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Seite:Die Gartenlaube (1873) 318.JPG

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

fürchterlichen Wildheit gegen sie zu erheben, und die Minute schien jetzt gekommen zu sein; der Blick drohte auch ihr.

„Hartmann, Sie sprechen mit der Gattin Ihres Chefs,“ rief sie mit einem vergeblichen Versuche, ihn zur Besinnung zu bringen; „wenn Sie ihn hassen –“

„Den Chef?“ unterbrach er sie mit wildem Hohne. „Dem gilt’s hier nicht; mit dem habe ich nur zu thun an der Spitze meiner Cameraden. Arthur Berkow ist’s, den ich hasse, weil Sie seine Frau sind, weil Sie ihn lieben, und ich, ich liebe Sie, Eugenie, mehr als sonst Jemand auf der ganzen weiten Welt. Entsetzen Sie sich doch nicht so davor! Sie mußten es ja längst wissen; ich konnte ja nicht Herr darüber bleiben, sobald ich Ihnen nur nahe kam. Ich habe es niedertreten und niederzwingen wollen mit Gewalt – es ging nicht; es geht auch heute nicht, wenn ich auch erst heute wieder die alte Geschichte erlebt habe, daß nur Gleich und Gleich sich zusammenfindet und daß für Unsereins nur ein vornehmes Achselzucken übrigbleibt, wenn man sein Leben auch in die Schanze geschlagen hat. Aber wenn jetzt wieder ein Leben zu verlieren ist, dann bin ich es nicht, der sich wieder so unsinnig opfert wie damals bei Ihrer Hochzeitsfahrt unter den Hufen Ihrer Pferde; dann gilt es ein anderes als das meinige. Ich habe schon einmal einen Berkow gehaßt bis auf’s Blut; ich glaubte damals, ich könnte keinen Menschen ärger hassen auf Erden. Jetzt freilich weiß ich das besser. Zum Mörder bin ich doch nicht an ihm geworden; aber Einen giebt’s, an dem ich das werden könnte, einen Einzigen! Der Vater war es nicht; aber wenn ich einmal so an den Sohn gerathe, dann heißt es: er oder ich, oder – wir Beide!“

Er war furchtbar, der Augenblick, wo die fast bis zum Wahnsinn gesteigerte Leidenschaft dieses Mannes ihre Schranken durchbrach, ein losgelassener verheerender Strom, den nichts mehr dämmen oder aufhalten konnte. Eugenie sah, daß hier jedes Wort, jeder Ruf zu spät kam, und begriff, daß ihre Macht zu Ende war. Sie konnte nicht fliehen; er hatte ihr den Weg zur Thür vertreten, aber sie eilte zum Klingelzuge und riß mit aller Gewalt daran. Die Diener befanden sich freilich drüben auf der andern Seite, aber es war doch immerhin möglich, daß die Glocke ihr Ohr erreichte.

Hartmann war ihr gefolgt. Er wollte ihre Hand wegreißen von der Klingelschnur, aber in dem gleichen Moment wurde er selbst zurückgerissen von einem Arme, dem die Empörung jetzt Kraft genug lieh, die riesenhafte Gestalt wie ein Kind zur Seite zu schleudern. Arthur war es, der zwischen ihnen stand, und mit einem Aufschrei der Freude, aber auch zugleich der Todesangst flüchtete Eugenie zu ihrem Gatten; sie wußte, was jetzt kam.

Ulrich hatte sich aufgerafft, ohne einen Laut von sich zu geben, aber mit einem von der Wuth bis zur Unkenntlichkeit entstellten Antlitze. Was da in seinem Auge aufflammte, als er den Gegner erkannte, das verhieß unabwendbares Verderben; aber Arthur hatte bereits mit schneller Geistesgegenwart eine der Pistolen herabgerissen, die über seinem Schreibtische hingen, und den linken Arm um seine Frau legend, hielt er mit der Rechten dem Eindringlinge die tödtliche Waffe entgegen.

„Zurück, Hartmann! Wagen Sie es nicht, sich noch einmal zu nahen! Noch einen Schritt gegen meine Gattin, einen einzigen, und Sie liegen am Boden!“

Der Bedrohte hielt inne; trotz der Wuth, mit der er sich vorwärts stürzen wollte, sah er doch, daß die Mündung des Geschosses fest und sicher auf ihn gerichtet war und daß die Hand nicht bebte, die ihm diese Richtung gab; schon beim zweiten Schritte mußte die Kugel ihn treffen, und der Gegner blieb Sieger; er ballte die Faust, der die gleiche Waffe fehlte.

„Ich habe keine Pistolen,“ sagte er knirschend, „hätte ich sie, dann ständen wir gleich auf gleich, Herr Chef, aber freilich, so standen wir ja nie. Sie haben sich besser vorgesehen als ich; ich habe nur meine Fäuste gegen Ihre Kugel zu setzen, und da freilich ist’s kein Zweifel, wer den Kürzern zieht.“

Arthur ließ ihn nicht aus den Augen. „Sie haben dafür gesorgt, Hartmann, daß man jetzt die geladenen Waffen immer zur Hand hat. Mein Haus und mein Weib wenigstens werde ich vor Ihnen schützen, und wenn es auch eine Kugel kostet. Zurück, sage ich noch einmal!“

Es war wieder jenes secundenlange athemlose Anschauen der Beiden, wie damals bei der ersten verhängnißvollen Begegnung, wo sie ihre Kräfte zu messen schienen, und wie damals blieb der junge Chef Sieger, wenn es auch jetzt so weit gekommen war, daß er einer andern Waffe bedurfte, als blos seines Auges. Er stand noch immer unbeweglich da, den Finger am gespannten Hahne der Pistole und mit dem Blicke jeder Bewegung seines Gegners folgend, bis dieser zurückwich.

