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Seite:Die Gartenlaube (1873) 220.JPG

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Es war leider kein Geheimniß, weshalb diese Heirath geschlossen wurde; man wird es begreiflich finden, daß wir uns jetzt beeilen, sie zu lösen.“

„Da kommt Berkow!“ sagte Curt halblaut, als die Thür des Nebenzimmers geöffnet wurde. „Du willst mit ihm sprechen, Papa. Soll ich Euch allein lassen?“

Windeg machte eine verneinende Bewegung. „Du bist der älteste Sohn unseres Hauses, und bei solchen Unterredungen pflegt die Gegenwart eines Dritten heilsamen Zwang aufzuerlegen. Du bleibst, Curt!“

Während diese Worte rasch und leise gewechselt wurden, hatte Arthur das Nebenzimmer durchschritten und trat jetzt ein. Die Begrüßung war artig und eisig wie gewöhnlich, und die Unterhaltung begann mit den üblichen Floskeln. Die Gäste bedauerten, so selten der Gesellschaft ihres Wirthes theilhaftig zu werden, und dieser schützte eine Anhäufung von Geschäften vor, die ihn des Vergnügens beraubten – beiderseitige Höflichkeiten, die natürlich beiderseitig nicht geglaubt wurden und hinter die man sich verschanzte, um doch wenigstens etwas zu sagen.

„Ich hoffe, Eugeniens stete Gegenwart entschädigt Sie hinreichend für meine gezwungene Abwesenheit!“ fuhr Arthur fort, indem er durch den Salon einen Blick gleiten ließ, der die junge Frau zu suchen schien.

„Eugenie hat sich eines leichten Unwohlseins wegen zurückgezogen,“ erklärte der Baron, „und ich möchte das benutzen, um Ihnen, Herr Berkow, einen Wunsch vorzutragen, dessen Erfüllung hauptsächlich von Ihnen abhängt.“

„Wenn die Erfüllung von mir abhängt, so befehlen Sie, Herr Baron!“ Der junge Mann nahm seinem Schwiegervater gegenüber Platz, während Curt, der da wußte, was jetzt eingeleitet werden sollte, sich wie zufällig in eine Fensternische zurückzog und scheinbar aufmerksam auf die Terrasse hinausblickte. Windeg’s Haltung zeigte die vollste Gemessenheit und die vollste aristokratische Würde, die ihm zu Gebote stand; er fand es wohl nöthig, dem bürgerlichen Gemahl seiner Tochter damit zu imponiren und jeden etwaigen Widerstand von vornherein zu brechen, denn er hielt die angebotene Trennung von Seiten Arthur’s höchstens für eine Aufwallung nach irgend einer heftigen Scene, ernstlich glaubte er nicht daran.

„Man scheint der Bewegung hier auf Ihren Besitzungen eine größere Tragweite beizulegen, als sie vielleicht in Wirklichkeit hat,“ begann er. „Als ich gestern die Stadt berührte und dabei dem Commandanten der dortigen Garnison, einem Jugendfreunde, einen Besuch abstattete, wurde mir die Stimmung unter Ihren Arbeitern als eine äußerst bedrohliche und der Ausbruch von Unruhen als sehr wahrscheinlich geschildert.“

„Man scheint sich in der Stadt mehr mit meinen Werken und meinen Leuten zu beschäftigen, als ich voraussetzte,“ sagte Arthur kalt. „Jedenfalls habe ich den Herrn Oberst nicht um eventuelle Hülfe ersucht.“

Der Baron verstand die Abweisung. „Ich meinerseits habe natürlich kein Urtheil darüber!“ entgegnete er rasch. „Ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen, daß es nicht passend wäre, Eugenie etwaigen Scenen und Auftritten hier auszusetzen. Ich wünschte sehr, meine Tochter mit mir nach der Residenz zu nehmen, nur auf einige Zeit, bis die Verhältnisse hier sich geklärt haben.“

Eine leichte Bewegung zeigte sich in dem Gesichte des jungen Mannes; er warf einen schnellen Blick hinüber nach der Thür, die zu den Zimmern seiner Gattin führte, als wollte er errathen, ob der Wunsch von dort ausgegangen sei; aber seine Erwiderung klang völlig unbewegt:

„Eugenie ist durchaus Herrin ihres Willens. Wenn sie die Entfernung für nöthig hält – ich lasse ihr vollkommene Freiheit!“

Windeg neigte sehr befriedigt das Haupt. „So begleitet sie uns also morgen! Was die Dauer ihrer Abwesenheit betrifft – wir kommen da auf einen Punkt, den zu berühren uns Beiden wohl gleich peinlich ist; aber ich ziehe es dennoch vor, ihn mündlich zur Sprache zu bringen, um so mehr, als ich weiß, daß in der Hauptsache sich unsere Wünsche begegnen.“

Arthur schien von dem Sessel auffahren zu wollen; aber er bezwang sich und behielt seinen Platz.

