Verschiedene: Die Gartenlaube (1873) | |
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er weiß am besten, daß ihm nichts zu nahe geschieht, wenn ich mit Dir rede.“
Ulrich wandte sich um und sah sie an; es war, als wolle er sich losreißen von den Gedanken, die das Rauschen da unten in ihm aufweckte.
„Höre, Martha, was sich Karl von Dir bieten läßt, das läßt sich so leicht kein Anderer bieten. Ich litte es nicht, daß Du mir so begegnetest. Du hättest nicht Ja sagen sollen, wenn Du nun einmal kein Herz für ihn hast.“
Das junge Mädchen wandte sich mit einer beinahe trotzigen Bewegung ab. „Er weiß, daß ich keins für ihn habe; ich habe es ihm gesagt damals, als wir uns miteinander versprachen. Er bestand doch darauf; ich kann’s nicht ändern, wenigstens jetzt noch nicht; vielleicht lerne ich’s nach der Hochzeit.“
„Vielleicht!“ sagte Ulrich mit einer Bitterkeit, die zu tief und schneidend war, um nur diesen Worten zu gelten. „Es lernt sich ja so Manches nach der Hochzeit, bei Anderen wenigstens, warum nicht auch bei Dir!“
Er schaute wieder hinab in das dunkle reißende Wasser, als könne er sich nicht davon losreißen. Da unten klang und rauschte es wieder, als flüstere es ihm böse, böse Gedanken zu. Martha stand noch immer einige Schritte von ihm entfernt; die scheue Furcht, die seit dem „Schachtunglück“ seine ganze Umgebung bannte, hielt auch sie gefesselt. Wochenlang hatte sie jedes Alleinsein, jede Annäherung vermieden; aber heute war die alte Neigung mächtig wieder aufgewacht und zog sie fast gewaltsam in seine Nähe; diese seltsame Ruhe täuschte sie nicht; sie ahnte, was sich dahinter barg.
„Du kannst den Abfall der Cameraden nicht verwinden?“ fragte sie leise. „Noch steht die Hälfte ja zu Dir, und Karl hält bei Dir aus bis zur letzten Minute.“
Ulrich lächelte verächtlich. „Heute ist’s noch die Hälfte; morgen wird’s ein Viertheil sein, und übermorgen – laß gut sein, Martha! Und was den Lorenz betrifft, der ist von jeher nur mit halbem Herzen dabei gewesen. Er hat zu mir gestanden und nicht zu der Sache, weil ich sein Freund war, und mit der Freundschaft wird es auch bald zu Ende sein. Dazu hat er Dich viel zu tief im Herzen, um mich jetzt noch ehrlich zu lieben.“
Das Mädchen machte eine heftige Bewegung. „Ulrich!“
„Nun, das kann Dich doch nicht mehr kränken! Du hast ja nicht gewollt, als ich Dich bat, meine Frau zu werden. Hättest Du es gethan, es wäre Vieles besser geworden.“
„Es wäre nicht besser geworden!“ sagte Martha entschieden. „Ich bin nicht dazu gemacht, auszuhalten, was Karl Tag für Tag so geduldig trägt, und so wie zwischen ihm und mir wäre es auch zwischen uns Beiden gegangen; nur wäre ich’s da gewesen, die es tragen mußte. Ich hatte ja nicht einmal ein Stück von Deinem Herzen; Deine Liebe war ganz wo anders.“
Es lag ein bitterer Vorwurf in den Worten; aber selbst diese Hindeutung vermochte Ulrich heute nicht zu reizen. Er war aufgestanden und blickte nach dem dämmernden Parke hinüber, als suche er dort etwas zwischen den Bäumen.
„Du meinst, ich hätte das näher und besser haben können, wenn ich’s nur gesucht hätte, und da hast Du Recht. Aber so etwas sucht man nicht, Martha; es packt Einen plötzlich und läßt dann nicht wieder los, so lange noch ein Athemzug in der Brust ist. Ich hab’s erfahren! – Ich habe Dir wehe gethan, Mädchen, wie wehe, das weiß ich jetzt erst; aber glaube mir, es ist kein Segen bei solch einer Liebe; man trägt oft schwerer daran als an dem bittersten Hasse!“
Sie klang seltsam, diese halbe Bitte um Verzeihung in dem Munde Ulrich Hartmann’s, der sonst wenig danach fragte, ob er Jemandem wehe that oder nicht, und es war überhaupt etwas in den Worten, das seinem Charakter sonst unendlich fern lag, eine dumpfe Resignation, ein Schmerz, der nichts Wildes und Leidenschaftliches mehr hatte, aber eben deshalb um so erschütternder wirkte. Martha vergaß Scheu und Furcht; sie trat dicht an seine Seite.
„Was hast Du, Ulrich? Du bist so seltsam heut, wie ich Dich noch nie gesehen habe. Was fehlt Dir?“
Er strich mit der Hand das blonde Haar von den Schläfen und stützte sich auf das Holzgitter.
