Verschiedene: Die Gartenlaube (1875) | |
|
An der rechten Seitenfläche in einem Epheukranze liest man:
(Dichtung der „Wacht am Rhein“) und an der linken Seitenfläche in einem Eichenkranze:
(Composition der Melodie.) Endlich ist der obere Absatz an dem Sockel der Germania von dem Künstler dazu bestimmt, den Schwanengesang Wilhelm’s, „Deutschlands Siegesdank“, gedichtet von Emil Rittershaus, mit Tonsatz für vier Männerstimmen, des Componisten erfolgreichstes Schaffen repräsentirend, darauf anzubringen. Die Textworte und zwar Vers 5 desselben – rund um das Denkmal herumlaufend – lauten:
Nun danket dir, o Herr der Welt, das Land Germania,
Im Frieden wie im blut’gen Feld sei du uns nah!
Daß nimmer uns ein Streit entzwei’, führ’ uns an deiner Hand.
Erhalte einig, groß und frei das Vaterland!
Es ist dies der Gesang, welcher, im November 1870 in Crefeld componirt, zuerst in Nr. 11 der Gartenlaube beim Friedenschlusse 1871 veröffentlicht wurde, der in echt deutscher Weise den Gefühlen von Fürst und Volk über die herrlichen Siege und den errungenen Frieden im Danke gegen den Herrn der Welt Ausdruck verleiht.
Außer der Liebe zu seinen Bergen durchflammte Wilhelm’s ganzes Denken, Empfinden und tönendes Dichten die lebendigste Vaterlandsliebe. Die erste Zeile eines seiner herrlichsten Männerlieder lautet: „Das ganze Herz dem Vaterland.“ Dies war sein Herz, mit welchem er der schweren, wuchtigen Wehrkraft des deutschen Volkes die siegreichen Schwingen verlieh, welche auch der meisterhaftesten und genialsten Kriegskunst und Strategie ohne diese Hülfe des Wortes und Tones niemals wachsen werden.
Der blinde Stimmführer und sein Weib. Jedem Besucher des britischen Parlamentsgebäudes in London, der üblichermaßen von der Thür der sogenannten Fremdengalerie aus zusieht, wie die Mitglieder des Unterhauses der Reihe nach durch das Hauptportal eintreten, wird zweifelsohne ein hochgewachsener, blondhaariger Mann besonders in’s Auge fallen, der, offenbar blind, von einer noch jugendlichen kleinen Dame mit leuchtenden Augen und blühenden Wangen hereingeführt wird. An der Thür des Saales trennt sich das junge Weib von seinem Schützling mit ersichtlichem Widerstreben; denn die britische Verfassung ginge ja zu Grunde, wenn ein weibliches Wesen in das Unterhaus einzudringen sich erkühnte, nachdem der Parlamentscaplan das unerläßliche Eröffnungsgebet gesprochen hat. Nicht einmal bis zu seinem Platze darf die treue Frau den blinden Gatten geleiten; sie muß ihn vielmehr der Führung eines jungen Mannes überlassen, der am Eingange bereits des Blinden harrt. Noch einen langen liebevollen Blick sendet sie dem seinem Sitze Zuschreitenden nach, dann wendet sie sich, um leichten Fußes die Treppe zu der unter dem Dache des Hauses angebrachten Damenloge emporzusteigen, die man füglich als Käfig bezeichnen sollte. Aber freundlich grüßt Alles die sorgsame Hüterin, kennt und verehrt doch Jedermann das merkwürdige Paar. Selbst die im Hause postirten Schutzleute verneigen sich tief, wenn die Zwei vorüber wandeln; das im Corridor versammelte Publicum macht ihnen ehrerbietig Raum, und sogar Mr. White, der gestrenge Cerberus, der die Pforte des politischen Allerheiligsten bewacht, nickt ihnen einen freundlichen Gruß zu.
