Verschiedene: Die Gartenlaube (1873) | |
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begegnen. Jetzt läßt es sich freilich nicht vermeiden, aber wenigstens bist Du nicht mehr allein. Halte Afra fest im Zügel und bleibe dicht an meiner Seite! Vielleicht geht es dennoch ohne Conflict ab.“
All diese Worte wurden leise und rasch gewechselt, während sie kaum eine Minute lang still hielten. Jetzt ritten sie im langsamen Schritt wieder vorwärts und hinaus auf die Fahrstraße, wo man sie allerdings schon bemerkt hatte.
Arthur hatte Recht. Die Art der Begegnung konnte nicht schlimmer sein. Die Leute waren in aufgeregtem Zustande, erhitzt und erbittert durch die auf den Hütten vorgefallenen Scenen; sie fingen bereits an, schwer unter den Folgen ihres Widerstandes zu leiden, und jetzt sahen sie ihren Chef, der ihren Forderungen durchaus nicht nachgeben wollte, hoch zu Roß, an der Seite seiner vornehmen Gemahlin und, wie sie meinten, von einem Vergnügungsritt zurückkommend, – ein gefährlicher Anblick für Menschen, die bereits mit dem Mangel kämpften! Ein bedenkliches Murren wurde laut. Schon waren halblaute Drohungen, beleidigende Worte gefallen; sie verstummten zwar, als die Beiden die Chaussee erreichten, aber dafür bildete jetzt die ganze Schaar, wie auf Verabredung, eine fest geschlossene Masse, die bereit schien, den Reitern den Durchgang zu wehren.
Arthur’s Lippen zeigten wieder jenes leise nervöse Beben, das bei ihm das einzige äußere Zeichen der Erregung war, aber seine Hand bebte nicht im Geringsten, als er Afra’s Zügel ergriff, um das Thier auf alle Fälle dicht neben sich zu halten.
„Glück auf!“
Der Gruß blieb unbeantwortet. Nicht ein Einziger aus der ganzen Schaar erwiderte ihn. Statt dessen schossen feindselige Blicke von allen Seiten auf die Beiden, und die zunächst Stehenden drängten noch dichter heran.
„Wollt Ihr uns nicht durchlassen?“ fragte Arthur ernst. „Die Pferde werden unruhig, wenn Ihr so herandrängt. Gebt Raum!“
Trotz der Gefahr der Situation, die sie vollkommen begriff, blickte Eugenie doch überrascht auf ihren Gatten. Es war das erste Mal, daß sie diesen Ton von seinen Lippen hörte; er klang sehr ruhig, aber er hatte nichtsdestoweniger die volle Autorität des Herrn seinen Untergebenen gegenüber. Dieses Benehmen Arthur’s war immerhin ein Wagniß in solchem Moment, aber es wäre unbedingt geglückt, wäre die Schaar ohne Führer gewesen; sie hätte diesem Tone nachgegeben. Jetzt dagegen wendeten sich Aller Augen nach einer einzigen Richtung, als erwarteten sie von dort allein das Signal zur Nachgiebigkeit oder zum Widerstande. Dort drüben stand Ulrich Hartmann, der soeben von der Höhe herabgekommen war und den man wahrscheinlich hier erwartet hatte. Er stand unbeweglich, die Arme über einander geschlagen, die Augen fest auf Berkow und dessen Gattin gerichtet, aber es war nichts Gutes, was in diesen Augen geschrieben stand.
Arthur’s Blicke waren denjenigen der Uebrigen gefolgt. Er wandte sich jetzt vollends um.
„Hartmann, Sie sind auch heute der Führer? Nun, so sorgen Sie auch dafür, daß man uns durchläßt! Wir warten.“
Hätte in diesen Worten nur die leiseste Spur eines Befehls oder einer Bitte gelegen, gleichviel welches von beiden, es wäre der Funke im Pulverfaß gewesen, und Ulrich schien in der That nur auf diesen Funken zu warten. Aber dieses kühle Verlangen, er solle hier Ordnung schaffen, das dies als eine selbstverständliche Pflicht Hartmann’s voraussetzte und zugleich seine Autorität anerkannte, frappirte ihn doch, ohne ihn gleichwohl umzustimmen. Er kam langsam heran.
„Ja so, Sie möchten weiter reiten, Herr Berkow.“
„Gewiß! Sie sehen es ja, daß wir nach der anderen Seite hinüber wollen.“
Ein vernichtender Hohn blitzte in Ulrich’s Zügen auf. „Und dazu rufen Sie mich her? Sie sind ja der ‚Herr‘ Ihrer Werke und Ihrer Arbeiter; befehlen Sie doch, daß man Ihnen Platz macht! Oder“ – hier wurde seine Stimme wieder dumpf und drohend – „glauben Sie vielleicht jetzt, daß ich hier Herr bin und daß ich nur ein Wort zu sagen brauche, um Sie – um es Ihnen zu zeigen?“
Eugenie war bleich geworden, während sie ihr Pferd dichter an das ihres Gatten drängte. Sie wußte freilich, daß jene sprühenden Augen nicht sie bedrohten, aber für sich zitterte sie auch nicht. Jetzt fehlte ihr der Muth, die Macht geltend zu machen, der sich Ulrich vorhin gebeugt. Sie ahnte, daß jene Macht ihre Wirkung versagen würde, so lange er sie an der Seite ihres Mannes sah.