„Ich habe mein Leben nie viel geachtet,“ entgegnete Ulrich trotzig, „ich dächte, das hättet Ihr Beide hinreichend erfahren, aber ich mag mich doch nicht auf Eurer Schwelle niederschießen lassen; ich habe noch abzurechnen mit Euch. Zittern Sie doch nicht so, gnädige Frau! Sie sind ja in seinen Armen, und er ist ja sicher; jetzt ist er’s noch, aber wir sind noch nicht am Ende. Und wenn Ihr auch Beide dasteht, als könnte Euch nichts mehr auseinanderreißen, als wäret Ihr Eins in’s Andere gekettet für alle Ewigkeit, es wird auch einmal die Stunde für mich kommen, und dann, dann sollt Ihr an mich denken!“

Er ging. Der schwere Schritt tönte erst im Nebengemach, dann im Vorzimmer; zuletzt verhallte er draußen. Die junge Frau schmiegte sich fester in die Arme ihres Mannes; sie hatte es jetzt erprobt, wie sie zu schützen wußten.

„Du kamst zu rechter Zeit, Arthur,“ sagte sie, noch bebend von dem Schrecken jener Scene. „Ich hatte meine Zimmer verlassen, trotz Deiner Warnung; es war eine Unvorsichtigkeit, ich weiß es; aber ich wollte Dich hier erwarten, und im Hause wenigstens glaubte ich noch sicher zu sein.“

Arthur ließ die Waffe sinken und zog sie näher an sich. „Du warst es aber nicht, das haben wir soeben erfahren! Was wollte Hartmann hier in meinem Arbeitszimmer?“

„Ich weiß es nicht. Er suchte Dich, jedenfalls in keiner guten Absicht.“

„Ich bin von dieser Seite her auf Alles gefaßt,“ entgegnete er ruhig, die Pistole auf den Schreibtisch legend. „Du siehst, ich hatte mich bereits für ähnliche Fälle vorgesehen, aber ich fürchte, das war nur ein Vorspiel zu morgen, wo erst das eigentliche Drama beginnt. Zitterst Du davor, Eugenie? Die erbetene Hülfe kann erst gegen Abend hier sein; wir haben noch den ganzen Tag allein mit den Empörern auszuhalten.“

„An Deiner Seite zittere ich vor nichts mehr! Nur, Arthur,“ ihre Stimme nahm den Ausdruck flehender Angst an, „nur gehe mir nicht wieder allein hinaus in das Toben, wie heut Mittag! Er ist dort, und er hat Dir den Tod geschworen.“

Arthur richtete sanft das Haupt seiner jungen Gattin empor und sah ihr tief und fest in’s Auge. „Leben und Tod steht doch wohl nicht in Hartmann’s Hand allein; darüber hat doch noch ein Anderer zu entscheiden. Sei ruhig, Eugenie! Ich werde meine Pflicht thun, aber ich thue sie anders, als all die Tage vorher; weiß ich doch jetzt, daß mein Weib sich um mich ängstigt; das vergißt sich nicht so leicht!“

Draußen auf der Terrasse stand Ulrich Hartmann. Die Dämmerung war tiefer hereingebrochen; man konnte nicht mehr unterscheiden, was seine Züge aussprachen, als er zu den Fenstern des Hauses hinaufblickte, das er soeben verlassen; aber die Stimme verrieth es, mit der er halblaut, wie zum Schwur, die Drohung wiederholte, die er vorhin gegen Arthur Berkow geschleudert: „Er oder ich, oder, wenn’s sein muß – wir Beide!“




Der nächste Morgen! Das war ein Gedanke, der nicht blos Arthur und seine Gattin allein, sondern Alles, was überhaupt zum Berkow’schen Hause stand, mit schwerer Sorge erfüllte. Nun war er gekommen, dieser so gefürchtete Morgen, und schien in der That all die Befürchtungen verwirklicht zu haben, die man ihm entgegentrug. Trotz der frühen Stunde befanden sich die sämmtlichen Beamten bereits im Hause ihres Chefs. Ob sie zu einer Berathung versammelt waren, ob sie sich dorthin geflüchtet hatten – es sah fast aus, als sei das letztere der Fall, denn die Gesichter der Herren waren bleich, aufgeregt, verstört, und Reden und Gegenreden, Vorschläge, Sorgen und Befürchtungen schwirrten bunt durcheinander.

„Ich bleibe dabei, es war ein Fehler, die drei Leute in Verhaft zu nehmen!“ behauptete Schäffer, zum Director gewendet. „Das hätte man allenfalls wagen können, wenn die militärische Hülfe schon da wäre, aber nun und nimmermehr auf eigene

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_318.JPG&oldid=- (Version vom 3.6.2018)