verschiedene: Die Gartenlaube (1875) | |
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Ich sah ihn nicht an. ‚Mama,‘ sagte ich laut, ‚Hermann spricht mit Dir.‘
‚Nein, Hanne,‘ rief er nachdrücklich, ‚mit Dir selbst, und ich denke, daß mir auf alle Fälle eine Antwort zu Theil werden wird. Am besten wäre es, Du gingest mit uns; ich bitte Dich wirklich darum, mein –‘
Ich unterbrach ihn, spöttisch lachend. ‚Willst Du nicht vielleicht gar, daß ich die Cousine um Verzeihung bitte, Hermann?‘ rief ich, so gereizt wie nie zuvor.
Er sah mich trüben Blickes an. ‚Aus Deinen Worten spricht das Bewußtsein der Härte,‘ hörte ich ihn sagen.
Dann kam Malwine zurück, und unser Gespräch war beendet. Sie trug an diesem Abende einen schwarzen Barège-Anzug und einen Strohhut mit schwarzen Federn, dazu eine lange goldene Kette, das einzige Andenken an ihren verstorbenen Vater. Noch jetzt, nach so vielen Jahren, schwebt mir‘s vor, wie reizend sie aussah.
Es traf sich, daß wir Beide vor dem Spiegel standen, als sie treuherzig die Hand ausstreckte, um mir Adieu zu sagen. Hermanns Blicke ruhten auf uns – ich zog die Rechte zurück, wie von einer Schlange gestochen, und verließ, ohne ein Wort zu sagen, das Zimmer.“
Aus Amsterdam geht uns aus dem nordamerikanischen Consulate nachfolgender Brief zu, welchen wir im Interesse der Sache hier wiedergeben:
„Geehrtester Herr Keil! Als Ihr vieljähriger Abonnent bin ich so frei, mich bittweise an Sie zu wenden. Die ‚Gartenlaube‘ weigert ihre Dienste ja niemals, wenn es gilt, ein gutes Werk zu verrichten. Eine gewisse alte Jungfer Pienemann, die hier in der Nähe vor Kurzem das Zeitliche segnete, hinterließ die Totalsumme von vierundzwanzigtausend Gulden (24,000 fl.) an nachstehende Personen oder deren rechtmäßige Erben:
- Anna Maria Negengehrt oder Negengeerth, geborene Rotnot, Rothnot oder Rotnoth.
- Anna Maria Luisa – Elisa Charlotta – Johann Heinrich – Katharina Margaretha – und Margaretha Regina Lieneman, Linneman oder Lindemann, Kinder der Margaretha Amalia Lieneman, Linneman oder Lindemann, geborenen Rotnot, Rothnot, oder Rotnoth.
- Herman Heinrich und Katharina Maria Hekket, Hekkert oder Heckert, Kinder der Christina Maria Henrietta Hekket, Hekkert oder Heckert, geborenen Moorman oder Mohrmann.
Sämmtliche genannte Personen wanderten vor vielen Jahren von Pente, Kirchspiel Bramsche, Hannover (ob diese Ortsnamen wohl die richtigen sind? Die Erblasserin war durchaus nicht sattelfest, was Namen anbetrifft) nach Amerika aus und siedelten sich im Staate Pennsylvania, in Pittsburg oder dessen Umgegend an. Die Erbschaft verfällt drei Jahre nach dem Tode der Erblasserin an sichere reformirte und katholische Stifte in der Nähe von Haarlem. Im Interesse der Erben liegt es darum, sich sobald wie möglich an mich zu wenden.
Durch die Erblasserin testamentarisch verpflichtet, genannte Erben aufzurufen, weiß ich für diesen Zweck kein Medium, das bessere Dienste leisten könnte, als die ‚Gartenlaube‘, selbst die verbreitetsten deutsch-amerikanischen Zeitungen nicht ausgenommen. Die ‚Gartenlaube‘, wie mir aus eigener Erfahrung bekannt, wird nicht nur in den bevölkerten Städten Amerikas gelesen, sondern findet ihren Weg in die einsamste Blockhütte des Westens, wo nur immer die deutsche Zunge klingt. Darf ich darum auf Berücksichtigung hoffen?
Amsterdam, den 7. April 1875.
