Verschiedene: Die Gartenlaube (1874) | |
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er aber auch mit peinlichster Sorgfalt auszuweichen suchte, erklärte er sich als ein Zeichen unserer irdischen Unvollkommenheit, wie er auch eine allgemeine, aber nicht eine individuelle Unsterblichkeit dem entwickelteren menschlichen Geiste zuschrieb und eine Versetzung auf einen schöneren und vollkommeneren Weltkörper nach dem Tode sich wünschte. Todesfurcht kannte er nicht; er fühlte sich am Ende des irdischen Lebens angelangt und wünschte wohl zuweilen, noch zehn Jahre zu leben, aber ebenso wenig verlangte er, sein Leben künstlich verlängert zu sehen; nur den Schmerz wünschte er beseitigt. Er hatte ein lebhaftes Gedächtniß für seine physischen Wandlungen und Störungen und wendete auch hier wie in seinen trotz der zunehmenden körperlichen Schwäche immer geistreichen und anziehenden Unterhaltungen sich immer gern seiner Jugendzeit zu.
Wie bei den meisten Menschen, waren auch bei ihm die Erinnerungen an die Zeit seiner Kindheit und vollen Lebensjugend in seinem hohen Alter die lebendigsten geblieben; doch vermochte er mittelst seiner reichen Phantasie auch die Ereignisse des späteren Lebens oft genug äußerst lebhaft, drastisch und hinreißend zu schildern. Unvergeßlich bleibt mir ein Abend, wo er seine Begegnung mit Lady Esther Stanhope und seine nächtlichen Zusammenkünfte mit der rosenumdufteten Sibylle in seiner pikanten scherzhaften Weise uns schilderte. Selbst in seiner letzten Lebenszeit bewegte er sich in der Unterhaltung immer noch so frei, daß er stets der Mittelpunkt derselben blieb und gewandt auf alle Eigenthümlichkeiten seiner Gäste und Freunde einzugehen wußte; er konnte sich dem starren Orthodoxen gegenüber ebenso nachgiebig und tolerant zeigen, wie er alle ihm zu weit gehenden materialistischen Anschauungen geschickt bei Seite zu schieben wußte.
Pückler war, wie man zu sagen pflegt, eine weibliche Natur, so männlich und kräftig er im Leben aufzutreten wußte. Sein vorzüglich angelegter und stets sehr gepflegter Körper war im Ganzen fein und zart, seine Haut weich, fast durchsichtig; seine Züge waren regelmäßig, edel und geistvoll, seine Augen blaugrau, bald milde, einschmeichelnd und heiter, bald funkelnd und strahlend, ein schöner Spiegel seiner geistigen Beweglichkeit und Lebhaftigkeit. Er war physisch für Reize sehr empfänglich; Medicamente wirkten bei ihm schnell, deutlich und energisch, zumal er ihre Wirkungen, wenn er sich einmal zum Gebrauche von Arzneien entschlossen hatte, so wenig wie möglich zu stören suchte. Sein ganzer Organismus bewahrte bis in’s hohe Alter eine merkwürdige Zähigkeit; Krankheiten nahmen bei ihm meist einen mehr schleppenden, als acuten heftigen Charakter an. Er gab sich im Leben oft großen Unregelmäßigkeiten hin, hielt dann aber auch Rast und Ruhe, übte tagelang die größte Strenge an sich und nahm das kleinste Leiden, wenn es irgend anging, sehr ernsthaft. In seinen letzten Jahren bewachte er seine Reconvalescenz stets sehr peinlich und blieb seinen Gewohnheiten sehr getreu. Mit Aerzten besprach er sich sehr gern, und so viele sich seiner Gunst zu erfreuen gehabt hatten, so bewahrte er doch den meisten eine große und dankbare Anhänglichkeit. Seine Weichheit und sein tiefes Gemüth, gepaart mit Leidenschaftlichkeit und Feuer, andererseits seine körperliche Zähigkeit, die oft schnell eintretende Abspannung, aus der er sich aber urplötzlich wie ein Phönix erhob, sein bewunderungswürdiges Simulationstalent, das ihn bei seinem unendlichen Wechsel in Berücksichtigung und Geringschätzung der Welt wesentlich unterstützte, seine wohl zu verzeihende Eitelkeit, die ihm bis in’s hohe Alter verblieb, vor Allem seine Eigenthümlichkeit, dem augenblicklichen Eindrucke schnell zu folgen, woraus oft die reizendste Gutmüthigkeit, aber zuweilen auch eine ungerechtfertigte Strenge und ein fast unerklärbares Uebelwollen erwuchs – alles dieses war begründet in der seiner ganzen Natur aufgedrückten Weiblichkeit. Er konnte so launig, aber auch so liebenswürdig wie eine Frau sein, leichtsinnig in der Jugend, wohlwollend im Alter, leidenschaftlich bis zum Exceß und wieder apathisch und fast schüchtern zurückhaltend.
Ein großer Theil dieser Eigenthümlichkeit fand seine Begründung in dem französischen Blute, das in seinen Adern rollte. Es ist bekannt, daß seine Mutter, Gräfin Clementine Callenberg, eine Tochter der französischen Gräfin Olympia de la Tour du Pin war. Interessant ist, daß er als erstes Kind einer kaum fünfzehnjährigen Frau so starke Lebensfähigkeit erhalten hatte und wirklich über fünfundachtzig Jahre alt wurde; er wurde den 30. October 1785 an einem Sonntage geboren und starb am Sonnabend, den 4. Februar 1871, wenige Minuten vor Mitternacht.
