Verschiedene: Die Gartenlaube (1873) | |
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„Die übrigen Angelegenheiten,“ fuhr Arthur fort, „müssen vorläufig zurücktreten vor der augenblicklichen Calamität, vor der Gefahr, mit der uns die Forderungen der Bergleute und die Einstellung ihrer Arbeit im Falle der Nichtbewilligung bedrohen. Es kann hier freilich nur von einer Entscheidung die Rede sein.“
Diesmal war es Herr Schäffer, der dem Oberingenieur einen Blick zuwarf, der ebenso deutlich sprach, wie vorhin der seinige: „Sagte ich es nicht, er giebt unbedingt nach! Jetzt wird er Ihnen die Abreise ankündigen.“
Der junge Chef schien jedoch damit keine Eile zu haben; er meinte im Gegentheil: „Vor allen Dingen ist es nöthig, sich darüber zu unterrichten, wie die Leute organisirt sind und wer sie leitet.“
Es trat ein secundenlanges Schweigen ein, jeder von den Beamten scheute sich, einen Namen auszusprechen, den sie eben noch in so furchtbare Verbindung mit dem geschehenen Unglück gebracht hatten, endlich sagte der Oberingenieur:
„Hartmann leitet sie, und es ist daher kein Zweifel, daß sie gut geleitet sind und daß die Organisation nichts zu wünschen übrig läßt.“
Arthur blickte nachdenkend vor sich hin. „Das fürchte ich auch, und dann wird es einen Kampf geben, denn von einer vollständigen Bewilligung kann natürlich nicht die Rede sein.“
„Kann natürlich nicht die Rede sein!“ wiederholte der Oberingenieur triumphirend, und gab damit das Signal zu einer höchst lebhaften Debatte, in der er mit vollster Entschiedenheit seine vorhin geäußerten Ansichten verfocht. Herr Schäffer, der das Gegentheil vertrat, war nicht minder lebhaft bemüht, mit allerlei Winken und Andeutungen, die der junge Chef nur zu gut verstand, ihm die Nothwendigkeit des Nachgebens klar zu machen. Der Director hielt sich dagegen mehr neutral, rieth zum Abwarten, zum Unterhandeln. Die übrigen Beamten endlich ließen ihre Vorgesetzten sprechen und wagten sich nur hin und wieder mit einer eingestreuten Bemerkung oder unmaßgeblichen Ansicht hervor.
Arthur hörte das Alles schweigend und scheinbar aufmerksam mit an, ohne sich der einen oder der andern Partei zuzuneigen; als aber Schäffer eine längere Rede mit einem unumwundenen „wir müssen“ schloß, hob er plötzlich das Haupt mit einer solchen Entschiedenheit, daß all die Meinungen um ihn her verstummten.
„Wir müssen nicht, Herr Schäffer! Es giebt hier denn doch noch eine andere Rücksicht als blos den Geldpunkt, die Rücksicht auf meine Stellung den Leuten gegenüber, die für immer erschüttert wäre, wenn ich mich ihnen so auf Gnade und Ungnade ergäbe. Wie wenig ich auch noch mit diesen Dingen vertraut bin, so sehe ich doch, daß diese Forderungen über das Maß des Möglichen hinausgehen, und Sie geben mir das Alle einstimmig zu. Es mögen sich Mißstände eingeschlichen, die Arbeiter mögen Grund zur Klage haben –“
„Das haben sie, Herr Berkow!“ unterbrach ihn der Oberingenieur fest. „Sie haben Recht, wenn sie eine Untersuchung und Verbesserung der Schachte, wenn sie eine Erhöhung des Arbeitslohnes verlangen, und über gewisse Erleichterungen und Eintheilungen der Schichten wird sich auch reden lassen. Das Weitere ist eine übermüthige Herausforderung, die einzig und allein ihr Führer Hartmann veranlaßt hat. Er ist die Seele des Ganzen.“
„Dann wollen wir ihn zuerst selbst hören! Ich habe ihn bereits benachrichtigen lassen, daß seine und der übrigen Abgesandten Anwesenheit wohl hier nothwendig sein dürfte; sie sind jedenfalls schon da. Herr Wilberg, wollen Sie sie rufen!“
Herr Wilberg entfernte sich, aber mit offenem Munde und einer Miene, die in ihrem Ausdrucke grenzenloser Verwunderung fast dumm erschien. Herr Schäffer zog die Augenbrauen in die Höhe und sah den Director an; dieser nahm eine Prise und sah die übrigen Herren an, und dann blickten sie Alle zusammen wieder auf ihren jungen Chef, der auf einmal Anordnungen traf und Befehle ertheilte und dabei einen Ton entwickelte, in den sie sich nicht finden konnten, vielleicht mit alleiniger Ausnahme des Oberingenieurs, der seinen Collegen den Rücken gewendet und sich an Arthur’s Seite gestellt hatte, als wisse er nun, wohin er eigentlich gehöre.
Indessen kehrte Wilberg zurück, und unmittelbar hinter ihm traten Ulrich Hartmann, Lorenz und noch einer der Bergleute ein, aber die beiden Letzteren blieben, als ob sich das von selbst verstände, einige Schritte zurück und ließen den jungen Steiger allein vertreten.