Ein Wahnsinn in der Kinderstube. Bei der jetzt herrschenden mangelhaften Kenntniß der anatomischen Zusammensetzung des menschlichen Körpers ist es nicht zu verwundern, wenn über diesen Zweig des Wissens die merkwürdigsten Ansichten auftauchen. So lange es nur bei den Ansichten bleibt, kann man dem Fachmanne die Danaidenarbeit ihrer Ausrottung erlassen. Werden sie dagegen auf das praktische Leben übertragen, und zwar nicht in vereinzelten Fällen, sondern als historisches Gemeingut von Nationen, so sollte doch endlich der hergebrachte Ammenglaube einer richtigen Auffassung der Sache zum Wohle der Menschheit Platz machen, vorzüglich wenn dadurch der Entwickelung des jungen Organismus hindernd in den Weg getreten wird. So schadlos und sogar bestechend der im Folgenden beispielsweise angeführte Brauch scheint, desto gefährlichere Folgen kann seine fortgesetzte Anwendung mit sich führen.
Wie bekannt, ist die Athmung die erste Arbeit des neugeborenen Kindes. Den Sauerstoff, welchen es bisher von der Mutter zugeführt erhalten, muß es sich jetzt vermittelst seiner Lungen selbst erwerben. Diese liegen vor der Geburt zusammengefallen in der Brusthöhle, ohne eine Spur von Luft zu enthalten. Durch den Reiz der Kohlensäure dehnen die Brustmuskeln den Thorax aus; es entsteht zwischen Lunge und Brustkasten ein luftleerer Raum, in welchen durch den Druck der Außenluft mittelst kräftiger Einathmungen die schwammige Lunge hinein ausgedehnt wird. Findet dieses nicht statt, an einzelnen Stellen oder auch an ganzen Lappen, so bleiben diese eingesunken, luftleer und bis in die spätesten Zeiten von den übrigen Theilen erkennbar. Dadurch wird aber immer ein Theil von Lungenfläche für den aufzunehmenden Sauerstoff, also für seinen Zweck unbrauchbar. Es ist nun klar, daß, je mehr der Brustkasten sich ausdehnt, um so kräftigere Einathmungen (vielfach die umgekehrte Ansicht wie beim Frosche) sich anschließen, und dadurch die Lungen sowohl am schnellsten an ihre neue Gleichgewichtslage gewöhnt, wie auch durch die stärkere Ausdehnung zu größerem Umfange gebracht werden und mit mehr Arbeit, also Sauerstoffaufnahme und Kohlensäure-Abgabe antworten können. Als das Natürlichste wäre nun zu erwarten, daß man auf jede Weise diese Arbeit erleichtern und jede Beengung des Brustkastens als ein Hinderniß für die Athmung entfernen würde. Doch was geschieht? Man nimmt ein Stück leinene Rolle, welche den sehr bezeichnenden Namen „Wickelbinde“ führt, und schlingt es in Touren von dem Leibe nach aufwärts mit ziemlicher Festigkeit um die Brust des armen Wurmes. Es gehört wirklich deutsche Zähigkeit dazu, um unter solchen drückenden Verhältnissen überhaupt noch Einathmungen zustande zu bringen.
Wie unangenehm aber für das arme Kind diese Einwickelung ist, davon kann sich jeder Familienvater auf das Leichteste überzeugen. Denn sobald es aus dieser Marterrolle herausgenommen, reckt und dehnt es sich, daß man es jeder Bewegung ansieht, wie froh einmal der ungehinderten Athmung Genüge geleistet wird. Die Athemzüge werden sogleich um ein Bedeutendes tiefer. Noch in anderer Hinsicht ist dieser Brauch ungemein gefährlich. Der kindliche Brustkasten dehnt sich in den ersten Monaten relativ am meisten aus, und jedes Hinderniß dieser Ausdehnung wird sich später sicher rächen. Denn 1) werden die noch weichen Rippen nach vorn und unten gedrückt; es entsteht eine Hinneigung zum schwindsüchtigen Brustkasten; 2) wird die Lunge an eine kleinere Gleichgewichtslage gewöhnt; die Einathmungen geschehen viel zu flach und dem Körper kann nicht die genügende Menge Sauerstoff zugeführt werden, zwei Factoren, welche bei der jetzt so häufigen Schwindsucht und Scrophulose immerhin mit in Rechnung zu bringen sind. Wird aber 3) das Kind zu dieser Zeit von einer Lungenkrankheit befallen, so sind dann diese Lungen um vieles mehr zu chronischen Erkrankungsprocessen disponirt als normal ausgedehnte, zumal auch vor Allen das Kind nicht gelernt hat, durch tiefe Einathmungen angesammeltes Secret zu entfernen. Die Häufigkeit dieser Unsitte ist leider nicht übertrieben. Mit wenigen Ausnahmen vernünftiger Mütter wird man sie beinahe in jeder deutschen Kinderstube antreffen. Der Nutzen dieser Wickelei soll darin bestehen, daß durch sie ein Auswachsen und Verbiegen des Neugeborenen verhindert wird – natürlich eine gänzlich irrthümliche Meinung. Denn einestheils ist diese Vorsicht übertrieben, und anderntheils erhält das vor der Geburt ebenfalls ungewickelte Rückgrat durch das Bettchen genügende Festigkeit, um, falls nicht sinnlose Bewegungen vorgenommen werden, welche die Binde ebenfalls nicht verhindert, nach den Regeln der Körperform zu wachsen. Vor allen Dingen befreie man den jungen deutschen Nachwuchs aus dieser ererbten Zwangsjacke, und ein frischeres Leben wird schon in den ersten Monaten durch die befreite Athmung den jugendlichen Körper durchströmen können.
