Verschiedene: Die Gartenlaube (1873) | |
|
Hand. Jetzt stürmen sie uns das Haus, um die Gefangenen zu befreien; wir werden sie herausgeben müssen.“
„Erlauben Sie, das werden wir nicht!“ rief der Oberingenieur, der sich wie gewöhnlich in vollster Opposition seinen beiden Collegen gegenüber befand. „Wir werden den Sturm aushalten und uns nöthigenfalls hier im Hause vertheidigen; Herr Berkow ist durchaus entschlossen dazu.“
„Nun, Sie freilich müssen seine Beschlüsse am besten kennen. Sie sind ja sein ausschließlicher Berather!“ meinte etwas pikirt der Director, der sich allerdings einer gleichen Intimität mit dem jungen Chef nicht rühmen konnte, obgleich seine Stellung ihn vielleicht eher dazu berechtigte.
„Herr Berkow pflegt seine Beschlüsse gewöhnlich allein zu fassen,“ entgegnete der Oberingenieur trocken. „Ich befinde mich nur, wie gewöhnlich, auch diesmal in dem Falle, ihm vollkommen beizustimmen. Es wäre wider Recht und Gewissen, es wäre eine erbärmliche Feigheit gewesen, die drei Uebelthäter laufen zu lassen. Sie hatten die eingestandene Absicht, uns die Maschinen zu zerstören.“
„Auf Hartmann’s Befehl!“ warf Schäffer ein.
„Gleichviel, sie gaben sich doch zur Ausführung her. Der Herr kam gerade recht, um das Bubenstück noch zu verhindern, und ich möchte Den sehen, der da Ruhe genug gehabt hätte, die Anstifter straflos ausgehen zu lassen. Er ließ sie festnehmen, und daran that er recht. Hartmann war freilich nicht dabei; er befand sich noch bei den Schachten, wo der Lärm gerade im vollen Gange war und wo er doch schließlich die Einfahrt nicht hindern konnte, weil der eigene Vater sich ihm entgegenstellte.“
„Ja, es war ein Glück, daß der Schichtmeister uns zu Hülfe kam!“ sagte der Director. „Er muß wohl eingesehen haben, daß ihm kein anderes Mittel mehr übrig blieb, um das Aeußerste zu verhüten, als er sich heute Morgen aus freien Stücken erbot, die Leute zur Schicht zu führen, obgleich es gar nicht sein Amt ist. Er wußte am Ende, daß sich der Sohn an ihn nicht wagen würde, und von den Uebrigen rührte Keiner die Hand gegen die Cameraden, als sie den Führer zurückweichen sahen. Dem Alten allein danken wir es, daß die Einfahrt wirklich erzwungen wurde.“
„Ich sage es ja,“ beharrte Schäffer, „die Einfahrt wurde erzwungen, mehr als die Hälfte der Knappschaft verhielt sich bereits neutral dabei, und hätte man sie nicht durch die Festnahme ihrer Cameraden gereizt, so wäre die ganze Sache in Ruhe und Frieden verlaufen.“
„In Ruhe und Frieden, so lange Hartmann befiehlt?“ lachte der Oberingenieur bitter auf; „da täuschen Sie sich ganz und gar. Er suchte einen Vorwand zum Angriffe, gleichviel, welchen, und hätte ihn schlimmsten Falles auch ohne Vorwand unternommen. Der heutige Morgen hat ihm doch wohl gezeigt, daß es mit seiner Macht reißend schnell zu Ende geht, daß er vielleicht nur heute noch über seinen Anhang gebietet, und da wagt er das Letzte. Der Mensch weiß jetzt, daß er verloren ist, und reißt rücksichtslos mit sich in’s Unglück, was ihm noch aus Furcht oder Gewohnheit folgt. Er hat nichts mehr zu schonen, und uns schont er da am wenigsten.“
Sie wurden durch Herrn Wilberg unterbrochen, der mit bleicher Miene vom Fenster zurückkam, wo er während der letzten zehn Minuten Posto gefaßt hatte.
„Der Lärm wird immer ärger,“ berichtete er zaghaft. „Es ist kein Zweifel mehr, daß sie einen Angriff gegen das Haus beabsichtigen, wenn Herr Berkow nicht nachgiebt. Das Parkgitter ist schon nieder; die ganzen Anlagen sind zerstampft und zertreten. Ach, und der herrliche Rosenflor auf den Terrassen –“
„Bleiben Sie uns mit Ihrer Sentimentalität vom Leibe!“ fuhr der Oberingenieur auf, während der Director und Schäffer zum Fenster eilten. „Jetzt, wo die Empörer uns das Haus stürmen, denken Sie an zertretene Rosenstöcke. Wollen Sie sich nicht lieber gleich hinsetzen und den Rosenjammer in Verse bringen? Ich dächte, es wäre gerade die rechte Stimmung für einen Poeten.“
„Ich habe seit einiger Zeit das Unglück, daß Alles, was ich sage und thue, den Unwillen des Herrn Oberingenieurs erregt,“ entgegnete Herr Wilberg gekränkt, aber doch mit einer Miene geheimen Selbstbewußtseins, die den Grimm seines Vorgesetzten noch zu steigern schien.
