Verschiedene: Die Gartenlaube (1873) | |
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auf beiden lag noch der schwere Schatten, als er ruhig antwortete: „Das ist mir lieb. So scheiden wir wenigstens nicht als Feinde.“
„Ja, was die Abreise betrifft,“ fiel Curt rasch ein, „Papa ist noch oben in seinem Zimmer und Eugenie augenblicklich ganz allein in dem ihrigen – wollen Sie sie nicht noch einmal sprechen?“
„Wozu?“ fragte Arthur betroffen. „Der Herr Baron kann jeden Augenblick erscheinen, und Eugenie wird schwerlich –“
„Ich stelle mich vor die Thür und lasse Niemand hinein!“ versicherte Curt eifrig. „Ich werde den Papa schon so lange hier aufzuhalten wissen, bis Ihr drinnen fertig seid.“
Eine schnelle Röthe bedeckte einen Moment lang Arthur’s Stirn, als er dem gespannt forschenden Blick seines Schwagers begegnete, aber er schüttelte ernst den Kopf.
„Nein, Curt, das ist unnöthig! Ich habe gestern Abend bereits noch einmal und ausführlich mit Ihrer Schwester gesprochen.“
„Auch über die Abreise?“
„Auch über die Abreise!“
Der junge Officier sah etwas enttäuscht aus, übrigens blieb ihm keine Zeit zu weiteren Vorschlägen, denn man hörte bereits draußen den Schritt des Barons, der gleich darauf eintrat. Curt zog sich mit einer halb trotzigen Bewegung mehr in den Hintergrund des Zimmers zurück, während er vor sich hinmurmelte: „Und richtig ist die Sache doch nicht!“
Das unumgänglich nöthige Beisammensein während des Frühstücks war vorüber. Die abgemessene Förmlichkeit des Barons und die stete Gegenwart der Diener hatten darüber hinweg geholfen; jetzt fuhr der Wagen unten auf der Terrasse vor. Die Herren nahmen ihre Mäntel um, und das Kammermädchen brachte Eugenien Hut und Shawl. Arthur bot seiner Frau den Arm, um sie hinunter zu führen. Der Schein eines vollkommenen Einverständnisses sollte ja bis zum letzten Augenblick aufrecht erhalten bleiben.
Grau und trübe war der Morgen über die Berge gekommen; grau und trübe stieg er jetzt in’s Thal hernieder, vor den Fenstern wogte ein Nebelmeer, und hier drinnen gab das frostig kalte Morgenlicht, das die Räume bereits erfüllte, ihnen etwas gespenstig Oedes und Unheimliches; es schien, als ob all die reiche Pracht, die sie schmückte, auf einmal Glanz und Farbe verloren hätte, und sie sollten ja auch jetzt leer werden, ganz leer – die junge Herrin verließ sie, um nicht wiederzukehren.
Curt machte im Stillen die Bemerkung, daß auch seine Schwester dasselbe Aussehen zeigte, das ihn vorhin an Arthur so erschreckt hatte, aber sonst konnte auch er in der Haltung Beider nichts Außergewöhnliches entdecken. Sie wußten die einmal übernommenen Rollen durchzuführen, wenn ihre Züge auch verriethen, daß es ihnen eine schlaflose Nacht gekostet, und vielleicht war diese starre kalte Fassung nicht einmal eine Rolle. Wenn der Sturm ausgetobt hat, dann folgt jene Ruhe, die uns so oft im Leben gerade über das Schwerste, das am meisten Gefürchtete verhältnißmäßig leicht hinweghilft, weil es wie ein Schleier auf der Seele liegt, der sie nicht zum klaren Bewußtsein des entscheidenden Momentes kommen läßt, weil all das frühere Kämpfen und Ringen untergeht in einem dumpfen Wehgefühl, durch das nur hin und wieder ein jäher stechender Schmerz zuckt, bei dem man sich erst besinnen muß, warum man denn eigentlich leidet. Am Arme ihres Mannes schritt Eugenie die Treppen hinunter, ohne eigentlich zu wissen, daß und wohin sie gingen. Wie im Traume sah sie die teppichbelegten Stufen, auf denen ihr Kleid rauschte; die hohen Oleanderbäume, mit denen das Vestibül geschmückt war, die Gesichter der Diener, die sich vor der gnädigen Frau verneigten, das Alles glitt undeutlich, schattenhaft vorüber – dann plötzlich berührte etwas scharf und beinahe schmerzend ihre Stirn; es war die kalte Morgenluft, in der sie zusammenschauerte, und vor sich sah sie den Wagen, der sie fortführen sollte, ihn allein, denn Terrasse, Blumenanlagen und Fontainen, das Alles verschwand in Dämmerung und Nebelgeriesel. Noch einmal begegneten sich die Augen der beiden Gatten, aber sie sagten einander nichts. Der Schleier lag schwer und dicht auch zwischen ihnen. Dann fühlte die junge Frau, wie eine Hand sich feucht und eiskalt in die ihrige legte, und hörte einige fremd und höflich klingende Abschiedsworte, die sie nicht verstand, aber es war doch Arthur’s Stimme, die sie sprach, und dabei fuhr wieder der stechende Schmerz heiß durch den dumpfen Traum – dann Hufestampfen und Räderrollen, und vorwärts ging es, hinein in das Nebelgrauen, das ringsum wallte und wogte, wie damals, als die Trennung beschlossen ward, oben auf der Waldhöhe in jener Frühlingsstunde – und was sich da trennt, das trennt sich für alle Ewigkeit!
