Verschiedene: Die Gartenlaube (1875) | |
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ich flehte das Mitleid der Lustwandelnden an, und Niemand erkannte mich, war ich doch so gut verpuppt, und sie gaben reichlich, unvermuthet reichlich. Nun, es waren eben Gäste des Königs, vornehm, von hohem Rang und doch auch der Bettlerin ebenbürtig. – Ich that’s ja nur für mein Kind, für Else – sie sollte glänzen, wie es doch ihrem Namen zukommt. Ach, wenn das mein heißgeliebter Gatte wüßte, der mir durch einen frühen Tod geraubt wurde!‘
Sie schwieg – ihr Geist schien sich in der Erinnerung vergangenen Glückes zu verlieren, und erst nach längerem dumpfen Hinbrüten fuhr sie eintönig fort:
‚Else war unser ganzes Glück, obwohl ihre Geburt mich der Stimme beraubte, die einst die Welt bezaubert und die Verse unserer Dichterheroen vor der lauschenden Menge gesprochen. Aber ich klagte nicht, hatte ich doch mein Kind, meinen Gatten! Wir Drei bildeten eine heißglühende, lieberfüllte Welt in dieser kalten, herzlosen. Was war uns auch diese Welt! Schnöde hatte die stolze Familie dem Geliebten den Rücken gekehrt, der es gewagt, dem Zuge seines Herzens zu folgen. Einen Brosamen zur Existenz warfen sie ihm zu, damit nicht ihr tönender Name auf den Theaterzetteln prangte. Diejenigen, welche der gottbegnadeten Künstlerin einst begeistert zugejauchzt hatten, hielten sie jetzt für unwerth der Aufnahme in ihre Familie. Und doch, denk’ ich, hat die Allmacht dem wahren Kunstjünger ein sichtbareres Zeichen höchsten Adels auf die Stirn gedrückt, als jener hochmüthige Geburtsadel aus seinen vergilbten Documenten herauszulesen vermag. Und zuletzt, trug ich meinen Kopf nicht ebenso stolz, wie die anderen Saremba’s? Suchte ich meine Empfangszimmer nicht mit gleich vornehmer Gesellschaft anzufüllen, wie sie? Bemühte ich mich nicht nach Kräften, meine bürgerliche Abkunft vergessen zu machen, sie selbst zu vergessen? Aber ich blieb einmal die Ausgestoßene, und kein Mittel wollte sich finden lassen, diesen Fluch von mir zu nehmen.‘ Wieder unterbrach sie sich, Athem schöpfend und mit leblosem Blick in’s Leere starrend.
‚Mein Gatte, mein heißgeliebter Egon, stimmte mir nicht bei,‘ fuhr sie dann fort, ‚ihm galt Namens- und Standespomp wenig; er suchte sein Glück anderswo. Aber ich, die ich so oft mit Glück Königinnen, Fürstinnen und Edelfrauen dargestellt hatte in jener Welt des Scheines, ich sollte nicht vermögen in dieser wirklichen die vornehme Frau zu repräsentiren? Ich war ehrgeizig und beneidete diese Leute um einen Vorzug, den mir ein ungütiges Geschick versagt hatte. Wie leicht wog mir dagegen die Gnade der Vorsehung, die mich zum begabten Dolmetsch ihrer liebsten Kinder gemacht! – Das erwiderte ich auch Egon, der mich wiederholt auf meinen Werth hingewiesen hatte.
Egon wurde durch das Geschick jäh aus unserem innigen Dreiverein gerissen. – Ich blieb zurück mit meinem Kinde, dem ich von nun an meine ganze Liebe weihte. Mit des Gatten Tod verlor ich den größten Theil meiner Einkünfte, denn die stolze Familie hielt die Schauspielerin mit einer geringen Rente für genügend bedacht, vielleicht hatte sie auch erfahren, daß meine Kraft gebrochen, daß man nicht mehr fürchten durfte, den glänzenden Namen an den Ecken bloßgestellt zu sehen.
Ich sollte entbehren lernen, ich, welche die sorgende Hand des Gatten in ein Leben voll Glanz und Luxus eingewiegt hatte? Ich sollte meinem Kinde, welches allgemach zur herrlichen Jungfrau heranblühte, ich sollte ihr ein Leben voll Mangel bieten? Ich sollte nicht mehr meinem Stande gemäß leben? Das zu ertragen ging über meine Kräfte. Ich wendete mich an die Familie meines Gatten, erinnerte sie daran, daß sie es doch meinem Namen schuldig wäre, für meine anständige Existenz Sorge zu tragen. Man erwiderte mir, es hindere mich nichts daran, diesen Namen, den ich mir doch nur erschlichen, abzulegen; für meine Stellung in der Gesellschaft sei ich genügend versorgt. Höre man Mißliebiges über mich, so werde man seine Rechte zu wahren wissen.
Tief gekränkt wendete ich den Unwürdigen den Rücken. Sie sollten über mich nicht zu klagen haben. Nach außen hin wurde der gewohnte Glanz fortgeführt. Nach und nach mußten Stücke meines werthvollen Schmuckes in’s Leihhaus, dann zum Verkaufe wandern. So ließ sich Manches ausführen. Die Wittwe durfte eingezogener leben. Nur ein ausgewählter kleiner Kreis umgab mich und mein holdes Kind.