„Weil Sie nichts Vernünftiges sagen oder thun!“ grollte er, ihm den Rücken wendend und seinen Collegen folgend, die vom Fenster aus den immer mehr anwachsenden Tumult beobachteten.
„Das wird Ernst!“ sagte der Director unruhig, „sie bedrohen den Eingang. Man wird den Herrn benachrichtigen müssen.“
„Lassen Sie ihn doch wenigstens für den Augenblick in Ruhe!“ fiel der Oberingenieur ein. „Ich dächte, er wäre seit Tagesanbruch so ununterbrochen auf dem Posten gewesen, daß wir ihm die fünf Minuten bei seiner Frau gönnen dürfen. Die nothwendigsten Maßregeln sind ja alle getroffen, und wenn die Gefahr da ist, wird er auch da sein; das wissen Sie doch.“
Der Beamte hatte Recht. Arthur, seit den ersten Morgenstunden mit Befehlen, Anordnungen und persönlichem Eingreifen in ununterbrochener Thätigkeit begriffen, war bisher seiner Gattin kaum zu Gesicht gekommen und hatte sich jetzt erst mit ihr auf einige Minuten in eines der Nebengemächer zurückgezogen. Er mußte ihr dort wohl den ganzen Stand der Dinge mitgetheilt haben, denn die Arme der jungen Frau waren in angstvoller Erregung um seinen Hals geschlungen.
„Du darfst nicht hinaus, Arthur; es ist ein tollkühnes, ein verzweifeltes Wagniß! Was willst Du, der Einzelne, gegen die tobende Menge ausrichten? Gestern waren sie unter sich selber im Streite, als Du dazwischen tratest; heute wendet sich Alles gegen Dich allein. Du wirst die Kühnheit büßen müssen; ich lasse Dich nicht hinaus!“
Arthur machte sich sanft, aber entschieden los aus ihren Armen. „Ich muß, Eugenie! Es ist die einzige Möglichkeit, den Sturm noch aufzuhalten, und es ist ja nicht das erste Mal, daß ich solchen Scenen Stand halten muß. Was thatest Du denn gestern bei Deiner Ankunft?“
„Ich wollte zu Dir!“ sagte Eugenie in einem Tone, als sei damit jedes Wagniß gerechtfertigt. „Aber Du willst Dich von mir losreißen, um Dich der blinden Wuth dieses Hartmann entgegenzuwerfen. Denke an den Auftritt gestern Abend, an seine Drohungen! Wenn Du hinaus mußt, wenn es keine Wahl giebt, so laß mich wenigstens mit Dir gehen. Ich bin nicht furchtsam; ich bebe vor der Gefahr nur, sobald ich Dich allein darin weiß.“
Er beugte sich ernst, aber liebevoll zu ihr nieder. „Ich weiß, daß Du Muth hast, meine Eugenie, aber ich würde feig sein der Menge gegenüber, wüßte ich, daß ein Stein aus ihrer Mitte auch Dich treffen könnte. Ich brauche heute meinen vollen Muth, und den habe ich nicht, wenn ich Dich neben mir bedroht sehe, ohne Dich schützen zu können. Ich weiß, warum Du mich begleiten willst: Du glaubst mich sicher vor einem Arme, so lange Du an meiner Seite stehst. Täusche Dich nicht! Das ist vorbei seit gestern Abend; seitdem hast Du Antheil an dem Hasse, mit dem er mich verfolgt, und auch wenn das nicht wäre,“ hier verlor seine Stimme den zärtlich weichen Klang und die Stirne faltete sich, „ich will meine Sicherheit nicht einem Gefühl verdanken, das eine Beleidigung ist für Dich wie für mich und das schon allein die Entfernung jenes Mannes forderte, auch wenn sein sonstiges Benehmen es nicht thäte.“
Die junge Frau mußte wohl die Wahrheit dieser Worte fühlen – sie senkte in stummer Resignation das Haupt. Arthur fuhr auf:
„Da bricht das Toben von Neuem los! Ich muß fort! Unser Wiedersehen wird sich heute nur auf Minuten beschränken, und auch die werden angstvoll genug sein für Dich, mein armes Weib. Du hättest zu keiner schlimmeren Zeit zurückkehren können.“
„Möchtest Du den Sturm lieber allein aushalten, ohne mich?“ fragte Eugenie leise.
Ein Ausdruck leidenschaftlicher Zärtlichkeit erhellte die umdüsterten Züge des jungen Mannes. „Ohne Dich? Ich habe bisher ausgehalten wie der Soldat auf einem verlorenen Posten. Erst seit gestern weiß ich, daß auch der Kampf etwas werth sein kann, wenn man ein Lebensglück und eine Zukunft dabei zu gewinnen hat. Du hast mir Beides zurückgebracht, und wenn es jetzt von allen Seiten noch ärger auf uns einstürmte, ich glaube wieder an den Sieg, seit ich Dich wieder habe.“ –
Die noch immer in größter Aufregung geführten Debatten
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_319.JPG&oldid=- (Version vom 3.6.2018)