Verschiedene: Die Gartenlaube (1875) | |
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völlig fremd. Ohne anzufragen, hatte unser Schiffer den Kahn ruhen lassen, und die Worte des Fremden drangen sonor durch die stille Morgenluft: ‚Gestatten mir die Damen Mitbenutzung des Bootes? Es ist kein zweites zu haben.‘
Wir wußten das, und da meine Mutter sofort ein bejahendes Zeichen gab, brachte der Schiffer mit ein paar Ruderstößen den Kahn an das Land. Im Momente, als der junge Mann im Begriffe war, hineinzuspringen, gab ein plötzlicher leichter Windstoß dem Boote unerwartet einen Ruck, der es wohl eine Elle weit in den See zurückgleiten ließ. Unwillkürlich entfuhr mir ein leiser Schreckenslaut, der jedoch ungerechtfertigt war, denn der Fremde schwang sich mit gewandter Geistesgegenwart so glücklich vorwärts, daß er im Nachen auf seine Füße zu stehen kam, wenn auch er selbst und das leichte Schiff dabei in’s Schwanken geriethen. Er grüßte artig, fuhr sich, ehe er den Hut wieder auf das dunkle Haar drückte, mit einer ihm eigenthümlichen Bewegung flüchtig über die Stirn und sagte, während er Platz nahm, lächelnd zum Schiffer:
‚Bei einem Haar läge ich jetzt im See.‘
Der Schiffer schmunzelte behaglich. ‚Das hätte uns auch nichts geschadet,‘ sagte er.
‚So? Wenn Sie hineingefallen wären, dann hätte mir das freilich auch nicht geschadet.‘
Die Munterkeit, womit diese raschen Worte getauscht wurden, theilte sich uns blitzartig mit. Wir mußten lachen, und wenn auch die Ueberfahrt ohne eigentliches Gespräch zwischen der kleinen Zufallsgesellschaft von Statten ging, war doch von der ersten Secunde eine stumme Beziehung hergestellt, die sich in den Mienen verrieth, welche, hier wie dort, das Geplauder zwischen Mutter und Tochter, wie zwischen dem Reisegefährten und dem landeskundigen, mit frischem Mutterwitze begabten Schiffer bald mit einem Lächeln, bald mit einem Blicke begleitete. Wie freudig, wie vogelleicht fühlte ich mich schon auf dieser Fahrt!
Wir landeten. Jeder ging seine eigenen stillen Wege. Der unserige wendete sich nach dem Hochwalde, der uns mit seinem jungen Frühlingsschmucke und würzigen Dufte weit länger gefesselt haben würde, hätten wir nicht über unsere sehr karg zugemessene Zeit bereits andere nicht mehr rückgängig zu machende Verfügungen getroffen. Während wir zuletzt dem stattlichen Benedictinerkloster entlang durch die Gartenanlagen wanderten, lockte mich ein umlaubter Sitz, der den Blick auf See und Gebirge frei läßt; ich ließ meine Mutter nach dem Baumrondell vor dem Wirthshause vorausgehen und versank in eine jener Träumereien, die ich mir immer nur verstohlener Weise gönnte, da sie mir als ‚Verzückung‘ schon so manches spöttelnde Wort zugezogen.
Als ich mich losriß und langsam vorwärts schlenderte, sah ich schon von Weitem unsern Gefährten im Gespräche mit meiner Mutter und erfuhr, nachdem ich mich Beiden zugesellt, daß er Erlaubniß erbeten und erhalten, sich auch unserer Fahrt nach Frauenwörth anzuschließen. Natürlich blieb er von nun an in unserer Gesellschaft. Ich sah auf dem Tische, vor welchem meine Mutter stand, neben dem Plaid des Fremden ein Skizzenbuch aufgeschlagen, und spähte hinein. Als er meine verstohlenen Blicke bemerkte, reichte er es mir gefällig herüber. Das offene Blatt zeigte eine flüchtige, mit großer Wahrheit ausgeführte Skizze von Frauenwörth, das so ruhig schlummernd inmitten des Wassers vor uns lag, wie ein Kind in der Wiege. Still und weltverloren grüßte mich das kleine grüne Eiland mit seinem altersgrauen Kloster, rings von der Sonne umglänzt – stiller und weltverlorener noch das mit großer Einfachheit und Innigkeit wiedergegebene Abbild, von dem ich den Blick nicht losreißen mochte, denn hier fand ich, was mir selbst nie gelungen war zu erreichen. Es schien mir unmöglich, mich darüber zu äußern; ich sah nur meine Mutter an, die über meine Schulter in das Buch blickte. Unsere Augen begegneten sich und sprachen: ‚Ein Künstler!‘ – Dann schifften wir Alle hinüber zu derselben Fraueninsel und saßen dort unter den alten Linden –“
Die Erzählerin brach ab. Ihre grauen Augen blickten mit sanftem Leuchten wie in weite Ferne. Schon lange schien sie mehr an lang versäumten Erinnerungen fortzuspinnen, als des Ohres zu gedenken, das sie aufgefordert hatte, ihr zuzuhören. Deshalb wandte sie wohl auch so befangen den Kopf und erröthete leicht, als Linda das kurze Schweigen unterbrach. „Und dann, Mama?“
Frau Therese strich sich über die Stirn. „Du hast oft gehört, daß Deine Großmutter eine vielseitig gebildete Frau war, Linda. Während wir im Freien tafelten, einzige Gäste der köstlichen Einsamkeit, unterhielt sie sich lebhaft mit unserem Genossen. Beide sprachen viel über die Schätze der Münchner Kunstsammlungen, und der junge Mann, der sich uns inzwischen unter dem Namen ‚Rainer‘ vorgestellt hatte, erwies sich darin so heimisch, daß sich unsere Ueberzeugung befestigte, in ihm selbst einen Künstler zu sehen.
