über die eigentlichen Vorgänge bei einer Gründung so gut wie gar keinen Aufschluß und nennt nicht entfernt alle Diejenigen, welche betheiligt sind. Gewöhnlich werden nur einige wenige Personen vorgeschoben, und diese führen nur eine ihnen aufgetragene Rolle aus, während die Hauptgründer und der Rest ihrer Gehülfen hinter den Coulissen bleiben. Hätte der Verfasser nicht noch andere Quellen, er würde nicht gut diese Artikel schreiben können. Er hat übrigens stets gefunden, daß von 100 Fällen in 99 die ersten Zeichner, Aufsichtsräthe und Directoren einer Gesellschaft auch stets zu den Gründern derselben gehören und er war in dem guten Glauben, daß dies auch hier zutreffe.“
verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1875, Seite 580. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_580.jpg&oldid=- (Version vom 22.5.2023)