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Seite:Die Gartenlaube (1873) 270.JPG

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

dem zornigen Stirnrunzeln seines Vaters; heute aber schien die Gegenwart Eugeniens diesem Respect das Gleichgewicht zu halten. Sein Auge begegnete dem ihrigen, und was er darin sah, mußte ihm wohl die väterlichen Vorwürfe erträglicher machen, denn er lächelte sogar, als er ganz unbekümmert erwiderte:

„Ja, Papa, ich kann doch nicht dafür, daß ich Arthur so lieb gewonnen habe! Du hättest es auch gethan an meiner Stelle. Ich versichere Dir, er kann von einer ganz hinreißenden Liebenswürdigkeit sein, wenn er nur nicht immer so furchtbar ernst wäre, aber freilich, das steht ihm ganz ausgezeichnet. Ich habe ihm noch gestern beim Abschiede gesagt: ‚Arthur, wenn ich Dich früher so gekannt hätte –‘“

„‚Dich?‘“ unterbrach ihn der Baron mit seiner allerschärfsten Betonung.

Der junge Officier warf ziemlich trotzig den Kopf zurück. „Nun ja, wir sind Du und Du geworden! Das heißt, ich bat ihn darum, und ich sehe auch nicht ein, warum wir einander nicht so nennen sollen. Er ist ja doch mein Schwager.“

„Die Schwagerschaft hat ein Ende!“ sagte der Baron kalt, nach dem Schreibtisch zeigend, „dort liegt der Scheidungsantrag.“

Curt warf einen nicht allzu zärtlichen Blick auf das bezeichnete Blatt. „Ja so, die Scheidung! Hat Eugenie schon unterschrieben?“

„Sie ist eben im Begriff, es zu thun.“

Der junge Mann sah wieder seine Schwester an, deren Hand jetzt in der seinigen bebte und deren Lippen zuckten, wie in mühsam verhaltener innerer Qual.

„Nun, ich dächte, Papa, gerade in dem Punkte hätte sich Arthur so benommen, daß jeder Vorwurf und jede Bitterkeit gegen ihn ausgeschlossen ist. Es wäre kleinlich, ihm jetzt nicht volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ich habe nie geglaubt, daß ein Mann sich mit solcher Energie aus seiner Schlaffheit emporraffen kann, wie ich es jetzt an ihm sehe. Was er alles geleistet hat in diesen letzten Wochen, wie er überall zu rechter Zeit und am rechten Orte eingreift, was er schon für entsetzliche Scenen und Conflicte verhindert hat, er allein, mitten unter der rebellischen Menge, blos durch sein Erscheinen und die Macht seiner Persönlichkeit, das muß man sehen, um es zu glauben. Er ist geradezu zum Helden geworden – das sagen der Oberst und die Cameraden, das sagt überhaupt die ganze Stadt. Die Beamten benehmen sich ausgezeichnet, weil er sie überall anführt; auch nicht ein Einziger ist von den Werken gewichen, aber als ich abreiste, da schienen sie mir denn doch an der Grenze des Möglichen angekommen zu sein. Das Unglück ist nur, daß Arthur sich in den Kopf gesetzt hat, es solle kein Fremder zwischen ihn und seine Leute treten, und daß er das mit eiserner Consequenz durchführt. Ich glaube, wenn es zum Aeußersten kommt, so ist er im Stande, sich mit dem ganzen Beamtenpersonal im Hause zu verschanzen und sich dort bis auf den letzten Mann zu wehren, ehe er uns zu Hülfe ruft. Das sieht ihm ganz ähnlich!“

Hier zog Eugenie heftig ihre Hand aus der des Bruders. Sie stand plötzlich auf und ging an’s Fenster, der Baron dagegen erhob sich mit dem Ausdruck des lebhaftesten Unwillens.

„Ich weiß nicht, Curt, wie Du dazu kommst, eine einfache Frage nach dem Stande der Dinge auf Berkow’s Gütern mit einem so überschwenglichen Lobliede auf ihn zu beantworten. Es ist das eine Schonungslosigkeit gegen Deine Schwester, die ich gerade Dir, der sie stets mit so besonderer Zärtlichkeit zu lieben behauptete, am wenigsten zugetraut hätte. Wie Du Dich mit Deiner excentrischen Bewunderung für diesen Mann, die Du in Deiner Garnison ganz offen zur Schau zu tragen scheinst, später dort abfinden willst, wenn die Scheidung bekannt wird, überlasse ich Dir selber. Für jetzt bitte ich, daß dieses Gespräch ein Ende nimmt. Du siehst, wie peinlich es Eugenien berührt. Du wirst mich begleiten.“

„Nur einige Minuten noch laß mir Curt hier, Papa,“ bat die junge Frau leise. „Ich möchte ihn etwas fragen.“

Der Baron zuckte die Achseln. „Nun, dann wird er wenigstens die Güte haben, diesen Punkt nicht weiter zu berühren und Dich nicht noch mehr aufzuregen. In zehn Minuten stehen die Pferde unten, Curt; ich erwarte Dich dann bestimmt. Auf Wiedersehen!“

Die Thür hatte sich kaum geschlossen, als der junge Officier an’s Fenster zu seiner Schwester eilte und mit unverkennbarer, wenn auch etwas stürmischer Zärtlichkeit den Arm um sie legte.