Doch in Stunden des Nachdenkens – welchen Jammer brachten sie mir! – bebte ich angstvoll der Zeit entgegen, wenn das letzte Schmuckstück – – Ich sann auf einen rettenden Ausweg, aber jeder mußte verworfen werden, meiner gesellschaftlichen Stellung, Else’s wegen, für die ich mir ein stolzes Glück unablässig erträumte. Durfte ihre Mutter ein Gewerbe betreiben? Durfte sie dramatischen Unterricht ertheilen, Handarbeiten machen, um ihr Leben zu fristen? Würden wir nicht aus der Gesellschaft ausgestoßen werden?
Da fiel mir durch einen seltsamen Zufall eines Tages ein Zeitungsbericht in die Hände, nach welchem eine Frau in einem Theile einer großen Stadt die Bettlerin, in einem andern die elegante Dame vorgestellt hatte. Es war ihr gelungen, milde Gaben in so reichem Maße zu erwerben, daß sie dadurch einen gewissen Luxus bestreiten konnte. Diese eigenthümliche Idee wollte mir nicht aus dem Sinne; Tag und Nacht verfolgte sie mich. Sie erschien mir abenteuerlich, aber auch verlockend und zweckdienlich: Was der einfachen Frau gelungen war, konnte der routinirten Schauspielerin nicht fehlschlagen. Bald hatte ich die Dachwohnung in der A.-straße gemiethet, falsche Locken und die nöthige Verkleidung hervorgesucht, und – die Sache gelang wider Erwarten gut. Ich konnte oft bedeutende Einnahmen freudig nachzählen. Ein keckes Spiel war’s in der That, denn kluge Vorsicht mußte nach allen Seiten hin walten. Elsa und die Welt durften nichts erfahren. Mein Kind sollte unsere Existenz für gesichert ansehen, die Welt mich für bemittelt halten. Es war eine Zeit der Lüge nach allen Seiten hin. Aber eine unsichtbare Macht beschützte mich. Die erste Gefahr drohte mir, als ich Ihnen begegnete, Baron, als Sie mich retteten – es war auf jenem Maskenballe – im Königsschlosse – im Glanze und in Lichterpracht – nicht so, Baron –?‘
Sie sprang mit wild rollenden Augen von ihrem Sitze empor und packte heftig meinen Arm.
‚War’s nicht so?‘ schrie sie dabei. ‚Aber wie kamen die Häscher in den Palast, um auf die Bettlerin zu fahnden? Ha, ha, ha! Und ich war doch die Königin, die im Bettlergewande steckte. Ihr seid Alle meine Gläubiger. Mit Zinsen zahle ich Euch Eure Gaben heim. Schatzmeister, werfen Sie Geld unter das Volk, sprechen Sie den Getreuen meinen königlichen Dank aus – Oder war’s nur ein Traum – ein Irrbild –? – Antwort!‘ rief sie in maßloser Erregung, ‚Antwort will ich, Vasall, denn ich bin Euer König. Antwort –!‘
Sie sank ohnmächtig in die Kissen zurück.
Ergriffen von diesem seltsamen Lebensschicksale und im Herzen von innigem Bedauern und Mitleid erfüllt für dieses schmerzmuthige Frauenherz, welches so sorglos an tausend Abgründen dahingetaumelt war, übergab ich die Kranke der rathlos weinenden Else, rief Lisette herbei, die Kammerjungfer, und sprang die Treppe hinab, um einen im Nebenhause wohnenden, mir befreundeten Arzt zu holen. Glücklicher Weise traf ich denselben zu Hause, und ich gab ihm in fliegenden Worten einen zwar discreten, aber möglichst genauen Bericht über den Zustand der Leidenden.
Der Arzt schüttelte bedenklich den Kopf, ohne mir eine Antwort zu geben, und schickte sich, in der Wohnung der Frau von Saremba angekommen, zu einer eingehenden Untersuchung der Patientin an.
Die Kranke war aus ihrer Bewußtlosigkeit erwacht; doch vermochte sie nicht, dem Arzte einen klaren Bericht über ihr Leiden zu geben. Sie sprach das tollste Zeug durcheinander. Beruhigende Mittel brachten ihr endlich einen Halbschlummer, der ihr jedoch nur wenig Stärkung zu geben versprach.
Die arme Else war ganz trostlos. Stumm und regungslos saß sie lange mit gefalteten Händen da. Ihr banger Blick irrte zwischen der Mutter und mir umher. Ich versuchte, ihr Trost einzusprechen, obgleich auch mein Herz banger Sorge voll war. War doch die beklagenswerthe Frau die Mutter meiner Herzgeliebten! Auf meine besorgten Fragen erwiderte der Arzt, er werde fortgesetzt die Kranke einer genauen Beobachtung unterziehen, vorläufig könne er weder ein beruhigendes, noch ein besorgnißvolles Urtheil abgeben.
Am anderen Tage fand ich die Dame sehr ruhig, fast heiter. Sie sprach mit Innigkeit über Else’s Glück und faßte wiederholt meine Hände, um sie in inniger Dankbarkeit zu drücken –
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_531.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)