„Ah so! Eugenie hat Ihnen bereits Mittheilungen gemacht!“

„Ja! Befremdet Sie das? Dem Vater konnte und mußte sie sich wohl zunächst anvertrauen.“

Die Lippen des jungen Mannes zuckten. „Ich setzte voraus, daß die Sache ein Geheimniß zwischen uns Beiden bliebe, bis die Zeit zum Handeln da wäre. Ich habe mich geirrt, wie ich sehe!“

„Weshalb einen einmal gefaßten Beschluß aufschieben?“ fragte der Baron ruhig. „Die Zeit zur Ausführung ist gerade jetzt günstig. Die augenblicklichen Verhältnisse auf Ihren Gütern geben den besten und unverfänglichsten Vorwand zur Entfernung meiner Tochter. Daß diese Entfernung eine dauernde ist, braucht die Welt ja für’s Erste noch nicht zu erfahren. Jetzt im Sommer, wo Alles die Residenz verläßt, können die vorbereitenden Schritte am unbemerktesten geschehen. Wo sich das Aufsehen nun einmal nicht vermeiden läßt, ist es immer vorzuziehen, der Gesellschaft eine Thatsache gegenüberzustellen; daran pflegt die Klatschsucht sich noch am ehesten zu brechen.“

Es entstand eine kurze Pause; Arthur heftete den Blick wieder, diesmal mit einem räthselhaften Ausdrucke, auf die Thür zu den Zimmern seiner Frau; dann wandte er ihn langsam auf deren Vater.

„Ging der Wunsch nach einer Beschleunigung dieser Angelegenheit von Eugenien selbst aus?“

Der Baron hielt es für passend, diesmal die Wahrheit zu verschweigen; das führte jedenfalls schneller zum Ziele, und jedenfalls war ihm Eugenie dankbar dafür.

„Ich spreche im Namen meiner Tochter!“ erklärte er gemessen.

Arthur erhob sich plötzlich und so heftig, daß der Sessel zurückflog. „Ich willige in Alles, Herr Baron! in Alles! Ich glaubte Ihrer Frau Tochter meine Gründe für einen Aufschub mitgetheilt zu haben; sie wurden zumeist von der Rücksicht auf sie dictirt; ich kam dabei nicht in Betracht. Wenn sie dessenungeachtet doch eine Beschleunigung wünscht – es sei!“

Der Ton dieser Worte war so eigenthümlich, daß Curt, der, obwohl er keine Silbe des Gesprächs verlor, doch immer noch die Terrasse zu beobachten schien, sich auf einmal umwandte und seinen Schwager verwundert ansah. Auch Windeg schien etwas betroffen zu sein; es war doch hier wahrlich kein Grund zur Gereiztheit vorhanden, wo man einen beiden Theilen lästigen Zwang etwas früher aufheben wollte.

„Sie sind also mit der Trennung unbedingt einverstanden?“ fragte er ein wenig unsicher.

„Durchaus!“

Der Baron athmete auf. Also hatte Eugenie doch Recht, als sie die sofortige Einwilligung ihres Gatten voraussetzte. Was nun noch zu erledigen war, bot nach seiner Meinung kaum noch eine Schwierigkeit.

„Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihr Entgegenkommen,“ sagte er artig; „es wird beiden Theilen den peinlichen Schritt erleichtern. Jetzt bleibt nur noch Eins, das freilich hierauf keinen Bezug hat, aber doch geordnet werden muß. Ihr Herr Vater,“ die Stirn des nunmehrigen Majoratsherrn überflog eine dunkle Röthe bei der Erinnerung, „Ihr Herr Vater hatte die Güte für mich einzutreten, Verpflichtungen gegenüber, denen ich damals nicht gerecht werden konnte. Jetzt bin ich in der Lage, dies zu thun, und ich möchte mich beeilen –“

Er hielt inne, denn Arthur schlug das Auge voll und finster auf, und der Blick verbot die Fortsetzung.

„Sollten wir diesen Punkt nicht besser ruhen lassen? Ich meinerseits bitte darum.“

„Er konnte ruhen, so lange unsere gegenseitigen Beziehungen bestanden,“ erklärte Windeg ernst, „nicht wenn sie sich lösen. Sie werden mich nicht zwingen wollen, Ihr Schuldner zu bleiben!“

„Von einer Schuld im gewöhnlichen Sinne war wohl hier nicht die Rede. Meine Vater vertrat schließlich nur seine eigenen Forderungen, und die betreffenden Documente wurden, so viel ich weiß, vernichtet, als –“ hier brach die furchtbare Gereiztheit des jungen Mannes für einen Augenblick doch durch die erzwungene Ruhe, „als Sie den Preis dafür zahlten!“

Der Baron erhob sich verletzt. „Damals wurde die Verbindung geschlossen,“ erwiderte er kalt, „allerdings auf Wunsch des Herrn Berkow; jetzt soll sie gelöst werden, zumeist auf unseren Wunsch. Die Verhältnisse liegen nunmehr umgekehrt –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_220.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)