Verschiedene: Die Gartenlaube (1873) | |
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dumpfe, drückende Stille, die so viel Unheil in ihrem Schoße barg. Der Schichtmeister saß stumm in seinem Lehnstuhl am Ofen; Martha machte sich hier und da in der Stube zu schaffen und warf von Zeit zu Zeit einen Blick auf Ulrich, der mit verschränkten Armen schweigend, aber unaufhörlich in dem kleinen Raume auf und nieder ging. Niemand sprach zu ihm und er zu Niemand; das ehemalige Vertrautsein, das bei dem unbändigen Charakter des jungen Steigers zwar oft genug zu heftigen Scenen und Auftritten, aber ebenso oft auch wieder zur Versöhnung geführt hatte, war längst geschwunden. Ulrich herrschte jetzt im Hause so unbedingt, wie draußen bei seinen Cameraden; selbst der Vater wagte es nicht mehr, sich gegen seine Beschlüsse und Unternehmungen aufzulehnen; aber hier wie dort war es nur die Furcht noch, die ihm das erzwang; von Liebe und Vertrauen war nicht die Rede mehr.
Das Schweigen dauerte bereits eine geraume Zeit und hätte vielleicht noch länger gewährt, wäre nicht Lorenz eingetreten; Martha, die durch’s Fenster ihn kommen sah, ging ihm entgegen und öffnete die Thür. Es war doch ein eigenthümlich kaltes Verhältniß zwischen den Brautleuten; trotz des Ernstes dieser Tage, die wenig zu Zärtlichkeiten herausforderten, hätte der Gruß des Mädchens wärmer sein können, hätte vielleicht grade deswegen wärmer sein müssen, und der junge Bergmann schien das zu fühlen, denn seine Miene nahm den Ausdruck der Kränkung an, und er hielt mitten in seiner herzlichen Begrüßung inne, aber Martha bemerke beides nicht einmal, und mit einer raschen Bewegung wandte er sich zu Ulrich.
„Nun?“ fragte dieser, in seinem Gange innehaltend.
Lorenz zuckte die Achseln. „Wie ich’s Dir vorher gesagt habe! Morgen werden sich vierhundert zur Arbeit melden, ebenso viele zögern und schwanken noch. Du bist kaum mehr der Hälfte sicher.“
Diesmal fuhr Ulrich nicht auf, wie wohl sonst bei einer ähnlichen Gelegenheit; die wilde Gereiztheit, die er heute Morgen gezeigt, wo es sich doch um einen verhältnißmäßig viel geringeren Abfall seiner Cameraden gehandelt, stach seltsam ab gegen die fast unnatürliche Ruhe, mit der er jetzt wiederholte:
„Kaum mehr die Hälfte! Und wie lange wird die noch aushalten?“
Lorenz umging die Antwort. „Es ist die ganze jüngere Knappschaft! Die hat von Anfang an zu Dir gestanden und die hält auch bei Dir aus, selbst wenn es morgen wieder etwas an den Schachten geben sollte. Ulrich, willst Du es denn wirklich dahin treiben?“
„Er wird es so lange treiben,“ sagte der Schichtmeister aufstehend, „bis sie alle von ihm abfallen, einer nach dem anderen, bis er zuletzt ganz allein bleibt. Ich hab’s Euch gesagt, Ihr kommt nicht durch mit Euren unsinnigen Forderungen und Eurem unsinnigen Hasse, der bei dem Vater am Platze gewesen wäre, den aber der Sohn wahrhaftig nicht verdient hat. Es war genug, was er Euch bot, das weiß ich, der ich doch am Ende auch in den Schachten gearbeitet habe, und auch ein Herz habe für meines Gleichen, und die Meisten hätten es gern genommen, was ihnen geboten wurde, aber sie wurden ja niedergeschrieen und niedergedroht, bis sich Keiner mehr zu rühren wagte, weil sich der Ulrich in den Kopf gesetzt hatte, Unmögliches zu verlangen. Jetzt ist’s wochenlang gegangen, all das Elend, all die Sorge und die Noth, und ist doch umsonst gewesen. Es kommt doch endlich auch einmal der Tag, wo Weib und Kinder mit ihrem Hunger allem vorangehen, und so weit sind wir jetzt. Du hast’s dahin gebracht, Ulrich, Du allein; jetzt mach’ auch ein Ende damit!“
Der alte Mann war aufgestanden und blickte seinen Sohn beinahe drohend an, aber Ulrich blieb selbst diesem stummen Vorwurf gegenüber, der zu einer anderen Zeit wohl seinen ganzen Trotz herausgefordert hätte, in seiner düsteren Gelassenheit.
„Mit Dir ist nicht zu streiten, Vater,“ entgegnete er kalt, „das weiß ich längst! Du bist zufrieden, wenn Du Dein hartes Brod in Ruhe essen kannst, und was darüber hinausliegt, heißt Dir Thorheit oder Verbrechen. Ich habe Alles an Alles gesetzt! Ich dachte es durchzuführen und hätte es auch gethan, wäre dieser Berkow nicht auf einmal aufgestanden und hätte uns eine Stirn gezeigt wie von Eisen. Wenn’s jetzt mißglückt – nun, ich bin ja noch der Hälfte meiner Cameraden sicher, wie Karl sagt, und mit der werde ich es ihm zeigen, was es heißt, wenn wir unterliegen. Er soll den Sieg theuer genug bezahlen!“
Der Schichtmeister sah auf Lorenz, der mit gesenktem Kopfe dastand, ohne sich an dem Gespräche zu betheiligen, und dann wieder auf seinen Sohn.