„Wie ich Ihnen sage,“ versicherte der Oberingenieur dem Director, während sie gemeinschaftlich nach ihren beiderseitigen Wohnungen gingen, „jetzt wird’s Ernst! Der Herr Führer scheint die Angriffsparole ausgegeben zu haben, aber wir sollen ihnen den Vorwand dazu liefern. Man fordert uns ja förmlich heraus, und die Insulten sind an der Tagesordnung. Sie haben uns richtig den ganzen Bezirk aufgewiegelt; auf allen Werken ist die Geschichte jetzt erklärt; wir hatten nur die Ehre gehabt, anzufangen. Das ist Wasser auf Hartmann’s Mühle. Er trägt den Kopf noch einmal so hoch wie sonst!“
„Herr Berkow scheint auf Alles gefaßt zu sein,“ meinte der Director. „Er hat schleunigst die gnädige Frau in Sicherheit gebracht; das beweist am besten, was er von seinen eigenen Leuten fürchtet.“
„Bah, unsere Leute!“ fiel der College ein. „Mit denen wollten wir schon fertig werden, wenn nur der Eine nicht wäre! Aber so lange Der befiehlt, ist an Ruhe und Frieden nicht zu denken. Nur acht Tage lang den Hartmann fort von den Werken – und ich wollte für den Ausgleich bürgen!“
„Ich habe schon daran gedacht,“ der Director sah sich vorsichtig um und senkte dann die Stimme, „ich habe schon daran gedacht, ob man nicht den Verdacht gegen ihn benutzen könnte, den ja hier Jeder hegt und mit dem ihm wohl Keiner Unrecht thut. Was meinen Sie dazu?“
„Das geht nicht! Verdacht haben wir genug, aber wo bleiben die Beweise? An der Maschine und den Stricken hat sich nichts weiter finden lassen, als daß sie eben gerissen sind, die Herren vom Gericht haben das eingehend genug untersucht. Wie es kam und was da unten in der Tiefe vorgegangen ist, das kann eben nur Hartmann wissen, und der steht seinen Mann, auch im Leugnen. Man würde ihn ohne Resultat wieder frei geben müssen.“
„Aber eine Criminaluntersuchung würde ihn vorläufig unschädlich machen. Wenn man denuncirte, einige Wochen Haft –“
Der Oberingenieur runzelte die Stirn „Wollen Sie die Wuth unserer Leute auf sich nehmen, wenn man ihren Führer angreift? Ich nicht! Sie stürmen uns das Haus, sage ich Ihnen, wenn sie das Manöver durchschauen, und das geschieht sicher.“
„Das wäre noch die Frage. Er hat nicht mehr die alte Liebe unter ihnen.“
„Aber die alte Furcht noch! Mit der regiert er sie despotischer als je, und dann – Sie thun unserer Knappschaft Unrecht, wenn Sie glauben, sie würde den Cameraden, den Führer auf einen bloßen Verdacht hin im Stiche lassen. Scheuen mögen sie ihn, sich ihm auch entfremden mit der Zeit, aber in dem Momente, wo wir die Hand an ihn legen, da schaart sich Alles um ihn und schützt ihn auf jede Gefahr hin. Nein, nein, das geht nicht! Was wir gerade vermeiden wollen, ein blutiger Conflict, wäre dann unausbleiblich und überdies bin ich überzeugt, Herr Berkow würde dazu die Hand nicht bieten.“
„Ahnt er noch immer nichts von dem Verdachte?“ fragte der Director.
„Nein! Ihm gegenüber wagt natürlich Niemand eine Hindeutung darauf, und ich glaube, es ist besser, wir ersparen es ihm auch ferner. Er hat so schon genug zu tragen.“
„Jawohl, übergenug, und die Hiobsposten der letzten Wochen und Schäffer’s Briefe aus der Residenz scheinen doch nicht ohne Wirkung zu bleiben. Ich glaube, er denkt ernstlich an’s Nachgeben.“
„Warum nicht gar!“ fuhr der Ober-Ingenieur auf, „dazu ist es jetzt zu spät. Vor der Antwort, die er den Leuten gab, da blieb ihm allenfalls noch die Wahl, ob er sein Geld riskiren, oder die Fuchtel auf sich nehmen wollte, die es dem Herrn Hartmann beliebte uns aufzuerlegen; nach der Art, wie er ihm damals gegenübertrat, kann gar keine Rede mehr davon sein. Jede Spur von Autorität ist unwiederbringlich dahin, wenn
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_237.JPG&oldid=- (Version vom 3.6.2018)