Verschiedene: Die Gartenlaube (1873) | |
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und darüber klage ich auch nicht, aber es ist anders geworden zwischen uns, auch zwischen uns Beiden, Karl, ganz anders. Ihr seid Alle so fremd jetzt, so kalt und scheu, und manchmal kommt es mir vor, als fürchtetet Ihr mich nur noch und – weiter nichts.“
„Nein, nein, Ulrich!“ Lorenz erhob sich mit einer Heftigkeit gegen den Vorwurf, die beinahe vermuthen ließ, er habe das Rechte getroffen. „Wir vertrauen Dir ganz, Dir allein. Was Du auch gethan hast, Du hast es für uns gethan, nicht für Dich; das wissen sie Alle; das vergißt Dir Keiner!“
„Was Du auch gethan hast, Du hast es für uns gethan!“ das klang harmlos genug und konnte auch so gemeint sein, und dennoch schien ein verborgener Sinn in den Worten zu liegen, und Ulrich schien ihn herauszufühlen, denn er heftete das Auge mit durchbohrendem Ausdruck auf den Sprechenden. Dieser wich dem Blicke aus und sah zu Boden.
Ich muß fort! sagte er hastig. „Ich werde Dir den Wilms herüberschicken. Du bleibst doch hier, daß er Dich sicher findet?“
Ulrich gab keine Antwort. Die glühende Erregung der letzten Minuten war auf einmal wieder der tiefen Blässe gewichen, die sein Antlitz beim Eintreten gezeigt; er neigte nur bejahend den Kopf und wendete sich zum Fenster.
Der junge Bergmann verabschiedete sich von dem Schichtmeister und verließ die Stube; Martha stand auf und ging mit ihm hinaus. Das Mädchen hatte während der ganzen Unterredung kein einziges Wort gesprochen, aber unverwandt die Männer beobachtet. Sie blieb ziemlich lange draußen; indeß das konnte den Zurückbleibenden nicht auffallen. Sie wußten ja, daß ein angehendes Brautpaar manches miteinander zu flüstern hat, und sie schienen sich auch überhaupt nicht viel darum zu kümmern.
Vater und Sohn waren allein, aber das Schweigen, das jetzt zwischen ihnen herrschte, war vielleicht noch beängstigender, als vorhin bei Ulrich’s Eintritt. Dieser stand noch am Fenster, die Stirne gegen die Scheiben gedrückt, und starrte hinaus, ohne irgend etwas zu sehen. Der Schichtmeister hatte seinen Platz nicht verlassen; er saß noch immer am Tische, den Kopf in die Hand gestützt; aber das Gesicht des alten Mannes war seltsam verändert seit den letzten Wochen. Gram- und sorgenvoll war es geworden; die Furchen, die das Alter hinein gegraben, hatten sich noch vertieft, und das Auge blickte so matt und trübe, als sei all die frühere Rüstigkeit und Schlagfertigkeit, mit der er dem Sohne so manche derbe Strafpredigt gehalten, auf immer dahin. Still und gedrückt saß er da und machte keinen Versuch, das Gespräch wieder anzuknüpfen.
Dieses Schweigen wurde endlich für Ulrich unerträglich, und er wandte sich mit einer hastigen Bewegung um.
„Und Du sagst gar nichts, Vater, zu der Nachricht, die Wilms uns bringt? Ist Dir’s denn wirklich ganz gleich, ob wir siegen oder unterliegen?“
Der Schichtmeister hob langsam den Kopf in die Höhe. „Gleich ist mir’s nicht, aber freuen kann ich mich auch nicht, wenn Ihr nun wirklich mit Drohungen und Gewalt losbrecht. Wollen erst abwarten, wen es zuletzt trifft, die Herren oder uns! Freilich, Du fragst nichts danach, Du hast Deinen Willen durchgesetzt! Bist ja jetzt Herr und Gebieter auf den ganzen Werken. Zu Dir kommt Alles; vor Dir bückt sich Alles; Dir gehorcht Alles auf’s Wort – das war es ja, was Du von Anfang an gewollt hast, worauf das Ganze eigentlich angelegt war.“
„Vater!“ fuhr der junge Mann auf.