Und fragt der Fremde, wer die so allgemein Gekannten und, wie es scheint, allgemein Geliebten sind, so berichtet ihm allewelt: „Professor Fawcett und Frau“. Niemand wird den Ersteren betrachten können, ohne auf seinem Antlitze das Gepräge von Intelligenz, Muth und Offenheit zu erblicken. Er ist von ungewöhnlicher Größe, mehr als sechs Fuß hoch, sehr blond, und sein lichtes Haar, sein heller Teint, seine glatten bartlosen Wangen verleihen ihm fast das Aussehen eines kaum den Knabenjahren entwachsenen Jünglings. Seine Züge sind zugleich bedeutend und regelmäßig, beinahe schön zu nennen, und ihr Ausdruck ist im höchsten Grade einnehmend. Selten trübt auch nur eine leise Wolke die über seine Physiognomie gebreitete Heiterkeit, sein Lächeln aber hat etwas überaus Gewinnendes, ja Hinreißendes.
Wohl noch niemals und nirgends ist es einem Blinden gelungen, sich zu einer so hohen staatlichen Geltung aufzuschwingen, ein so einflußreicher politischer Parteiführer zu werden, wie Professor Fawcett, der, obwohl noch nicht vierzig Jahre alt, der angesehenste der sogenannten unabhängigen Liberalen des englischen Unterhauses ist. Vom ersten Augenblicke an, wo er seinen Sitz im Parlamente einnahm, wußte er – eine ganz unerhörte Erscheinung – die Aufmerksamkeit des gesammten Hauses zu fesseln. Er besitzt eine helle, volltönende Stimme, spricht mit seltener Geläufigkeit, ohne den salbungsvollen Universitätston, dem wir im englischen Parlamente so häufig begegnen, und meidet alle banalen Attitüden und wohlfeilen oratorischen Kunststückchen. Feind jedweder Ausflüchte und Spitzfindigkeiten, giebt er immer nur seine wahre Ueberzeugung kund und kommt ohne Weiteres zur Sache. Zu Zeiten beredt, ist er stets interessant, ein unerschrockener Vertheidiger des Rechts wider das Unrecht, ohne Rücksicht auf die etwa daraus entstehenden Folgen. Er und drei seiner vertrauten Freunde, Sir Charles Dilke, P. A. Taylor und Auberon Herbert, gelten als die vier „Unversöhnlichen“ des Unterhauses, das heißt als Männer, die sich nie zu Concessionen bereit finden lassen, welche ihrer inneren Ueberzeugung zuwiderlaufen.
Henry Fawcett ist der Sohn eines englischen Gutsbesitzers und studirte in Cambridge als Insasse des wesentlich von künftigen Juristen frequentirten Colleges Trinity Hall, wo er sich im Jahre 1856 die höchsten mathematischen Ehren errang. Hierauf wandte er sich der Themis zu und wurde 1862 im Mittleren Tempel (Middle Temple), zum Advocaten ernannt, das traurige Ereigniß jedoch, das ihm das Licht seiner Augen raubte, setzte seiner rechtsamtlichen Laufbahn ein schnelles Ziel. Während der Herbstferien auf dem heimathlichen Landsitze ging er eines Tages mit seinem Vater auf die Jagd. Als der letztere über eine Hecke kletterte, entlud sich sein Gewehr, und ein Theil des Schusses traf den Sohn in’s Gesicht und zerstörte ihm beide Augen, ohne ihn sonst zu verletzen oder zu entstellen. Wie man sich denken kann, war der Vater trostlos ob des Unheils, das er wider seinen Willen über den geliebten Sohn gebracht hatte, dessen Aussichten jetzt mit Einem Schlage vernichtet zu sein schienen, und man fürchtete, daß er das Unglück nicht überleben würde. Der Sohn aber richtete den Gebeugten wieder auf; tagelang saß der blinde junge Mann bei dem der Verzweiflung nahen Vater und versicherte ihn, der Unfall werde ihm die Laufbahn, die sie Beide erhofften, in keiner Weise beeinträchtigen. „Das Unglück,“ sagte er, „ist ja erst gekommen, nachdem ich auf der Universität den Grund zu meiner Bildung gelegt habe, und glücklicher Weise besitzen wir dir Mittel, mir zur Erreichung meiner Zwecke den Beistand anderer Augen zu verschaffen. Freue Dich mit mir darüber, daß im Uebrigen meine Gesundheit noch so gut ist wie zuvor und mein Geist und meine natürliche Heiterkeit nicht im Mindesten gelitten haben.“
Die Hoffnungen, die er damit seinem Vater einzuflößen suchte, haben sich verwirklicht. Nachdem er längere Zeit Fellow (Mitglied) seines Colleges war, ist der Blinde jetzt Professor der Staatswissenschaften in Cambridge und hat sich in seiner Disciplin einen Namen gemacht, der von keinem seiner mitlebenden Landsleute übertroffen wird. Der verstorbene John Stuart Mill, sicher ein Mann, dessen maßgebendes Urtheil Niemand in Abrede stellen wird, hielt den jungen Professor für einen der denkendsten Köpfe Englands und zählte zu seinen engsten Freunden. Fawcett’s „Handbuch der Staatswissenschaften“ erlebt fast alljährlich neue Auflagen und ist sowohl in Oxford wie in Cambridge in den meisten Colleges eingeführt.