„Hundert sind immer Herr gegen Einen!“ sagte Arthur kalt. „Wenn es sich nämlich um ein Niederschlagen handelt, aber das meinten Sie doch wohl nicht, Hartmann? Oder würden Sie sich nicht sicher fühlen, wenn Sie jetzt zufällig allein unter meine Beamten geriethen? Ich denke, ich bin es hier, so gut wie in meinem Hause.“
Ulrich gab keine Antwort; er blickte finster empor zu dem jungen Manne, der mit so vollkommener Ruhe vor ihm hielt und ihn mit den klaren braunen Augen so fest anschaute wie damals, als der Streit zuerst ausbrach. Freilich damals hatte er in seinem Conferenzzimmer gestanden, umgeben und geschützt von seinen Beamten; jetzt befand er sich allein, inmitten einer aufgeregten Menge, die nur auf das Signal wartete, um mit Beleidigungen, vielleicht mit Gewaltthätigkeiten loszubrechen, und doch zuckte keine Muskel dieses Gesichtes, und doch war die Haltung so stolz und sicher, der Blick so furchtlos, als wisse und fühle er sich selbst hier als Herr.
Diese Ruhe und Sicherheit verfehlte nicht ihren Eindruck auf die an’s Gehorchen gewöhnte Menge. Es kam nur darauf an, wem sie diesmal gehorchte. Zum zweiten Male wendeten sich die Blicke fragend auf Ulrich, der noch immer stumm dastand. Er sah wieder empor, dann seitwärts auf das bleiche Antlitz Eugeniens. Auf einmal trat er zurück.
„Macht Platz, daß die Pferde durch können! Dort nach links hin!“
Dem Befehle wurde sofort Folge geleistet, mit einer Eile, daß es den Eindruck machte, als gehorchten die Leute nicht ungern. In weniger als einer Minute war eine breite Gasse geöffnet, durch die Berkow und seine Gattin ungehindert davonritten. Sie bogen jenseits der Chaussee wieder in den Waldweg ein und verschwanden gleich darauf zwischen den Bäumen.
„Höre, Ulrich!“ – Lorenz trat mit einer Art von gutmüthigem Vorwurf an seinen Cameraden heran – „vorhin hast Du mich angefahren, weil ich oben auf den Hütten zur Ruhe sprach – was hast Du denn jetzt gethan?“
Der Angeredete starrte noch immer nach den Bäumen hinüber; jetzt, wo die Persönlichkeit des jungen Chefs nicht mehr wirkte, schien er seine großmüthige Aufwallung schon wieder zu bereuen.
„‚Hundert gegen Einen!‘“ murmelte er bitter, „und ‚Ich bin sicher in Eurer Mitte!‘ Ja wohl, an schönen Redensarten fehlt’s ihnen nie, wenn sie sich fürchten, und Unsereiner beißt auch immer wieder auf den alten Köder.“
„Der sah nicht aus, als ob er sich fürchtete!“ sagte Lorenz bestimmt. „Er ist überhaupt nicht wie sein Vater. Ulrich, wir sollten doch –“
„Was sollten wir?“ unterbrach ihn Ulrich heftig. „Nachgeben, nicht wahr? Damit Ihr nur wieder Ruhe und Frieden habt, und er es nachher ärger treibt, als es der Vater je getrieben, wenn er erst merkt, daß ihm Alles glückt. Wenn ich ihn heute fortließ, so war es, weil er nicht allein war, weil er seine Frau bei sich hatte und weil –“ er brach plötzlich ab. Der stolze verschlossene Mann hätte sich eher die Zunge abgebissen, als seinen Cameraden gegenüber bekannt, welche Macht ihn hier allein zur Schonung gezwungen.
Arthur und Eugenie waren inzwischen schweigend weiter geritten. Ob die gemeinsam überstandene Gefahr sie näher aneinandergekettet, sie ließen, obgleich der nunmehr breitere Weg hinreichenden Raum gewährte, die Pferde noch immer Seite an Seite gehen und noch immer hielt Arthur Afra’s Zügel in der Hand, obwohl jetzt nichts mehr zu fürchten und die weitere Sorgfalt bei einer so kühnen Reiterin gänzlich überflüssig war.
„Begreifst Du jetzt die Gefahr Deines heutigen Ausfluges?“ fragte er endlich.
„Ja! Aber auch die Gefahr Deiner Lage.“
„Ich muß sie tragen. Du hast selbst gesehen, welchen blinden Gehorsam sich dieser Hartmann zu erzwingen weiß. Ein Wort von ihm, und man ließ uns ungehindert vorüberreiten; auch nicht ein Einziger wagte zu murren, und doch warteten sie allesammt nur auf sein Zeichen, um sich gegen uns zu wenden.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_188.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)