„Laß nur, laß!“ sagte der Schichtmeister abwehrend, „Du wirst mir’s nicht eingestehen und Dir selber auch nicht, aber es ist doch so. Sie sind Alle mit Dir gegangen, ich hab’s auch gethan, denn ich konnte am Ende nicht allein zurückbleiben. Sieh zu, wohin Du uns führst! Du hast die Verantwortung.“
„Habe ich etwa allein die Sache angefangen?“ fragte Ulrich heftig. „War’s nicht einstimmiger Beschluß, daß es anders werden müßte, und haben wir uns nicht das Wort gegeben, zusammenzustehen, bis es anders würde?“
„Wenn nicht bewilligt würde! Nun ist aber Alles bewilligt, so gut wie Alles, denn was Euch abgeschlagen wurde, das sind nicht die Forderungen unserer Bergleute; das hast Du erst hineingebracht, Ulrich, Du allein, und Du bist’s auch allein, der sie dabei festhält. Ohne Dich arbeiteten sie längst wieder, und wir hätten Ruhe und Frieden auf den Werken.“
Der junge Steiger warf trotzig den Kopf zurück. „Nun ja, von mir ging’s aus, und ich rechne es mir wahrhaftig nicht zur Schande, daß ich weiter sehe und sorge, als die Anderen. Wenn sie zufrieden sind, daß ihnen das alte Elend etwas erträglicher gemacht, das Bischen Leben in den Schachten mehr gesichert wird – ich bin’s nicht zufrieden und die Muthigen unter uns sind’s auch nicht. Wir verlangen viel, das ist wahr, – wir wollen nahezu Alles, und wenn Berkow noch der Millionär wäre, für den ihn alle Welt hält, er würde sich hüten, sich so in unsere Hände zu geben. Er ist’s aber nicht mehr und auf unseren Händen, wenn sie sich jetzt für ihn rühren oder nicht rühren, steht sein ganzes Wohl oder Wehe. Du weißt nicht, Vater, wie es drüben in den Bureaus und in den Conferenzen aussieht, aber ich weiß es und ich sage Dir, er mag sich sträuben, wie er will: nachgeben muß er doch, wenn es erst von allen Seiten auf ihn losstürmt.“
„Und ich sage Dir, er thut es nicht!“ erklärte der Schichtmeister. „Eher schließt er die Werke! Ich kenne den Arthur. Schon als kleiner Bube war er so, ganz anders wie Du. Du gingst immer mit Gewalt darauf los, wolltest mit Gewalt Alles zwingen, ob es nun eine Arbeit, oder ein Gartenzaun, oder ein Camerad war – der griff überhaupt nie gern irgend was an, und es dauerte immer lange, ehe er dazu kam; that er’s aber einmal, dann ließ er auch nicht wieder los, bis er das Ding unter sich hatte. Jetzt ist er aufgewacht, und jetzt wird er Euch Allen zeigen, was in ihm steckt. Nun er die Zügel einmal hat, reißt sie ihm Keiner aus den Händen. Der hat etwas von Deinem eigenen Starrkopf. Denk’ an mich, wenn Du ihn einmal zu fühlen bekommst!“
Ulrich blickte finster vor sich hin; er widersprach nicht mit seiner gewohnten Heftigkeit, aber man sah es ihm an, wie der Groll in ihm wühlte, daß er nicht widersprechen konnte. Vielleicht hatte er den „Starrkopf“ schon einmal gefühlt.
„Und wie die Sache nun auch ausfallen mag,“ fuhr der Vater fort, „meinst Du denn wirklich, daß Du noch Steiger bleiben kannst, daß sie Dich noch auf den Werken dulden nach Allem, was jetzt vorgekommen ist?“
Der junge Mann lachte höhnisch auf. „Nein, wahrhaftig nicht, wenn’s von Denen da drüben abhängt. Die nehmen mich sicher nicht wieder zu Gnaden an! Aber von Gnade soll auch keine Rede sein, dictiren werden wir ihnen unsere Forderungen, und die erste der ganzen Knappschaft ist die, daß ich bleibe.“
„Weißt Du das so gewiß?“
„Vater, beschimpfe mir meine Cameraden nicht!“ brach Ulrich los. „Sie lassen mich nicht im Stich!“
„Auch nicht, wenn die erste Forderung drüben ist, daß Du gehst? Und der Herr stellt sie, verlaß Dich darauf!“
„Nie! das erreicht er nie! Sie wissen Alle, daß ich’s nicht für mich gethan habe; mir ging es nicht schlimm; ich brauchte nicht zu darben und ich finde überall mein Brod. Ihr Elend war es, was ich ändern wollte. – Rede mir nicht davon, Vater! Sie machen mir oft Noth genug, aber wenn es Ernst wird, dann dringe ich durch, dann läßt mich Keiner im Stich. Wo ich sie hinführe, da gehen sie mit, und wo ich stehe, da stehen sie zu mir, und wenn’s in Noth und Tod wäre!“
„Früher – ja! Jetzt nicht mehr!“ Der alte Mann hatte sich erhoben, und jetzt erst, wo er sich dem vollen Lichte zuwendete, sah, man, wie gramvoll die Züge waren, und wie gebückt die noch vor Kurzem so kräftige Haltung war.
„Du hast ja selbst dem Lorenz gesagt, daß es anders geworden ist,“ fuhr er tonlos fort, „und Du weißt auch den Tag und die Stunde, wo es anders wurde. Ich brauche Dir das nicht erst zu sagen, Ulrich, aber mir – mir hat der Tag auch das Bischen Ruhe und Freude gekostet, das ich noch vom Alter hoffte. Jetzt ist’s vorbei damit, auf immer.“
„Vater!“ schrie der junge Mann auf.
Der Schichtmeister machte eine hastig abwehrende Bewegung. „Laß gut sein! Ich weiß ja nichts davon, will nichts davon wissen, denn wenn ich es gar noch klar und deutlich hören müßte, dann wäre es vollends aus. Ich habe genug an dem bloßen Gedanken; schon der hat mich fast um den Verstand gebracht.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_204.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)