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Seite:Die Gartenlaube (1875) 499.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Ich drückte dem Freunde herzlich die Hand.

„Du bist ein braver Mensch,“ sagte ich, „aber vielleicht allzu gutherzig. Das ist zuweilen auch ein Fehler. Konnte die alte Frau nicht eine Schwindlerin sein, Dich nicht in ein Netz locken, in welchem man Dich gehörig rupfen durfte? Doch, wie ist’s eigentlich mit Deiner Schwiegermutter? Von ihr höre ich noch immer kein Wort. Oder sollte etwa die alte Dame –? Sie hat eine Tochter –“

„Höre nur weiter, Freund!“ fiel Persin mir lächelnd in die Rede, „die Schwiegermutter wird auch kommen und die Geliebte. Zu jener Zeit sah ich mich veranlaßt, meine Wohnung zu wechseln. Ich bezog zwei möblirte Zimmer in einem eleganten Hause an der Potsdamerstraße.

Eines Tages las ich zufällig das neben der Thürwartswohnung aufgehängte Verzeichniß der Hausbewohner, und mein erstaunter Blick fiel dabei auf den Namen: verwittwete Frau von Saremba. ‚Sollte diese Dame eine Verwandte meiner alten Freundin sein?‘ fragte ich mich. Da ließe sich über diese wohl Näheres erfahren, denn die alte Dame war immer noch in ihren Mittheilungen über die Ursachen der Spannung mit ihrer Familie vorsichtig und zurückhaltend geblieben. Ich fragte den Hauscerberus nach dieser Frau von Saremba.

‚O,‘ entgegnete der, ‚das ist eine vornehme, aber gar gute Dame, die sicher einmal bessere Tage gesehen hat. Jetzt aber lebt sie still und ziemlich zurückgezogen in ihrer bescheidenen Wohnung im dritten Stock, im Vereine mit ihrem einzigen Kinde, einer Tochter, die ein wahrer Engel von Schönheit ist. Damit will ich aber nicht gesagt haben, daß die Dame gänzlich heruntergekommen ist, wie man zu sagen pflegt. Nein, sie hat noch genug, um mir hin und wieder ein Trinkgeld zukommen zu lassen, auch hält sie sich ein kleines Dienstmädchen und giebt sogar dann und wann kleine Theegesellschaften. Sehen Sie, lieber Herr, unsereins ist nicht gerade neugierig, aber man muß doch wissen, wie es bei den Hausbewohnern zugeht; es könnte Jemand Auskunft wünschen –‘

Ich unterbrach den Redestrom des biederen Alten und beschloß, in meinem Zimmer angekommen, meinen Hausgenossen im dritten Stock baldigst meine Aufwartung zu machen, um ihnen von meiner armen Freundin, die sicher eine Verwandte der Dame war, zu sprechen, und außerdem war ich auch gespannt, das schöne Fräulein von Saremba kennen zu lernen, welches den alten Hauswächter in eine gelinde Begeisterung versetzt hatte.

Ich warf mich also eines Tages in den Frack, nahm Visitenkarten zur Hand und begann, meinen Flurnachbarn – ich wohnte im zweiten Stock – Besuche zu machen. Dann stieg ich auch in den dritten Stock hinauf, dessen kleinere Hälfte Frau von Saremba bewohnte.“

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Auch vom „gütigen Kaiser“. Am 29. Juni d. J. schloß ein Monarch auf immer die Augen, der beinahe siebenundzwanzig Jahre, fern von der großen Welt, in friedlicher Zurückgezogenheit gelebt hat, aber nicht nur von einzelnen Historikern, sondern von dem Volke, dessen Glück ihm am Herzen lag, den Namen „der Gütige“ erhalten hat, und zwar zu einer Zeit, wo er eben zu Gunsten seines jugendlichen Neffen, des Kaisers Franz Joseph, die Krone niedergelegt hatte, also Niemand mehr Orden und Beförderungen von ihm erwarten konnte, da Ferdinand der Fünfte fortan nur als Privatmann leben wollte.

