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Seite:Die Gartenlaube (1875) 515.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Beste hoffen? Von diesen beseligenden Gedanken erfüllt, flog ich die Treppe hinan und zog den Klingelzug an der Thür der Frau von Saremba. Ich mußte Else heute sprechen. Mein Herz war zu voll, und ich hoffte, sie allein zu finden.

Sie war auch wirklich allein und nahm meinen Besuch an. Sie stand im Wohngemache am Tische – o Freund, es war ein zauberisches Bild, welches ich nie vergessen werde. Voll fiel das Licht der Lampe auf ihr herrliches Antlitz; die süßen Augen hießen mich lächelnd willkommen. Durch die blonden Locken schlang sich ein blaues Band. Grethchenhaft erschien die schlanke, ebenmäßige Gestalt in dem schlichten, blauen Gewande, welches keusch Nacken und Arme verhüllte. Sie streckte mir die feine Hand entgegen, die ich hastig ergriff und so fest an meine heißen Lippen preßte, daß ein Hauch süßesten Erröthens das holde Angesicht überzog.

Ein wenig befangen, aber doch mit offenem Blicke, sagte sie leise: ‚Mama ist zwar nicht daheim – und mir war ein wenig bange, und – ich plaudere gern mit Ihnen.‘

Ich fand keine jener banalen Salonredensarten, die als kühle Antwort hätten dienen können, vielleicht hätten dienen sollen. Kein vermittelnder Uebergang wollte sich finden zwischen dem conventionellen Begrüßungsmomente und dem Augenblicke heiligster Liebesseligkeit. Noch umschloß ich ihre Hand; fester und inniger drückte ich sie. Auf meinem Herzen mußte sie ruhen, um sein wildes Pochen zu fühlen – ach, Else fühlte es und verstand wohl seine Bedeutung. Bald lag sie selbst, stumm, selig an diesem Herzen, und auf die blonden Locken drückte ich ihr wonneberauscht den ersten, schönsten Kuß reinster Liebe.

Ein leises Beben durchflog den zarten Körper. Sie brach in heftiges Weinen aus.

‚Thränen, Geliebte?‘ fragte ich angstvoll.

‚Wie liebe ich Dich, Geliebter!‘ stammelte sie zu mir empor. ‚Ein wildes Toben ist in mir, das sich jetzt in Thränen reinsten Glückes Luft macht. Was in mir gewogt, wie ein unklares Räthsel, es löst sich jetzt auf in der wonnigen Gewißheit: Ich liebe Dich.‘

Berauscht von dem hohen Glücke, ein so unschuldvolles Herz durch meine Liebe zu schnellerem Schlagen gebracht zu haben, vermochte ich nur stumm die geliebte Gestalt an mich zu drücken.

‚Jetzt versteh’ ich,‘ sagte Else noch immer an meinem Herzen, ‚die Thränen, die unaufhaltsam meinen Augen entrannen, als Du uns in bewegten Worten Mittheilung machtest von dem Elende jener unglücklichen Frau. Ich vermochte meinen Blick nicht von Deinem in reinster Menschenliebe erglühenden Antlitze abzuwenden; ich hätte vor Dir niedersinken, Deine Hände auf mein Haupt legen mögen, denn Du erschienest mir als der beste aller Menschen.‘

‚So ist meine Liebe älter, als die Deine, geliebtes Lieb,‘ erwiderte ich neckend. ‚Denn seit ich Dich gesehen, lieb’ ich Dich.‘

‚Du verstandest nur besser, als ich, Dir das, was in Dir erwachte, zu erklären,‘ entgegnete sie. ‚Dem ahnungslosen Mädchenherzen verursachte diese ihm unerklärliche Hinneigung zu dem fremden Manne einen süß-seligen Schauer.‘

‚Deine Mutter erschien mir – verzeihe mir! – bei meiner Erzählung kühl, fast hart. Wenn sie so auch unserem Glücke entgegenträte!‘

‚Das fürchte nicht!‘ beruhigte mich Else schmeichelnd, ‚sie liebt ihr Kind und will es nur glücklich sehen. Und ich bin es jetzt – unendlich. – Ich fand Mamas Entgegnung gleichfalls tadelnswerth und sprach ihr das auch, nachdem Du Dich entfernt hattest, offen aus. Sie sagte mir kurz darauf, daß sie wohl an die Existenz einer verarmten Verwandten glaube. Sie habe aber nicht die Absicht, sich der Familie ihres Herrn Gatten zu nähern, die ihr niemals freundlich und verwandtschaftlich entgegen gekommen sei. Es läßt sich dagegen nicht viel thun, mein theurer Freund, denn Mama, so engelgut sie auch sonst ist, duldet keinerlei Einspruch gegen ihre Ansichten. Aber ich, Geliebter,‘ setzte das holde Kind dann lächelnd hinzu, ‚ich denke anders, und ich gehöre ja auch von jetzt an zu Dir. Deine Freunde sind fortan auch meine Freunde. Und ich muß, nun ich so unsagbar glücklich bin, auch beglücken. Wie wär’s, wenn wir hinauseilten zu der alten Verwandten, sie an unserer Seligkeit theilnehmen ließen und ihr eine frohe Aussicht auf eine bessere Zukunft eröffneten?‘

Else sprach damit nur einen Gedanken aus, der augenblicklich auch in mir aufgestiegen war.