„Sieh erst zu, ob die Hälfte Dir treu bleibt, wenn der Herr wieder so dazwischen tritt, wie heut Mittag! Das hat Dir die andere Hälfte gekostet, Ulrich. Meinst Du, es hat nicht gewirkt, wie er sich benahm, vom ersten Tage an, als Ihr anfinget, ihm zu drohen? Meinst Du, sie fühlten nicht Alle, daß er Dir und ihnen gewachsen ist und sie jetzt zur Noth allein zügeln kann, wenn Du einmal aufhörst, ihr Herr zu sein? Heut Morgen haben die Ersten die Arbeit wieder aufgenommen; schon vor drei Wochen hätten sie es gethan, wenn sie es nur gewagt hätten. Jetzt ist einmal der Anfang gemacht, jetzt ist auch kein Haltens mehr!“
„Da magst Recht haben, Vater,“ sagte Ulrich tonlos; „es ist kein Haltens mehr! Ich habe auf sie gebaut wie auf Felsen, und nun ist’s elender Sand, der mir unter den Händen zerrinnt. Berkow hat es gelernt, wie er die Feiglinge an sich zieht, mit seinen Reden, mit seiner verdammten Manier, mitten unter sie zu treten, als ob es gar keine Steine gäbe, die ihm an die Stirn fliegen könnten, gar keine Schlägel, die zur Noth auch einmal den hochgeehrten Herrn Chef treffen, und darum eben wagt sich Keiner an ihn. Ich weiß es, warum er heut auf einmal den Kopf so hoch trug, warum er mitten in das Toben hineinfuhr mit einer Miene, als könnte ihm der Sieg und das Glück jetzt gar nicht mehr fehlen, und ich weiß auch, daß es ihm jetzt zurückkommt – habe ich’s ihm doch selbst in die Arme geführt heut Morgen!“
Die letzten Worte verhallten in dem Zuwerfen der Thür, die er inzwischen geöffnet hatte, es verstand sie Keiner von den Anwesenden. Ulrich trat hinaus in’s Freie und warf sich auf die Bank nieder; es war eine unnatürliche und unheimliche Ruhe, die heut auf seinem ganzen Wesen lag; sie erschien fast beängstigend bei einem Manne, der sonst immer gewohnt war, seiner wilden Leidenschaftlichkeit den Zügel schießen zu lassen. Ob der Abfall seiner Cameraden ihn so tief getroffen, ob es etwas Anderes war, was seit dem heutigen Morgen in ihm wühlte, die stolze Siegesgewißheit, die er noch in jenen Stunden gezeigt, schien jetzt gelähmt, wenn nicht gebrochen.
An dem Gärtchen vorüber floß der breite Bach, der weiter unten die Räderwerke trieb, die freilich jetzt stille standen. Es war ein wildes heimtückisches Gewässer, dieser Bach; er hatte nichts von dem murmelnden silberhellen Blinken seiner Genossen oben im Gebirge, und doch kam auch er aus der Tiefe der Berge, gerade dort, wo die Schachte lagen. Wie oft schon hatte er versucht, harmlos spielende Kinder in seinen Strudel zu ziehen und wenigstens zu schrecken und zu quälen, wo er nicht verletzen und tödten durfte, um sich dafür zu rächen, daß man ihn dem Menschenwerke und Menschenantriebe dienstbar gemacht! Die trüben, reißenden Fluthen erschienen so unheimlich, wie sie im letzten Abendschein dahinschossen, und noch unheimlicher klang ihr Rauschen. Es zischte und murmelte darin, so höhnisch und schadenfroh, als hätten sie dort in der Tiefe dem Erdgeiste all die Tücken und Ränke abgelernt, mit denen er die Menschen umspann, die es immer wieder versuchten, ihm seine Schätze zu entreißen, mit denen er schon so manches junge warme Leben eingefordert und da unten begraben hatte in ewiger Nacht. Es war nichts Gutes, was in diesem Murmeln und Rauschen klang, und es war auch keine gute Stunde, in der es zu dem Ohr des jungen Bergmannes heraufdrang, der unbeweglich hinabstarrte, als lausche er einer geheimnißvollen Stimme.
Eine ganze Weile mochte er so gesessen haben, als ein Schritt dicht hinter ihm ertönte, und gleich darauf stand Martha vor ihm.
„Was willst Du?“ fragte Ulrich, ohne den Blick von der Fluth abzuwenden.
„Ich wollte sehen, wo Du bliebst, Ulrich!“ Es klang wie verhaltene Angst aus der Stimme des Mädchens; er zuckte die Achseln.
„Wo ich blieb? Dort drinnen ist Dein Bräutigam; um den kannst Du Dich sorgen. Mich laß’, wo ich bin!“
„Karl ist schon wieder fort!“ sagte Martha hastig, „und
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_302.JPG&oldid=- (Version vom 3.6.2018)