Verschiedene: Die Gartenlaube (1873) | |
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gewesen war, ihr Auge verrieth doch, daß sie wohl noch etwas Anderes sein konnte, zumal jetzt, wo es in unverkennbarer Befriedigung aufleuchtete beim Anblick des jungen Mannes, dem sie sich mit ruhiger Freundlichkeit näherte.
„Es freut mich, daß Sie meinem Rufe nachgekommen sind! Ich wünschte Sie zu sprechen, um ein Mißverständniß zu lösen. Bitte, folgen Sie mir!“
Sie öffnete eine der Seitenthüren und trat in das Nebengemach, wohin Ulrich ihr folgte. Es war der Salon der jungen Frau, der zwischen ihren eigenen Zimmern und den Gesellschaftsräumen lag – aber welch einen Contrast bildete er zu jenen! Hier floß das matte Licht der Ampel nur gedämpft über das zarte Blau der Wände und der Seidenpolster; weiche Teppiche fingen den trotzigen Schritt auf, der sie berührte, und Blumendüfte zogen leise und süß durch die milde und warme Luft und umwehten schmeichelnd Stirn und Schläfe. Ulrich war wie gebannt an der Schwelle stehen geblieben, trotzdem er doch sonst keine Schüchternheit kannte, aber es war so anders hier als in den blendenden Staatsgemächern, so viel schöner, so traumhaft still. Er konnte den Haß nicht wiederfinden, mit dem er auf die Pracht da draußen geschaut hatte; statt dessen regte sich etwas Anderes in ihm, das er noch nie empfunden, dem er keinen Namen zu geben wußte, aber es war dieser Umgebung verwandt, die ihn so seltsam umfing. Und doch wallte in dem gleichen Augenblick ein heißer Zorn darüber in ihm auf, er wich instinctmäßig zurück, wie vor einer nur dunkel geahnten Gefahr, und sein ganzes Wesen erhob sich im starren feindlichen Widerstande gegen diese Atmosphäre von Schönheit und Duft, mit ihrem schmeichelnden Zauber. Eugenie war stehen geblieben, als sie mit einiger Befremdung bemerke, daß der junge Bergmann ihr nicht folgte; sie ließ sich jetzt auf einen Sessel in der Nähe der Thür nieder, während ihr Auge prüfend sein Gesicht überflog. Das krause blonde Haar deckte völlig die noch frische Narbe, aber die Wunde, die für jeden Andern gefährlich gewesen wäre, hatte diese kräftige Natur kaum erschüttern können; Eugenie suchte vergebens in seinen Zügen nach einer Spur überstandenen Leidens. Dennoch galt ihre erste Frage jener Verletzung.
„Sie sind also völlig wiederhergestellt? Macht Ihnen die Wunde auch wirklich keine Schmerzen mehr?“
„Nein, gnädige Frau! Es war nicht der Rede werth!“
Eugenie schien den kurzen herben Ton der Antwort zu überhören; sie fuhr mit gleicher Güte fort:
„Ich erfuhr allerdings schon am nächsten Tage aus dem Munde des Arztes, daß nichts zu befürchten stünde, sonst hätten wir Ihnen auch eine eingehendere Fürsorge gewidmet. Der Herr Doctor versicherte mir wiederholt nach dem zweimaligen Besuch, den er Ihnen noch abstattete, es sei von Gefahr nicht die Rede, und auch Herr Wilberg, den ich noch am Abend des verhängnißvollen Tages zu Ihnen sandte, brachte mir die gleiche Nachricht.“
Ulrich hatte schon bei den ersten Worten das Auge gehoben und sie starr angesehen; seine finstere Stirn hellte sich langsam auf, und die Stimme hatte einen weit milderen Klang, als er endlich antwortete:
„Ich wußte nicht, daß Sie sich überhaupt so viel darum kümmerten, gnädige Frau. Herr Wilberg hat mir nicht gesagt, daß er von Ihnen kam, sonst –“
„Sonst wären Sie freundlicher gegen ihn gewesen!“ ergänzte Eugenie mit leisem Vorwurf. „Er beklagte sich über die Schroffheit, die Sie ihm an jenem Abend zeigten, und doch war er voll Theilnahme für Sie und erbot sich mit so freundlicher Gefälligkeit, mir die gewünschte Nachricht zu verschaffen. Was haben Sie gegen Herrn Wilberg?“
„Nichts! Aber er spielt Guitarre und macht Gedichte.“
Eugenie lächelte unwillkürlich bei dieser etwas seltsamen und doch erschöpfenden Charakteristik des blonden jungen Beamten.