„Glück auf!“ grüßte dieser, und „Glück auf!“ auch seine beiden Cameraden, aber der Ton des alten frohen Bergmannsgrußes schien hier seinem Inhalte zu widersprechen. In dem Wesen Ulrich’s hatte freilich von jeher etwas Herrisches, Trotziges gelegen, aber es hatte sich nie so herausfordernd, so geradezu verletzend kundgegeben, wie heute, wo er zum ersten Male dem Chef und dem Beamtenkreise in dieser Weise gegenüber trat, nicht mehr als ein Untergebener, der Weisungen und Befehle zu empfangen hatte, sondern als ein Abgesandter, der ihnen seine Forderungen nicht vorlegte, nein, der sie ihnen dictirte. Freilich war es kein gemeiner Hochmuth, der aus dieser Haltung sprach, aber doch die trotzige Ueberhebung, die in dem Bewußtsein eigener Kraft und fremder Schwäche wurzelt. Er ließ die finsteren blauen Augen langsam durch den ganzen Kreis schweifen, bis sie zuletzt auf dem jungen Chef haften blieben, und seine Lippen warfen sich wieder verächtlich auf, während er schweigend die Anrede erwartete.
Arthur hatte sich während der ganzen vorhergehenden Verhandlungen nicht gesetzt; er war auch jetzt stehen geblieben und stand ernst dem Manne gegenüber, der, wie man von allen Seiten behauptete, die Hauptschuld an dem Schlage trug, welcher ihm jetzt drohte. Von der viel schwereren Schuld, mit der man die letzten Augenblicke seines Vaters in Verbindung brachte, hatte der Sohn zum Glück keine Ahnung, denn er trat mit vollkommenster Ruhe in die Verhandlungen ein.
„Untersteiger Hartmann, Sie haben mir gestern durch den Herrn Director die Forderungen der sämmtlichen Bergleute meiner Werke vorlegen lassen, und im Falle der Nichtbewilligung mit allgemeiner Niederlegung der Arbeit gedroht.“
„So ist’s, Herr Berkow!“ lautete die kurze, sehr entschieden klingende Antwort.
Arthur stützte die Hand auf den Tisch, aber sein Ton war kühl, geschäftsmäßig; er verrieth nicht die mindeste Erregung.
„Vor allen Dingen möchte ich wissen, was Sie eigentlich mit diesem Vorgehen beabsichtigen. Das sind keine Forderungen, das ist eine Kriegserklärung! Sie werden sich selber sagen, daß ich dergleichen nicht bewilligen kann und nicht bewilligen werde.“
„Ob Sie es bewilligen können, weiß ich nicht, Herr Berkow,“ sagte Ulrich kalt, „ich glaube aber, Sie werden es bewilligen, denn wir sind entschlossen, die Werke so lange feiern zu lassen, bis Sie unseren Forderungen nachgekommen, und einen Ersatz finden Sie nicht in der ganzen Provinz.“
Das Argument war so schlagend, daß sich nicht viel dagegen einwenden ließ, aber der Ton, in dem es hervorgehoben wurde, zugleich so hohnvoll, daß Arthur die Stirn runzelte.
„Es ist keineswegs meine Absicht, Ihnen Alles zu verweigern!“ erklärte er fest. „Es sind unter diesen Forderungen einzelne, deren Gerechtigkeit ich anerkenne und denen ich also auch nachkommen werde. Die Untersuchung und Aenderung der Schachte, die Sie verlangen, wird geschehen; der Arbeitslohn wird, wenigstens theilweise, erhöht werden. Ich werde schwere Opfer deswegen bringen müssen, mehr vielleicht, als ich gerade jetzt in geschäftlicher Hinsicht verantworten kann, aber es wird geschehen. Dagegen müssen die anderen Punkte fallen, die einzig und allein darauf abzielen, mir und meinen Beamten die Herrschaft aus den Händen zu winden und die Disciplin zu lockern, die für ein Unternehmen wie das unserige eine Lebensfrage ist.“
Der verächtliche Zug um Ulrich’s Lippen verschwand und machte einem Ausdrucke der Befremdung und des Argwohns Platz, mit dem er erst die Beamten und dann den jungen Chef anblickte, als habe er diesen in Verdacht, er sage etwas ihm Eingelerntes her.
„Es thut mir leid, Herr Berkow, aber die Punkte fallen nicht!“ entgegnete er trotzig.
„Ich glaube wohl, daß sie gerade Ihnen eine Hauptsache sind,“ sagte Arthur, den Blick fest auf Ulrich gerichtet, „dennoch wiederhole ich Ihnen, daß sie fallen müssen. Ich werde in meinen Bewilligungen bis an die Grenze des Möglichen gehen; da aber bleibe ich stehen und thue keinen Schritt darüber hinaus. Was ich gewähre, soll und muß Jeden befriedigen, der ehrliche, lohnende Arbeit sucht. Wen es nicht befriedigt, der sucht
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_156.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)