Verschiedene: Die Gartenlaube (1873) | |
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Herr Berkow war bereits am Nachmittage desselben Tages eingetroffen, an dem Arthur und dessen Gattin sich im Walde befanden, und hatte sie schon bei ihrer Rückkehr empfangen; aber er schien diesmal nicht die ausgezeichnete Laune aus der Residenz mitgebracht zu haben, welche ihn bei seinem früheren Besuche beherrschte, als er in dem ersten Triumphe schwelgte, den die neue vornehme Verwandtschaft ihm in seinem eigenen Hause bereitete. Zwar war er auch jetzt wie gewöhnlich voll Artigkeit gegen seine Schwiegertochter, von unbegrenzter Nachsicht seinem Sohne gegenüber; aber sein ganzes Wesen zeigte doch etwas Hastiges, Unruhiges und Zerstreutes, das sich schon im Laufe des ersten Abends verrieth und sich noch deutlicher kund gab am nächsten Morgen, als Arthur zu ihm in’s Zimmer trat und eine Unterredung mit dem Vater verlangte.
„Später, Arthur, später!“ sagte er abwehrend. „Quäle mich nur jetzt nicht mit Bagatellen, wo ich den Kopf voll der ernstesten Dinge habe! Die Geld- und Geschäftsangelegenheiten in der Residenz haben mir endlose Verdrießlichkeiten bereitet; alles stockt, alles bringt Verluste statt Gewinne und – doch davon verstehst Du ja nichts, interessirst Dich auch schwerlich dafür! Ich werde die Sachen schon selbst wieder in’s Geleise bringen, aber ich bitte Dich, verschone mich nur jetzt mit Deinen Privatangelegenheiten!“
„Es ist keine Privatangelegenheit; die Sache ist auch für Dich von Wichtigkeit, Papa! Es thut mir leid, daß ich gerade jetzt, wo Du so mit Geschäften überhäuft bist, eine Stunde für mich beanspruchen muß, aber es geht nicht anders.“
„Nun denn, nach Tische!“ erklärte Berkow ungeduldig. „So lange wirst Du doch wohl warten können. Jetzt habe ich keine Zeit. Die Beamten warten bereits drüben im Conferenzzimmer, und ich habe den Oberingenieur benachrichtigen lassen, daß ich gleich nach der Conferenz mit ihm einfahren werde.“
„Einfahren?“ fragte der junge Mann aufmerksam werdend. „Du willst die Schachte besichtigen?“
„Nein! Die Aenderung an dem Hebewerk will ich besichtigen, die während meiner Abwesenheit vorgenommen worden ist. Was sollte ich in den Schachten thun?“
„Ich glaubte, Du wolltest Dich einmal persönlich überzeugen, ob es wirklich dort unten so schlimm aussieht, wie man behauptet.“
Berkow, der bereits im Begriff war zu gehen, kehrte plötzlich um und sah seinen Sohn mit einem höchst erstaunten Blicke an. „Was weißt Du denn davon, wie es in den Schachten aussieht? Wer hat Dir denn dergleichen in den Kopf gesetzt? Mir scheint, der Director hat sich, da seine vorigen Geldforderungen für Verbesserungen bei mir kein Gehör finden, an meinen Herrn Sohn gewandt. Da ist er freilich an den Rechten gekommen!“
Er lachte laut auf, ohne den Zug von Unwillen zu bemerken, der in Arthur’s Gesicht stand, als er mit einiger Schärfe entgegnete:
„Es müßte aber doch untersucht werden, in wie weit diese Verbesserungen nothwendig sind, und da Du einmal mit den Ingenieuren einfährst, so könntest Du auch wohl bei der Gelegenheit die Schachte einer eingehenden Besichtigung unterwerfen.“
„Ich werde mich hüten!“ sagte Berkow kurz. „Glaubst Du, daß ich Lust habe, mein Leben zu riskiren? Die Dinger sind gefährlich in ihrem jetzigen Zustand, das ist kein Zweifel.“
„Und doch schickst Du täglich Hunderte von Arbeitern hinunter?“
Der Ton der Frage war sehr eigenthümlich, so eigenthümlich, daß der Vater die Stirn runzelte.