„Bist Du mir auch böse, Eugenie?“ fragte er. „War ich wirklich schonungslos?“

Die junge Frau hob in leidenschaftlicher Spannung das Auge zu ihm empor. „Du bist bei Arthur gewesen – Du hast ihn öfter gesprochen, erst gestern noch beim Abschiede – hat er Dir nichts, gar nichts aufgetragen?“

Curt sah zu Boden. „Er läßt sich Dir und dem Papa empfehlen,“ sagte er etwas kleinlaut.

„In welcher Art? Was sagte er Dir?“

„Er rief mir nach, als ich schon im Wagen saß: ‚Empfiehl mich dem Herrn Baron und Deiner Schwester!‘“

„Und das war Alles?“

„Alles!“

Eugenie wandte sich ab; sie wollte dem Bruder die bittere Enttäuschung nicht zeigen, die sich in ihren Zügen malte, aber Curt hielt sie fest. Er hatte die schönen dunklen Augen seiner Schwester; nur war der Ausdruck bei ihm kecker, lebenslustiger, aber in diesem Augenblick – er beugte sich tief zu ihr hinab – verschwand dies Alles vor einem ungewohnten Ernst.

„Du mußt ihm wohl einmal sehr wehe gethan haben, Eugenie, und das in einer Weise, die er noch immer nicht verwinden kann. Ich hätte Dir so gern eine Zeile, ein Abschiedswort gebracht, aber das war von ihm nicht zu erlangen. Er wollte mir nie Rede stehen, so oft ich Deinen Namen nannte, aber todtenbleich wurde er jedesmal dabei und wandte sich ab und zog fast mit Gewalt ein anderes Thema herbei, um nur nichts mehr davon zu hören, gerade so, wie Du es machst, wenn ich Dir von ihm spreche. – Mein Gott, haßt Ihr Euch denn so sehr?“

Eugenie riß sich mit einer leidenschaftlichen Bewegung aus seinen Armen. „Laß mich, Curt! um Gotteswillen, laß mich! ich ertrage das nicht länger.“

Ein Ausdruck halben Triumphs flog über das Gesicht des jungen Officiers und es klang fast wie ein mühsam unterdrückter Jubel aus seiner Stimme.

„Nun, ich will mich ja nicht in Eure Geheimnisse drängen! Ich muß jetzt fort. Papa wird sonst ungeduldig; er ist so schon heut’ übler Laune. Ich soll Dich wohl jetzt allein lassen, Eugenie. Du mußt ja noch den – den Scheidungsantrag unterschreiben! Bis wir zurückkommen, wird es wohl geschehen sein. Leb’ wohl!“

Er eilte fort. Die Pferde standen in der That bereits unten im Hofe, und der Baron sah ungeduldig nach den Fenstern hinauf. Der Spazierritt gehörte diesmal nicht zu den angenehmsten, denn sowohl der älteste Sohn, als die beiden jüngeren hatten dabei die üble Laune des Vaters zu empfinden. Baron Windeg konnte es nun einmal nicht ertragen, wenn irgend etwas, das den Namen Berkow trug, in seiner Gegenwart gelobt wurde, und da er natürlich bei seiner Tochter das Gleiche voraussetzte, so fand er sie und sich beleidigt, und Curt bekam noch Verschiedenes über seine „Tactlosigkeit“ und „Rücksichtslosigkeit“ zu hören. Dieser ließ das aber sehr ruhig über sich ergehen und schien leider nicht die geringste Reue zu empfinden, dagegen bekundete er ein lebhaftes Interesse an dem Ritte selbst, oder vielmehr an der Dauer desselben. Er war so lange nicht in der Residenz gewesen, fand die äußerst belebte Promenade so unterhaltend, und brachte es denn auch wirklich dahin, die Partie so weit auszudehnen, daß die vier Herren erst mit dem Einbruch der Dunkelheit in die Stadt zurückkehrten.

Eugenie war inzwischen allein zurückgeblieben. Die Thür war abgeschlossen – sie konnte und wollte jetzt Niemand in ihrer Nähe dulden. Die Wände ihres Zimmers und die alten Familienbilder, die sie schmückten, hatten schon manche Thräne, manche bittere Stunde gesehen, damals, als es sich um die Vermählung der jungen Frau handelte, aber doch keine so schwere wie heute, denn heute galt es den Kampf mit sich selber, und der Gegner war nicht leicht zu überwinden.

Dort auf dem Schreibtisch lag das Blatt, in welchem eine Frau die gesetzliche Trennung von ihrem Manne forderte; nur die Unterschrift fehlte noch daran. War die vollzogen, so war

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_270.JPG&oldid=- (Version vom 3.6.2018)