Ich hatte den Kaiser im Jahre 1836 in Prag gesehen, wie er als König von Böhmen gekrönt wurde. Jeder rühmte seine echte Humanität, seine liebenswürdige Artigkeit. Er war kaum mittelgroß zu nennen; sein großes blaues Auge, seine echt habsburgischen Züge gaben ihm einen edlen Ausdruck. Seine Haltung zu Pferde war vortrefflich. Damals wurde der gute Fürst noch nicht von jener den Geist und die Willenskraft niederdrückenden Krankheit gequält, die ihm später vom Schicksale auferlegt worden war. Im Jahre 1842 war ich in Wien mehrmals öffentlich und, wie ich wohl sagen kann, ohne unbescheiden zu sein, mit großem Beifall als Improvisatrice aufgetreten. Die Kaiserinnen und Erzherzoginnen hatten durch ihre Gegenwart meine Matinées verherrlicht, und für den zweiten Osterfeiertag wurde ich für den Abend zu Ihrer Majestät, der Kaiserin Anna Maria, befohlen, um vor ihr und einer zahlreichen Gesellschaft Proben meines Talentes abzulegen. Um acht Uhr wurde ich in einem Hofwagen abgeholt und fand in einem mäßig großen Salon bereits den Musikgrafen, Grafen Amadé, und den Oberstkämmerer Grafen Moritz von Dietrichstein, sowie Fräulein Elise Meerti, den berühmten Violoncellvirtuosen Servais und den damals noch im Knabenalter stehenden, aber schon vielbewunderten Anton Rubinstein. Frau von Cibini, die erste Kammerfrau der Maria Anna, eine ausgezeichnete Pianistin, Tochter des seiner Zeit gefeierten Pianisten Kotzebuh, empfing mich sehr freundlich und flüsterte mir zu: „Die regierende Kaiserin versteht deutsch. Lassen Sie sich nicht durch den Gedanken, daß Ihre Majestät Ihren Worten nicht folgen kann, beirren!“

Graf Dietrichstein sagte mir einige Artigkeiten über meine Novellen und Märchen, und daß ihm Rastrelli’s Oper „Bertha von Bretagne“, die er in Dresden gehört, und wozu ich das Buch geschrieben, sehr gefallen habe. Wenn Jemand von den Herrschaften mir vielleicht den Rath ertheile, aus einer meiner Sagen ein Libretto zu machen, solle ich sogleich bejahen. – Ich war nämlich damals Mitarbeiterin an mehreren Wiener Zeitschriften, die oft von den Damen des Kaiserhauses gelesen wurden, und eine der hohen Damen fand Vergnügen daran, Opernstoffe aufzufinden.

Graf Amadé nöthigte uns jetzt in den anstoßenden Salon, und bald darauf traten die Palastdamen, die zum Hofstaate gehörenden Cavaliere, die Gesandten fremder Höfe, Fürst Metternich nebst Gemahlin, der Fürst-Erzbischof von Wien, die Prinzessin von Wasa mit ihrer schönen Hofdame, einer Enkelin Scharnhorst’s, die Herzogin-Wittwe von Anhalt-Cöthen[1] ein, hierauf mehrere Erzherzöge und Erzherzoginnen, zuletzt Kaiser und Kaiserin und die Kaiserin-Mutter, am Arme des Erzherzog Karl, des Siegers bei Aspern, der ein Jahr später das fünfzigjährige Jubiläum als Theresien-Ritter feierte. Auch das Idol der jugendlichen Damenwelt, Erzherzog Stephan, war anwesend, ebenso zwei Söhne des Erzherzog Karl, nämlich Erzherzog Friedrich, der sich später ebenfalls den Theresien-Orden verdiente und jung starb, sowie Erzherzog Albrecht, der Sieger bei Custozza.

Da der Hof noch Halbtrauer um die junge Erzherzogin Hermine trug – sie war die Zwillingsschwester des Erzherzogs Stephan –, waren alle Damen schwarz gekleidet, aber doch schon wieder mit Edelsteinen und Blumen geschmückt. Uniformen waren wenige zu sehen, aber die Herren hatten natürlich ihre Orden angelegt, und die Gesellschaft, bestrahlt vom Schimmer unzähliger Wachskerzen, bot einen, wenn auch nicht bunten, doch glänzenden Anblick dar.