„Ich weiß nicht! Es liegt etwas auf mir, schon den ganzen Tag lang, was ich nicht los werden kann, was mir alle Kraft nimmt. Ich brauche sie doch wahrhaftig zu morgen, aber sobald ich daran denken will, ist Alles schwarz und finster, als gäbe es gar nichts mehr, was über dieses ‚morgen‘ hinaus läge, als wäre mit diesem ‚morgen‘ Alles zu Ende, Alles!“ Ulrich fuhr plötzlich mit einem Anfluge seines alten Trotzes in die Höhe. „Alberne Gedanken! Ich glaube, das Wasser da unten hat es mir angethan mit seinem verwünschten Rauschen. Ich habe auch gerade Zeit, darauf zu hören. Leb’ wohl!“
Er wollte gehen, das Mädchen hielt ihn angstvoll zurück. „Wohin willst Du? Zu den Cameraden?“
„Nein, ich muß noch einen Gang allein thun. Leb’ wohl!“
„Ulrich, ich bitte Dich, bleib!“
Die kurze Weichheit des jungen Bergmanns war schon wieder vorüber; er riß sich ungeduldig los.
„Laß mich! Ich habe nicht Zeit zum Reden – ein andermal!“ Er stieß die Gartenthür auf und verschwand kurz darauf in der Dämmerung nach der Richtung des Parkes hin.
Martha stand mit gefalteten Händen da und sah ihm nach. Kränkung und bitterer Schmerz stritten sich in ihren Zügen, aber der Schmerz behielt doch die Oberhand. „Es ist kein Segen bei einer solchen Liebe!“ die Worte hallten noch in ihrem Herzen wieder – sie fühlte, es war auch kein Segen bei der ihrigen. –
Inzwischen befand sich Eugenie Berkow allein im Arbeitszimmer ihres Mannes. Es blieb den beiden Gatten nicht viel Zeit, sich dem neu errungenen Liebes- und Lebensglück hinzugeben. Schon zweimal hatte Arthur von ihrer Seite fortgemußt, heut Mittag, wo er sich mitten in die Empörung geworfen und sie für den Augenblick auch bewältigt hatte, und jetzt wieder, wo eine Conferenz mit den Beamten ihn abrief. Aber trotz der Angst um ihn und trotz der Sorge um die noch so finster drohende Gegenwart strahlte das Antlitz der jungen Frau doch von dem Widerschein eines tief innerlichen Glückes, das, nach so langen Kämpfen endlich errungen, vor keinen äußeren Stürmen mehr bebte. Sie war bei ihrem Manne, an seiner Seite, in seinem Schutze, und Arthur schien es nur zu gut zu verstehen, sein Weib alles Andere vergessen zu machen außer diesem Einen.
Da wurde eine Thür geöffnet, und Schritte ertönten im Nebengemach. Eugenie erhob sich, um dem Kommenden entgegen zu eilen, den sie natürlich für ihren Gatten hielt, aber ihr anfängliches Erstaunen beim Anblick der fremden Gestalt wich dem Schrecken, als sie in dem Eintretenden Ulrich Hartmann erkannte. Auch er stutzte und blieb betroffen stehen, als er sie gewahrte.
„Sie sind es, gnädige Frau? Ich suchte Herrn Berkow.“
„Er ist nicht hier. Ich erwarte ihn soeben,“ entgegnete Eugenie rasch, aber mit bebender Stimme. Sie wußte, welch’ eine Gefahr dieser Mann für Arthur war, welche Rolle er hier auf den Werken spielte; dennoch hatte sie nicht gezögert, sich seinem Schutze anzuvertrauen, als ihr heut Morgen keine andere Wahl blieb; aber zwischen diesem Morgen und dem Abend lag jene Stunde, in der sie Zeuge der Beschuldigungen geworden war, die der Oberingenieur ausgesprochen. Es war nur ein Verdacht; aber selbst der Verdacht eines feigen hinterlistigen Meuchelmordes, an einem Wehrlosen begangen, ist etwas Furchtbares; es hatte die junge Frau im vollsten Entsetzen dabei durchschauert. Dem offenen rücksichtslosen Feinde ihres Gatten hatte sie sich noch anvertraut; aber sie bebte zurück vor der Hand, die vielleicht von dem Blute seines Vaters geröthet war.
Ulrich bemerkte die Bewegung nur zu gut. Er blieb auf der Schwelle stehen, aber seine Stimme klang in unverkennbarem Hohne.
„Ich habe Sie wohl erschreckt mit meinem Kommen? Es war nicht meine Schuld, dast ich mich nicht anmelden lassen konnte. Sie sind schlecht bedient, gnädige Frau. Weder auf der Treppe noch auf den Corridoren fand ich einen von Ihren Lakaien. Ich hätte sie zwar sehr wahrscheinlich zur Seite geworfen, wenn sie mir den Eingang gewehrt hätten; aber der Lärm dabei wäre doch immer eine Art von Anmeldung gewesen.“
Eugenie wußte, daß er ungehindert hatte eintreten können; die beiden Diener befanden sich auf Arthur’s ausdrücklichen
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_303.JPG&oldid=- (Version vom 3.6.2018)