„Willst Du mir etwa Moralpredigten halten, Arthur? Ich dächte, die nähmen sich in Deinem Munde etwas seltsam aus! Du scheinst Dich in der Langeweile Deines Landaufenthaltes auf die Philanthropie geworfen zu haben. Laß das lieber bleiben; es ist eine höchst kostspielige Leidenschaft, zumal in unseren Verhältnissen. Uebrigens sorge ich schon selbst dafür, daß mir nicht durch irgend ein Unglück ein Verlust erwächst, der mir gerade jetzt sehr ungelegen käme. Was nothwendig ist, wird erhalten und ausgebessert; zu umfassenden Einrichtungen habe ich für’s Erste kein Geld, und ebensowenig kann ich den Betrieb auch nur für die kürzeste Zeit aussetzen lassen; dazu hättest Du weniger brauchen müssen, als es in der letzten Zeit vor Deiner Heirath der Fall war. Ich begreife aber überhaupt nicht, weshalb Du Dich auf einmal um Dinge kümmerst, die Du sonst völlig ignorirt hast. Kümmere Dich lieber um Deine Saloneinrichtungen und Deine Wintersoiréen in der Residenz und laß mir die Sorge und die Verantwortung für Etwas, wovon Du nicht das Geringste verstehst!“
„Nein, Papa, nicht das Geringste!“ bekräftigte der junge Mann mit aufquellender Bitterkeit. „Dafür hast Du redlich gesorgt.“
„Ich glaube gar, Du willst mir Vorwürfe machen!“ fuhr Berkow auf. „Hast Du nicht alle Freuden des Lebens ausgekostet? Habe ich je ein Opfer gescheut, sie Dir im vollsten Maße zu gewähren? Hinterlasse ich Dir nicht Reichthümer, ich, der ich ohne einen Pfennig in der Tasche meine Laufbahn begann? Habe ich Dich nicht durch die Heirath mit der Baroneß Windeg in den Kreisen des Adels heimisch gemacht, dem Du früher oder später selbst angehören wirst? Ich möchte den Vater sehen, der so viel für seinen Sohn gethan hat wie ich!“
Arthur hatte während der ganzen Rede schweigend durchs Fenster geblickt; jetzt wandte er sich zum Gehen.
„Du hast vollkommen Recht, Papa, aber ich sehe, daß Dir jetzt sowohl die Zeit als die Geduld fehlt, Das anzuhören, was ich mir vorgenommen, Dir zu sagen. Nach Tische also!“
Er ging, während Berkow ihm kopfschüttelnd nachblickte. Sein Sohn kam ihm jetzt bisweilen ganz unbegreiflich vor; indessen er schien in der That wenig Zeit übrig zu haben, er verschloß hastig seinen Schreibtisch, nahm den Hut vom Tische und ging nach dem Conferenzzimmer hinüber – mit einer Miene, die den dort harrenden Beamten gerade keinen Sonnenschein verkündete. –
Im Schachte waren inzwischen die sämmtlichen Bergleute versammelt, die eben zur zweiten Schicht anfahren wollten; sie warteten auf den Obersteiger, der sich noch nicht blicken ließ. Es waren Männer jedes Alters und jedes Arbeitszweiges darunter, den die Thätigkeit in den Schachten nothwendig macht, auch die sämmtlichen Steiger dieser Abtheilung, aber sie hatten allesammt doch nur einen Mittelpunkt, Ulrich Hartmann, der inmitten der Gruppe stand, den Fuß auf die Stufen gesetzt, die Arme übereinander geschlagen, und der, obgleich er im Augenblicke nicht sprach, doch unbedingt als die Hauptperson zu gelten schien.
Eine eigentliche Besprechung konnte wohl nicht stattgefunden haben; dazu waren Zeit und Ort zu wenig geeignet, aber selbst bei diesem kurzen und zufälligen Zusammenfinden schien die Rede von Dingen gewesen zu sein, die nun einmal jetzt das Hauptthema unter den Arbeitern der Werke bildeten.
„Verlaß Dich darauf, Ulrich, sie kommen uns nicht nach auf den anderen Werken,“ sagte der junge Bergmann Lorenz, der neben Hartmann stand. „Sie meinen, es wäre ihnen noch zu früh, sie wären nicht vorbereitet genug, kurz sie haben keine Lust und wollen die Sache erst noch abwarten.“
Ulrich warf trotzig den Kopf zurück. „Meinetwegen! So gehen wir allein vor. Wir haben keine Zeit zu verlieren!“
Eine Bewegung der Ueberraschung gab sich unter den Bergleuten kund. „Allein?“ fragten Einige. „Ohne unsere Cameraden?“ setzten die Anderen hinzu, und die Mehrzahl wiederholte mit dem Ausdrucke der Besorgniß: „Schon jetzt?“
„Jetzt, sage ich,“ bekräftigte Ulrich herrisch, indem er einen herausfordernden Blick umherwarf. „Ist etwa Einer von Euch anderer Meinung, so sage er’s!“
Es schien ein nicht unbedeutender Theil der Anwesenden anderer Meinung zu sein, gleichwohl wagte sich Keiner mit einem bestimmten Widerspruch hervor, nur Lorenz sagte in bedenklichem Tone:
„Aber Du meintest ja selbst, es wäre besser, wenn alle Werke der Umgegend auf einmal aufhörten zu arbeiten.“
„Kann ich dafür, wenn sie zaudern und zaudern, bis uns die Geduld reißt?“ fragte der junge Steiger heftig. „Wenn sie durchaus warten wollen, wir können es nicht; das wissen sie recht gut. Aber sie wollen uns voran in’s Feuer schicken, um erst zu sehen, wie uns die Geschichte ausschlägt. Echt cameradschaftlich! Nun, wir werden auch ohne sie fertig werden!“
„Und glaubst Du denn wirklich, daß er“ – Lorenz warf einen Blick nach der Richtung hin, wo das Landhaus des Chefs lag, – „daß er nachgeben wird?“
„Er muß!“ sagte Ulrich bestimmt, „oder er ruinirt sich! Grade jetzt sind ihm ein paar Speculationen verunglückt; dazu
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_122.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)