‚Nun weiß ich,‘ sagte ich lachend, ‚daß Du mich liebst; denn Du weißt: zwei Seelen – ein Gedanke, zwei Herzen – ein Schlag. So muß es sein. Aber wird die Mutter dem beistimmen? Wo ist sie? Wann kehrt sie heim, um Zeuge unseres Glückes zu sein, um uns zu segnen?‘

‚Die Mutter!‘ rief Else. ‚Wie ich ihrer so ganz vergessen konnte! Durfte ich das, Geliebter, über mein Glück?‘

Ich nickte ihr nur zu, sie fest in meine Arme schließend.

‚Sie ist jedenfalls in einem der wohlthätigen Vereine,‘ berichtete sie dann, ‚welche sie mehrmals in der Woche zu besuchen pflegt. Meist kehrt sie zu später Stunde erst heim; heut’ seh’ ich sie wohl kaum noch. Ich werde ihr zum Morgengruß von meinem Glücke erzählen, und sie wird mit uns glücklich sein.‘

‚Und sie läßt Dich allein zu Hause?‘ fragte ich, unwillkürlich den Kopf über das Vernommene schüttelnd. ‚Ich finde das doch sonderbar –‘

‚Geliebter, lasse das!‘ fiel Else ein, indem sie ihre Arme innig um meinen Hals schlang und ihr holdes Köpfchen an meine Brust legte. Dabei sah sie mit einem trüben, thränenverdüsterten Blick zu mir empor. ‚Die Mutter ist gut, himmlisch gut gegen mich,‘ fuhr sie dann fort; ‚daß sie mir nur bis zu einer gewissen Grenze ihr Vertrauen schenkt, oder vielmehr, daß sich oft ein eisiger Reif auf diese Liebe zu legen scheint, ich vermag es nicht zu verstehen, und es bekümmert mich oft tief.‘

‚Auch ich verstehe es nicht. Was liegt eigentlich zwischen der Mutter und Dir?‘

‚O nichts, gewiß nichts, mein Geliebter. Vielleicht liegt das auch an mir selbst. Vielleicht verlange ich zu viel von der älteren, ruhigeren Frau. Meist wandeln wir ja Hand in Hand, Herz an Herz dahin; dann, scheint es mir, trennen sich für eine Weile jäh unsere Wege, aber am Ende finden wir uns immer wieder zusammen. Wie gesagt, vielleicht liegt’s auch an mir, an meinem ungestümen Herzen, das viel Liebe erheischt, weil es auch viel Liebe zu geben hat. Und nun, mein Freund, ist mir so wohl, nun ich Dein Herz mein eigen weiß, das mir – nicht wahr, Du Theurer? – nichts schuldig bleiben wird.‘

Ich drückte sie lächelnd an mich, denn ich glaubte besser, als sie selbst, die holdgeheimnißvollen Regungen ihres jugendreinen Herzens zu verstehen. Aber auf Else’s Stirn blieb eine Wolke haften. Um diese zu zerstreuen, sagte ich nach einigem Nachdenken:

‚Nun denn, mein Herz, laß uns hinaus gehen zu meiner Freundin! Wir wollen einmal unter dem Schleier der Nacht dem Herkömmlichen ein Schnippchen schlagen und Arm in Arm die Straßen der Stadt durchstreifen. Morgen lassen wir die Verlobungskarten drucken, und Alles ist wieder gut.‘

„Du siehst, mein Freund,“ unterbrach sich hier lächelnd der Erzähler, „wir waren an jenem Abende ein wenig unbedacht, aber sind das Verliebte nicht zumeist? Else sprang erfreut nach Hut und Mantel. Das Unpassende, welches in der Ausführung unseres Planes liegen konnte, kam ihr nicht in den Sinn; sie liebte mich und vertraute mir, und in ihrem reinen Herzen fand kein dunkler Gedanke Raum.

Else hing glücklich an meinem Arme. Sie plauderte allerliebst und behauptete wiederholt, nie sei ihr die Großstadt so wunderschön erschienen, wie heute. Unter jenem halbscherzenden, halbernsten Geschwätze, wie es eben nur überselige, jugendliche Menschenherzen zu Tage fördern können, gelangten wir an unser Ziel. Aengstlich schmiegte Else sich an mich, als wir die vier Treppen erklommen. Das durch Glanz und Wohlleben verwöhnte Kind fühlte sich in diesen Regionen der Armuth bedrückt. Einen Augenblick blieb sie zaghaft auf dem oberen Treppenflure stehen, doch bald schritt sie muthig vorwärts der Thür zu, hinter welcher die Unglückliche hauste. Ich hatte unten schon meine Laterne angezündet und konnte nun merken, wie Else, bleich vor innerer Aufregung, ihren rosigen Finger zum Anklopfen erhob.

‚Wir wollen die Arme freudig überraschen,‘ flüsterte ich ihr zu, sie von ihrem Vorhaben zurückhaltend. ‚Tritt Du, mein Lieb, zuerst ein, als segenspendender Engel! Ich folge Dir nach.‘

In dem Zimmer vernahmen wir die Tritte einer auf- und abschreitenden Person. Ich drückte die Klinke nieder, aber die Thür öffnete sich nicht sogleich. Der innere Riegel war wohl vorgeschoben; doch augenscheinlich nicht genügend, denn als ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 515. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_515.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)