„Als ich Cambridge zum ersten Male besuchte,“ erzählt ein amerikanischer Gelehrter, dessen Mittheilungen in einer transatlantischen Zeitschrift wir in unserer kurzen Darstellung folgen, „war Fawcett noch Fellow am Trinity Hall, allein schon so gut wie Professor. Ich hatte das Glück, der Gastfreundschaft in seiner reizenden Wohnung genießen zu dürfen, und die in seiner Gesellschaft verbrachten Abende wurden zu wirklichen ambrosischen Nächten. Nach dem Mittagsessen pflegten sich viele der Lehrer und Schüler bei ihm einzufinden; Cigarren wurden angesteckt, und dann ging es an ein Debattiren über die verschiedenartigsten philosophischen und politischen Fragen, die uns ganz vergessen ließen, daß mittlerweile schon der Morgen zu tagen begann. Fawcett ist zum Parteiführer geboren; er weiß seine Gedanken der Anschauungsweise Anderer anzupassen und zugänglich zu machen. Sein Humor ist wahrhaft originell, seine Einbildungskraft reich und schöpferisch, unerschöpflich aber das Repertoire seiner Anekdoten, durch die er seiner an sich bewundernswerthen Unterhaltungsgabe einen eigenthümlichen Reiz verleiht.
Seit seiner Verheiratung lebt er meist in London, was indeß seinen Einfluß in Cambridge nicht geschmälert hat; denn so oft er während der Wintersaison dahin zurückkehrt, um nach englischer Weise eine gewisse Anzahl von Vorlesungen abzuhalten, worin die amtliche Verpflichtung seiner Professur besteht, wird er jedesmal mit einem Festmahl gefeiert, an dem die gesammte Universität sich zu betheiligen pflegt. Jene köstlichen Abende in Trinity Hall, von denen ich erzählte, nehmen dann wieder ihren Anfang. Welche werthvolle Hülfe seine Gattin ihm auch bei seinen wissenschaftlichen Bestrebungen leistet, das hat er selbst mit dem Ausdrucke innigsten Dankes in der Vorrede zur neuesten Auflage seines Handbuchs anerkannt; seine Frau ist es gewesen, die allein die Revision des umfänglichen Buches besorgt hat, mit einer Genauigkeit, die manchen Gelehrten und Corrector beschämt, wie sie ihm namentlich auch bei den zahlreichen literarischen Arbeiten zur Hand gegangen ist, in denen er seine Stimme hinsichtlich der gegenwärtig so vielfach ventilirten Frage der Frauenemancipation abgegeben hat. In der That sind die Beiden unzertrennlich; wer in England von Henry Fawcett, dem gelehrten Universitätsprofessor und politischen Stimmführer spricht, der vergißt sicher nicht, auch seiner Frau zu erwähnen, ohne die sich der allverehrte Mann niemals öffentlich zeigt, und allgemein und herzlich ist die Bewunderung, die man der treuen Pflegerin und unermüdlichen Gehülfin und Gefährtin des blinden Parlamentsmitgliedes zollt. ‚Der Blinde und sein Weib!‘ so geht es in andachtsvollem Flüstern durch die Volksmenge, wenn das Paar die Schwelle des Unterhauses überschreitet.“
Das Buchstabirfieber. Gewiß eine der seltsamsten Vergnügungen, von echt amerikanischer Erfindung ist das Buchstabirfieber, wenn es, wie gegenwärtig, auf eine so übertriebene Weise in Anwendung gebracht wird.
Drama, Concert, Oper und alle sonstigen unter den Amerikanern fashionablen Vergnügungen sehen sich vernachlässigt, eben durch – das Buchstabirvergnügen. Aber worin besteht dasselbe? In nichts Anderem,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_463.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2019)