Die beiden Kaiserinnen hatten auf einem Sopha Platz genommen. Neben der Kaiserin-Mutter saß in einem Fauteuil der Kaiser; ihm zur Rechten ebenfalls im Fauteuil die Erzherzogin Sophie, damals eine majestätische Erscheinung, mit dem Erbtheil der Töchter Max Joseph’s des Ersten begabt, mit sehr schönen, sprechenden Augen. Mehrere Reihen Stühle links von der Kaiserin Anna Maria waren mit Damen und Herren besetzt. Ich hatte zwischen einer jungen Hofdame und Fräulein Meerti einen Platz, von dem aus ich, ohne gegen den Anstand zu verstoßen, die Herrschaften genau betrachten konnte. Das von Herzensgüte strahlende Gesicht des Kaisers, so wie das des alten Helden von Aspern steht noch deutlich vor meinem geistigen Auge.

Die Kaiserin-Mutter, die sich für Literatur und Künste sehr lebhaft interessirt, ließ sich ein Blatt Papier und eine Bleifeder geben, und sagte lächelnd zu mir: „Die Kaiserin wünscht, daß ich den Anfang mache; so will ich Ihnen einige Endreime zu einem Sonette geben. Die Damen mögen meinem Beispiele folgen.“ Hierauf schrieben die Erzherzogin Sophie, die Herzogin von Anhalt-Cöthen und noch einige Damen Endreime, und ich löste meine Aufgabe zur Zufriedenheit der Zuhörer. Eine der Damen – täuscht mich mein Gedächtniß nicht, so war es die Prinzessin von Salerno – sagte, sie möchte wissen, ob ich wie Rosa Taddei, die berühmte italienische Improvisatrice, auch zu denselben Reimen ein Sonett nach gegebenem Thema improvisiren könne.

„Ich will es versuchen,“ flüsterte ich dem Grafen Dietrichstein zu, der sich in meiner Nähe befand.

Der Kaiser rief: „An eine Blume – die Blume wählen Sie selbst.“

Ich gebe nicht viel auf Wortspielereien und habe stets mehr Freude gehabt, wenn ein poetischer oder prägnanter Gedanke die Form beseelte, als wenn ich eben nur wohlklingende Verse improvisirte, aber jenes Sonett – keine leichte Aufgabe – hätte ich gern noch im Gedächtniß.

Während Elise Meerti[2] einige französische Chansons mit schöner Stimme und bezaubernder Grazie vortrug, hatte ich wieder Muße, die anwesenden Berühmtheiten zu betrachten. Erzherzog Karl stand schon im zweiundsiebenzigsten Jahre, hatte aber noch die stramme Haltung eines Kriegers und in seinem Blick etwas Gebieterisches, Durchdringendes. Fürst Metternich war ein schöner Greis, dessen feingeschnittene Züge deutlich verriethen, daß er in seinen jüngeren Jahren ein höchst einnehmender Mann gewesen sein mußte, wenn er – gewollt hatte. Er sprach später sehr freundlich mit mir; auch hörte ich ihn in französischer Sprache viel Verbindliches zu Fräulein Meerti sagen; mir machte er den Eindruck eines nach allen Seiten hin gebildeten, feinen Geistes, aber nicht den eines energischen, gewaltigen Staatsmannes. Ich glaube, daß diejenigen Historiker Recht haben, welche sagen: daß Kaiser Franz der Erste in geistiger Einsicht oft unterschätzt worden sei und nicht selten in wichtigen Angelegenheiten scheinbar habe Metternich walten lassen, um Zeit zu gewinnen eigene Entschlüsse zu fassen, die der Fürst-Staatskanzler als treuer, ergebener Diener seines Herrn ausführte.

Ich bekam später noch von der Herzogin von Anhalt-Cöthen das

  1. Eine geborene Gräfin von Brandenburg. Sie hatte trotz aller Vorstellungen König Friedrich Wilhelm’s des Dritten den evangelischen Glauben mit dem katholischen vertauscht und lebte seitdem viel in Wien.
  2. Elise Meerti aus Brüssel war eine vortreffliche Sängerin und von Mendelssohn warm empfohlen; sie war auch eine reizende, poetische Erscheinung.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_499.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)