Verschiedene: Die Gartenlaube (1875) | |
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No. 23. | 1875. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.
„Wer nichts wagt, gewinnt nichts,“ fuhr der Präsident in seiner Rede fort, „und ich mische die Karten diesmal so vorsichtig, daß ich nothwendig gewinnen muß. Der alten Närrin – ich meine die Oberlandjägermeisterin von Holderbusch – habe ich schon das Ehrenwort abgelockt, daß sie ihrem Sohne die heiß ersehnte Einwilligung nie ertheilt. Damit habe ich auch unseren Holderbusch senior in der Hand, denn er ist eben eine Null in seinem Hause. Handelt nun der Junker gegen den Willen der Mutter und des Vaters und scheint es auch nur, als habe er Dir dabei die Treue gebrochen, so wird unser biederer Graf ihm dies niemals verzeihn. Wenn dann die Comtesse dennoch auf ihrem Kopfe beharrt, so haben wir eben das Zerwürfniß, dessen ich bedarf. Willst Du also folgen, Hulda, und willst Du mein gutes Kind sein?“
„Ich? Nimmermehr!“ erklärte die junge Dame entschieden. „Im Gegentheile, ich warne Dich dringend vor dem Betreten dieses wenig sauberen Pfades.“
„So geh, geh, Du Närrin! Ich bedarf im Grunde weder Deines Raths, noch Deiner Hülfe. Geh!“
Schweigend und in sich selbst versunken, verließ Hulda das Arbeitszimmer ihres Vaters.
Was war das? Hatte ihr der Präsident wirklich seine letzten Zwecke völlig enthüllt? Sie zweifelte. Was trieb den alten Herrn, nachdem er lange Jahre hindurch nichts gegen die verhaßte Comtesse zu thun gewagt hatte, jetzt so plötzlich zu diesem verwegenen Unternehmen? Dahinter waren sicher noch andere ihr unbekannte Gründe verborgen. Galt es einer besonderen Rache? Aber gegen wen und weshalb?
Diese Gedanken beschäftigten Hulda so lebhaft, daß sie den Vorsaal durchschritt, ohne den dort scheinbar mit dem Reinigen eines Kleidungsstückes beschäftigten Johann zu bemerken; dann verschwand sie in ihrem Zimmer.
Kaum hatte sich indessen die Thür hinter dem Fräulein geschlossen, so gab der Diener des Präsidenten seine Scheinarbeit auf, um hinter ihr her eine spöttisch höfliche Verbeugung zu machen.
„Es ist doch zu manchen Dingen gut, wenn man nicht von stiftsfähigem Adel ist,“ murmelte er dabei. „Hieße ich nicht Johann Schnabel, sondern etwa Hans von Schnabelheim, so hätte mich meine Unvorsichtigkeit theuer zu stehn kommen können. Wer hieß mich auch bis zum letzten Augenblicke an der Thür horchen! Unser liebes, bescheidenes Huldchen hat aber Gott sei Dank, für Unsereinen keine Augen. Wir sind ihr eine Art lebender Maschinen, und sie bedauert nur, glaube ich, daß wir den adligen Menschenkindern dennoch ein ganz klein wenig ähnlich sehen. Was sie wohl sagte, wenn ich ihr ein Licht über die zärtlichen Herzensneigungen des würdigen Papa aufsteckte? Sie würde sich über die bürgerliche Stiefmama gewiß ganz außerordentlich freuen.“
Johann klopfte leise und bescheiden an die Thür, die in das Zimmer des Präsidenten führte, und öffnete sie auch nach dessen lautem „Herein“ nur soweit, als erforderlich war, um sich mit der Schmiegsamkeit einer Schlange durch den schmalen Spalt hindurch drängen zu können.
„Ah, ist Er schon wieder da?“ fragte der Präsident, der bis dahin, die Hände auf dem Rücken zusammengelegt, im Zimmer auf und abgeschritten war und nun in stolzester Haltung dicht vor dem demüthig zusammengebogenen Diener stehen blieb. „Mit Seinen Ermittelungen wird es also verzweifelt windig aussehen. He?“
„Der Herr Präsident mag selbst urtheilen,“ entgegnete Johann mit dem Ausdrucke bescheidener Selbstzufriedenheit. „Zunächst weiß ich, daß der Junker von Holderbusch mit Demoiselle Hartmann heute ein Rendezvous gehabt hat.“
„Das konnte ich mir allenfalls selbst denken, da sie in der Stadt ist. Weiter!“
„Ich ging darauf nach dem neuen Schloßflügel, wo die Zimmer der Comtesse liegen.“
„Warum that Er das?“ fragte der Präsident.
„Weil ich ein Stück von einer Unterredung mit angehört hatte, die zwischen unserem erlauchten Grafen und Herrn und –“
„Lasse Er hier die weitläufigen Titulaturen bei Seite!“ unterbrach ihn der Präsident. „Er hat den Grafen und die Comtesse behorcht. Wovon sprachen sie?“
„Die Comtesse fand die ewige Geldklemme wunderbar und unbegreiflich.“
„Natürlich, das ist ihr Lieblingsthema und damit hofft sie mich aus dem Sattel zu heben. Weiter!“
„Dann warnte sie den Grafen vor den Mittheilungen, welche der Herr Präsident höchsten Orts über den Junker von Holderbusch gemacht haben müssen. So dachte ich mir denn, daß die Comtesse selbst in ihrer Weise den Junker in das Verhör nehmen werde, um die Wahrheit zu erfahren, und blieb deshalb in der Nähe.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 377. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_377.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)