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Seite:Die Gartenlaube (1873) 074.JPG

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873)

Löwe wurde sanft wie ein Lamm.“ Die schlanke weiße Hand des jungen Mannes drückte hier selbst den besprochenen Fächer so heftig zusammen, daß das kostbare Spielzeug in ernstliche Gefahr gerieth, während er spottend fortfuhr: „Und wie ritterlich er sich über Deine Hand hinneigte. Wären wir nicht dazu gekommen, ich glaube, er hätte, trotz des besten Cavaliers, einen Handkuß versucht!“

Mit einer heftigen Bewegung erhob sich Eugenie. „Ich fürchte, Arthur, dieser Mann wird Dir und Deinem Vater noch einmal etwas Anderes abzwingen, als bloßen Spott, und ich weiß nicht, ob der Letztere gerade wohl daran thut, seine Untergebenen in eine immer schärfere Opposition hineinzutreiben; die Folgen könnten einst auf ihn selbst zurückfallen.“

Ihr Gatte sah sie noch immer unverwandt an, während sie so vor ihm stand, und ihm waren doch dieses rauschende Seidengewand, dieser Spitzenduft mit den eingestreuten Rosen und dieser Perlenglanz nichts Neues mehr, so wenig wie das schöne blonde Haupt, mit den stolzen Zügen und den dunklen, jetzt in Entrüstung funkelnden Augen. Vielleicht war ihm die lebhafte Parteinahme neu, die sie für ihren Schützling zeigte. Er behielt noch den nachlässig-höhnischen Ton bei, den er während des ganzen Gespräches festgehalten, aber es barg sich dahinter etwas wie wühlende Gereiztheit, und der Fächer hatte entschiedenes Unglück in seinen Händen; das zarte, kunstvoll geschnitzte Elfenbein war zerbrochen, als er es auf den Fauteuil mehr schleuderte als warf.

„Unser ‚Lebensretter‘ hat Dir wohl eine sociale Vorlesung gehalten? Ich bedaure, derselben verlustig gegangen zu sein, aber eine Merkwürdigkeit ist dieser Hartmann jedenfalls. Er brachte zu Stande, was bisher noch keinem anderen Gegenstande möglich war, er veranlaßte uns zu einer lebhaften Unterhaltung. Aber das Interesse an diesem Thema dürfte sich nun auch wohl erschöpft haben. Meinst Du nicht?“

Das Erscheinen des Dieners, der mit einer Meldung eintrat, machte jetzt dem Gespräche ein Ende. Arthur benutzte sofort diesen Vorwand zu seiner Entfernung; er verabschiedete sich von seiner Gattin so kalt und ceremoniös, wie gewöhnlich der Verkehr zwischen ihnen war. Eugenie sah sich, nachdem auch der Diener gegangen, kaum allein, als sie in mühsam unterdrückter Erregung im Zimmer auf und ab zu schreiten begann. Sie war empört über die Kälte und Herzlosigkeit, die man gegen Ulrich’s That zeigte, aber das war es nicht allein, was ihren Schritt so heftig machte und ihr die Röthe des Zornes in die Wangen trieb.

Warum konnte sie ihrem Gatten nie mit der vollen Verachtung entgegentreten, die ihr doch seinem Vater gegenüber so leicht wurde? War er etwa Besseres werth? Es lag in dieser grenzenlosen Indolenz Arthur’s Etwas, das jeden Schlag parirte und ihm in manchen Augenblicken sogar ein geheimes Uebergewicht über die stolze, leidenschaftliche Frau gab, die sich nur zu oft von ihrem Temperamente hinreißen ließ. Er war der tief Gedemüthigte gewesen an jenem Abende, wo sie ihm mit so vernichtender Offenheit die Wahrheit enthüllte; er war der im schwersten Unrecht Befindliche heute, wo sie ihm zeigte, wie falsch er seinen und ihren Retter beurtheilt, und beide Male hatte er ihr in einer Art gegenübergestanden, die sich nicht ohne Weiteres mit Verachtung abthun und niederschmettern ließ. Sie wollte das nicht anerkennen und sie wollte es sich auch nicht eingestehen, wie es sie verletzte, daß er seit jener Erklärung zwischen ihnen nicht den leisesten Versuch mehr gemacht hatte, das wahrhaft eisige Verhältniß auch nur mit einem Worte zu mildern. Freilich hätte sie jeden solchen Versuch mit dem verächtlichsten Stolze zurückgewiesen, der ihr nur zu Gebote stand, aber daß sie gar nicht in den Fall kam, dies zu thun, daß er sich nie die Mühe nahm, auch nur einen Schritt über das hinauszugehen, was die Convenienz verlangte, das reizte sie wider ihren Willen. Eugenie pflegte sonst schnell fertig zu sein mit ihrer Liebe wie mit ihrem Haß, und dem Gatten gegenüber war ihre Empfindung entschieden, noch ehe sie ihm die Hand reichte – aber es ließ sich auf ihn nun einmal nicht aus so unerreichbarer Höhe niedersehen, wie auf seinen Vater. Die junge Frau fühlte das dunkel, wenn sie sich auch keine Rechenschaft darüber geben konnte, wodurch er dieses Gefühl erzwang.