Ein rachsüchtiges Reh. Vor Kurzem bemerkte Herr Oberförster Brake, ein durchweg glaubhafter Ehrenmann, dessen Dienstwohnung bei Sondershausen dicht an der Waldung der Hainleite liegt, in der Nähe des Hauses ein Reh, welches wohl die äußerste Noth des diesjährigen Winters dahin getrieben hatte. Beim Anblick des Hundes, welcher den Oberförster begleitete, sprang das arme Thier auf und suchte zu entfliehen, wurde aber von dem durch alle Rufe und Pfiffe des Herrn nicht zu bändigenden Hunde verfolgt und, da es entkräftet war, eingeholt und gefangen. Der rasch hinzueilende Forstmann befreite das arme Thier von seinem Feinde und ging dann daran, den ungehorsamen Hund nach Gebühr zu strafen. Während dieser Züchtigung blieb nun das Reh nicht nur zur Verwunderung Brake’s in der Entfernung einiger Schritte stehen, sondern kam bald näher und schlug und stieß nun zornig nach seinem Feinde. Zuletzt stand es sogar über dem furchtsam zusammengeschmiegten Hunde und bearbeitete dessen Körper mit seinen Vorderläufen. Ist diese gewiß selten beobachtete Rache ein Act der äußersten Verzweiflung oder glaubte das Thier in dem Oberförster einen Bundesgenossen zu erkennen, dessen Hülfe ihm erlaubte, sein Müthchen einmal an dem Feinde zu kühlen?
Für das National-Denkmal auf dem Niederwalde gingen uns unaufgefordert von verschiedenen Seiten Geldbeiträge zu, als von: Forst-Assistent Poppe in Berka, beim Sedan Feste im Kreise froher Zecher ges. Mark 16.–; E. H. in Villingen 3.–; vom Stammtische zu Niederschlema 25.50; durch Lehrer Fuchs in Kleinbardorf[WS 1] (Baiern) ges. in einer Gesellschaft von katholischen Lehrern und Lehrerfreunden 30.–; durch O. Bonde in Altenburg ges. bei der Sedan Feier in Serbitz 9.80: ges. in der Gesellschaft „Erholung“ in Dippoldiswalde 10.50; ges. beim Pütze Pitter in Düsseldorf 6.–; Einer, der dabei war, 2.99; K. H. Loguard in Emden 13.50; N. N. in Schwalenberg 3.–, mit den Worten:
Die Reichen sollen nicht allein
Des deutschen Denkmals Stifter sein,
Auch Arme wollen Gut und Leben
Dem Vaterland zum Opfer geben:
Der schönste Wald blickt öd’ und matt,
Reiht sich in ihm nicht Blatt an Blatt.
Beim Sedan-Feste in Rothenburg, ges. durch Dr. Beichhold 52.30; von einer Gesellschaft in Offenbach 17.13; im „Deutschen Hause“ in Pritz ges. 30.–; eine Vereinigung deutscher Männer in Wüstewaltersdorf an der hohen Eule 70.–; von F. R. in Guatemala (Central-Amerika), Beiträge der Deutschen und deutschen Schweizer 700.–.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Kleinbarfarf
verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1875, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_308.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)