Nach Tische überfiel meine Mutter plötzliche Müdigkeit; sie lehnte ihren Kopf an den Stamm, der uns beschattete, und überließ es uns jungen Leuten, weiter zu plaudern. Ich weiß nicht, wie lange sie ihre Augen geschlossen hielt, auch nicht, ob sie wirklich schlief, oder nur ruhte, ich weiß nur, daß diese Stunde unter den schwankenden Linden, im Glanze des Sees und der Alpen, mit den einzelnen leisen Vogeltönen zu Häupten, von mir nie vergessen worden ist. Wir sprachen von Allem, was es zwischen Himmel und Erde giebt; wenigstens schien es mir so. Wenn ich mich später auf diese Stunde besann, mußte ich staunen, denn ich war ziemlich schüchtern, Fremden gegenüber beinahe scheu, und doch wußte dieser kaum Gekannte mein Innerstes aus mir hervorzulocken, ohne daß mir nur in den Sinn kam, es vor ihm zurückzuhalten. Wir erfuhren von einander, wie wir über alles dachten, was das Leben lebenswerth macht. Er ließ mich auch von meiner Heimath, vom Verluste des Vaters durch den Tod, von dem der Schwester durch das Leben erzählen, und ich erzählte ihm willig. Er selbst sprach nichts über seine äußeren Verhältnisse.“
„Rheinfahrt“. (Mit Abbildungen, S. 560 und 561.) Der Rhein, der besuchteste aller europäischen Ströme, ist ohne Frage zugleich der am meisten verherrlichte: Alle Künste haben seinen Ruhm verkündet, und die Poesie hat ihn in allen Zungen verewigt als den imposantesten und naturschönsten, als den sagen- und geschichtereichsten unter den Flüssen der alten Welt. Was die deutsche Natur Schönes und Anmuthiges, was die deutsche Geschichte Großes und Ruhmreiches aufzuweisen hat, das steht in der engsten Beziehung zum sagengeschmückten „Vater Rhein“. Dennoch mangelte uns bisjetzt ein Werk, welches den deutschen Strom in seinem Reichthum an Natur und Kunst, an Geschichte und Sage erschöpfend darstellt. Endlich tritt nun unter dem Titel „Rheinfahrt“ ein Unternehmen in’s Leben, das in künstlerischer Weise alle Schönheiten unseres Flusses zur Anschauung bringen wird. Schon vor mehreren Jahren hatte Wolfgang Müller von Königswinter, der verdiente Rheinpoet, den Plan zu diesem Werke, welches den Rhein von seinen Quellen bis zum Meere in Bild und Wort darstellen soll, eifrig in Erwägung gezogen, mußte aber, vom Tode überrascht, die schriftstellerische Ausführung desselben den reisekundigen Federn Karl Stieler’s, Hans Wachenhusen’s und F. W. Hackländer’s überlassen, die denn auch diese Arbeit übernommen haben.
Wenn zu einer guten Illustration nicht nur ein strenges Abschreiben der Natur gehört, sondern bei aller Genauigkeit der Aufnahme eine poetische, künstlerische Auffassung, in der sich Anmuth der Form, Duft der Stimmung und technische Fertigkeit vereinigen, so stehen wir nicht an, zu behaupten, daß in den landschaftlichen Darstellungen Püttner’s das Vollkommenste geleistet worden ist, was uns bisher im Bereich der xylographischen Kunst zu Gesicht gekommen ist. Püttner’s Rheinwaldgletscher, Zillis, Dorf Hinterrhein, Dorf Splügen, Toma-See, Verlorenes Loch, Rhäzüns, Hohen-Trüns, Ilanz, Pfäffers, Ragaz und vor Allem seine Via mala treten uns mit der Kraft und dem Schmelz der lebendigen Farbe entgegen. Wie gesagt, das landschaftliche Bild hat unseres Wissens noch keine gelungenere Behandlung gefunden, als hier durch den genannten Meister, der sich in den letzten zwei Jahren überraschend schnell entwickelt hat. Wie sehr sich die Verlagshandlung A. Kröner in Stuttgart bemüht hat, dem Werke künstlerische Bedeutung zu geben, geht aus dem Verzeichniß der artistischen Mitarbeiter hervor, unter welchen wir nur A. Baur, E. F. Deiker, J. Franz, F. Keller, L. Knaus etc. nennen. Auch B. Vautier ist durch zwei vorzügliche Bilder, die „Weinprobe“ und „Auf einem Rheindampfer“ im ersten Hefte des Werks vertreten; letzteres, ein reiches Figurenbild, führt unser Blatt in seiner heutigen Nummer nebst einem bisher noch nicht erschienenen Bilde von Püttner im Abdruck den Lesern vor. Den vielen Besuchern des Rheins wird dieses Prachtalbum in den düstern Tagen des Winters manche liebe, farbenreiche Erinnerung an die prächtigen Landschaftbilder wachrufen, welche ihnen der Sommer geboten.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 564. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_564.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)