Arthur war eben im Begriff, den Corridor zu durchschreiten, als er dem Director und dem Ober-Ingenieur begegnete, die beide, noch durch eine Besprechung mit Berkow zurückgehalten, erst jetzt im Begriff standen, das Haus zu verlassen; der junge Berkow blieb plötzlich stehen.

„Darf ich fragen, Herr Director, weshalb die Weigerung Hartmann’s, die ihm ausgesetzte Summe anzunehmen, zuerst und allein der gnädigen Frau gemeldet wurde, während ich kein Wort davon erfuhr?“ fragte er scharf.

„Mein Gott!“ sagte der Director etwas verlegen, „ich wußte nicht, daß Sie irgend welchen Werth darauf legten, Herr Berkow. Sie lehnten jedes persönliche Eingehen in diese Angelegenheit so entschieden ab, während die gnädige Frau von Anfang an ein so großes Interesse dafür kund gab, daß ich mich verpflichtet glaubte –“

„So?“ unterbrach ihn Arthur, wieder mit dem leichten, nervösen Zucken seiner Lippen, „nun, die Wünsche der gnädigen Frau müssen allerdings befolgt werden, aber ich möchte Sie denn doch ersuchen, mich bei dergleichen Geschäftsangelegenheiten,“ er legte einen Nachdruck auf das letzte Wort, „nicht so völlig zu übergehen, wie es diesmal der Fall war. Ich wünsche in Zukunft gleichfalls und zuerst davon unterrichtet zu werden, ich bitte Sie ganz entschieden darum.“

Damit ließ er den verblüfften Beamten stehen und ging in seine Zimmer hinüber. Der Director sah seinen Collegen an. „Was sagen Sie dazu?“

Der Ober-Ingenieur lachte: „Es geschehen Zeichen und Wunder! Herr Arthur fängt an, sich um Geschäftssachen zu kümmern! Herr Arthur verlangt ‚ganz entschieden‘ etwas! Das ist allerdings noch nicht dagewesen, so lange ich ihn kenne.“

„Aber dies ist ja ganz und gar keine Geschäftsangelegenheit!“ rief der Director ärgerlich. „Es ist eine reine Privatsache, und ich kann mir auch denken, wie die Geschichte zusammenhängt. Hartmann wird sich der gnädigen Frau gegenüber wohl wieder in seiner bekannten liebenswürdigen Art benommen haben. Ich fand es gleich bedenklich, daß sie ihn rufen lassen wollte – der mit seiner Unbändigkeit und Rücksichtslosigkeit im Salon! Er ist im Stande gewesen, ihr in’s Gesicht zu sagen, was er mir heut Morgen auf dem Bureau sagte: er brauche keine Bezahlung und habe sein Leben nicht für Geld in die Schanze geschlagen. Die gnädige Frau wird empört darüber sein und der junge Herr gleichfalls, und von Herrn Berkow werde ich auch wohl Artigkeiten anzuhören bekommen, weil ich diese Audienz überhaupt zugelassen habe.“

„Nun, es wäre das erste Mal, daß Herr Arthur über etwas empört ist, was seine junge Frau angeht,“ meinte der College gleichmüthig, während sie zusammen die Treppe hinunterstiegen. „Ich finde, daß die Gletscher-Atmosphäre, die in dieser Ehe herrscht, allmählich anfängt, sich auf die ganze Umgebung auszudehnen. Man spürt die Eisregion, sobald man nur in ihre Nähe kommt. Meinen Sie das nicht auch?“

„Ich fand, daß Frau Berkow heut hinreißend schön aussah! Sie war allerdings etwas sehr kühl, etwas sehr vornehm, aber doch ganz hinreißend schön!“

Der Ober-Ingenieur machte eine komische Geberde des Entsetzens.

„Um des Himmels willen! Sie fallen ja ganz in den Styl Wilberg’s; gut, daß Sie bereits in den Fünfzigen stehen! Apropos Wilberg! Der schwimmt bereits ganz und gar in romantischer Anbetung, aber ich glaube nicht, daß diese und seine unvermeidlichen Verse höheren Ortes Eifersucht erwecken. Herr Arthur scheint so wenig geneigt, seiner schönen Frau Anbetung zu widmen, als sie, solche anzunehmen. Ich kann mir nicht helfen, es werden ja täglich Convenienzehen geschlossen, aber ich habe bei dieser immer das Gefühl, als könnte sie nicht den gewöhnlichen Verlauf nehmen, als läge unter all dem Gletschereis so etwas wie ein Vulcan verborgen, der eines schönen Tages mit Donner und Blitz losbricht und uns ein Stückchen Erdbeben und ein Stückchen Weltuntergang erleben läßt. Freilich, ‚das wäre doch etwas Poesie in dieser öden Steppe des Alltagslebens!‘ würde Wilberg sagen, vorausgesetzt nämlich, daß die Eruption ihn und seine Guitarre verschont! Aber da sind wir unten. Glück auf, Herr College!“




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_074.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)