Im Juli 1867 trat ich dem Fürsten Pückler zum ersten Male als Arzt gegenüber. Er litt schon seit einiger Zeit an einem Magenkatarrh, welcher, ohne daß Fieber hinzutrat und andere Organe wesentlich in Mitleidenschaft gezogen wurden, sich trotz vielfacher Curbestrebungen ungemein lang hinzog. Natürlich sanken die Kräfte sehr bedeutend, und die Schwäche nahm so zu, daß ernste Besorgnisse auftreten mußten. Jedoch hatten die Enthaltung jeder festen Nahrung, die Aufnahme von einfachen Flüssigkeiten und der sehr eingeschränkte Gebrauch von Medicamenten den guten Erfolg, daß das Schleimhautleiden sich wieder löste und der Patient sich gegen den Herbst soweit erholte, daß er mit allem Eifer sich wieder seinem Parke widmen konnte. Er hatte schon im Winter die feste Absicht, nach Oberitalien oder Tirol zu reisen, da ihm der Aufenthalt in Bozen schon einmal nach langer Krankheit gute Dienste geleistet hatte; er entschied sich aber endlich auf ärztlichen Rath für Wildungen, das er im August 1868 besuchte, nachdem schon Monate vorher Vorbereitungen zur Reise getroffen worden waren. Freilich erholte sich der Körper nicht mehr vollständig, vielmehr erhielt sich der Fürst nur durch äußerst vorsichtige und einfache Lebensweise, ohne daß besondere Krankheiten auftraten; kleine Unpäßlichkeiten wurden gewöhnlich durch tagelanges Zurückziehen und stillen Aufenthalt im Bette beseitigt. Aber trotz der allmählichen Abnahme der körperlichen Kräfte blieb Pückler’s Geist immer noch sehr rege und thätig, namentlich sein Sinn für die Natur und seine Neigung für Gartenkunst. Aber auch der Literatur blieb er getreu; nur die Politik und die Tagesereignisse bewegten ihn weniger. Lebhaftes Interesse gewann ihm ein in der Bibliothek des Schlosses Branitz befindliches Buch ab, das „Journal de la santé du roi Louis XIV“, niedergeschrieben von den Leibärzten desselben; auf seinen Wunsch gab ich eine Besprechung dieses Buches in Druck (Bremen 1869), bei welcher ich gleichzeitig den Zustand kurz schilderte, in welchem sich die medicinische Wissenschaft in der zweiten Hälfte des siebenzehnten und im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts in Frankreich befand. Fürst Pückler hatte in der That Vieles mit Ludwig dem Vierzehnten gemein; auch Ludwig der Vierzehnte war weniger eine männlich starke, als weiblich zähe Natur und erreichte trotz der vielen Krankheiten von den Pocken bis zur Gicht, zum Steingries und dem Brande der Alten ein ziemlich hohes Alter.
Nach Weihnachten 1870 wurde ich plötzlich zum Fürsten gerufen. Eine einfache Grippe hatte ihn befallen, störte aber diesmal die Ernährung des so ausgezeichneten Körpers bald so bedeutend, daß Ende Januar 1871 vollständiger Nachlaß der Kräfte eintrat. Am Mittwoch den 1. Februar, sah der Fürst zum letzten Male seine Nichte und spätere Universalerbin Frau von Pachelbl-Gehag, geborene Gräfin von Seydewitz, bei sich; sein Nachfolger im Majorate und in der Ausführung der vielbewunderten Anlagen des Branitzer Parkes, der Herr Reichsgraf Heinrich von Pückler, weilte damals als Rittmeister mit den deutschen Truppen im Vaterlandskriege in Frankreich.
Die Nacht des 4. Februar werde ich nie vergessen. Es war ein finsterer, stürmischer Abend, als ich das letzte Mal zu dem Schwerkranken hinausfuhr; die aufgeregte Natur stimmte zu meinem Innern, das auch unruhig und tief bewegt war. Voraussichtlich mußte in dieser Nacht die Katastrophe eintreten. Das hohe Schloß, das oft so glänzend und brillant erleuchtet war, stand starr, finster und schaurig da; nur ein matter Lichtschein drang von den oberen Eckfenstern durch die Nacht. Wo sonst die Bedienten so lebendig und geschäftig durch die hellerleuchteten Corridore stürzten, war Alles still, und Jeder ging schweigend und beklommen an dem Andern vorüber. In dem schwacherleuchteten Schlafgemache lag der Fürst wie von einem sanften Schlafe umfangen[WS 1]; nur hin und wieder murmelte er leise einige kaum verständliche Worte, die an seinen Park und seine treuen Rosse erinnerten.
Mit seinem kleinen wohlbekannten[WS 2] Geheimsecretair Billy Masser saß ich bis elf Uhr still beobachtend an diesem friedlichen Sterbelager eines so bedeutenden und Tausenden wohlbekannt gewordenen Mannes. Welche Gedanken gingen da durch unsere Seele, so tief bekümmert sie war durch den drohenden Verlust! Endlich, gegen Mitternacht, wurde der Athem immer
Anmerkungen (Wikisource)
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_679.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)