„Das scheinen in Ihren Augen keine besonderen Vorzüge zu sein!“ sagte sie halb scherzend, „und ich glaube auch schwerlich, daß Sie sich dessen schuldig machen würden, wenn Sie die Lebensstellung des Herrn Wilberg einnähmen. Aber lassen wir das! Es war ja etwas Anderes, weßwegen ich Sie rufen ließ. Wie ich höre,“ die junge Frau spielte in leichter Verlegenheit mit ihrem Fächer, „wie ich von dem Herrn Director höre, haben Sie ein Zeichen unseres Dankes ausgeschlagen, das er beauftragt war, Ihnen zu übermitteln.“
„Ja!“ erklärte Ulrich finster, ohne die Härte dieses Ja durch ein einziges Wort zu mildern.
„Ich bedaure, wenn das Anerbieten oder die Art desselben Sie verletzt hat. Herr Berkow“ – Eugeniens Antlitz überzog eine leise Röthe, als sie die Lüge aussprach – „Herr Berkow hatte allerdings die Absicht, Ihnen persönlich seinen und meinen Dank auszusprechen; er wurde indessen verhindert und ersuchte den Herrn Director, ihn zu vertreten. Es würde mir sehr leid thun, wenn Sie darin eine Undankbarkeit oder Gleichgültigkeit unsererseits gegen unseren Lebensretter sehen wollten; wir wissen Beide, wie tief wir in seiner Schuld sind, und Sie dürfen es mir nicht auch abschlagen, wenn ich Sie jetzt bitte, aus meinen Händen –“
Ulrich fuhr auf; was die ersten Worte gemildert hatten, das verdarb der Schluß völlig wieder. Sein Antlitz war bleich geworden, als er errieth, um was es sich handelte, und in rücksichtsloser Heftigkeit brach er los:
„Lassen Sie das, gnädige Frau! Wenn Sie mir das anbieten, auch Sie, dann wollte ich, ich hätte den Wagen stürzen lassen mit Allem, was darinnen war!“
Eugenie wich zurück bei diesem plötzlichen Ausbruche jener unbändigen Wildheit, wegen deren Ulrich Hartmann auf den ganzen Werken gefürchtet war. Der Tochter des Baron Windeg mochte solch ein Ton und Blick wohl noch niemals nahe gekommen sein, wie sie denn überhaupt selbst jenen Kreisen noch nie genahet war. Sie erhob sich verletzt.
„Aufdrängen wollte ich Ihnen meinen Dank nicht! Wenn Ihnen der Ausdruck desselben so unangenehm ist, so bedaure ich, Sie hergerufen zu haben.“
Sie wandte sich um und machte Miene, das Zimmer zu verlassen, aber diese Bewegung brachte Ulrich zur Besinnung. Er that ihr heftig einen Schritt nach.
„Gnädige Frau – ich – verzeihen Sie mir! Ihnen wollte ich nicht wehe thun!“
Es lag eine so leidenschaftlich aufflammende Reue in dem Ausrufe, daß Eugenie betroffen stehen blieb und ihn anblickte, als suche sie in seinem Gesichte den Schlüssel zu diesem räthselhaften Wesen, aber die stürmische Abbitte hatte ihren Zorn entwaffnet.
„Mir nicht?“ wiederholte sie. „Ist es Ihnen denn gleichgültig, wenn Sie Andere mit Ihrer Schroffheit verletzen? Den Director zum Beispiel und Herrn Wilberg?“
„Ja!“ entgegnete Ulrich finster, „wie es umgekehrt auch ihnen gleich sein würde. Die Beamten und wir – da ist von keiner Freundschaft die Rede!“
„Nicht?“ fragte Eugenie betreten. „Ich wußte in der That nicht, daß das Verhältniß zwischen Beamten und Arbeitern hier ein so gespanntes ist, und auch Herr Berkow scheint keine Ahnung davon zu haben, sonst würde er wohl irgendwie vermittelnd eingetreten sein.“
„Herr Berkow“ – sagte Ulrich schneidend – „hat sich seit zwanzig Jahren um alles Mögliche auf den Werken gekümmert, nur nicht um die Arbeiter, und das wird so lange fortgehen, bis wir einmal anfangen, uns um ihn zu kümmern, und dann – ja so, gnädige Frau, ich vergesse ganz, daß Sie die Frau seines Sohnes sind. Entschuldigen Sie!“
Die junge Frau schwieg, fast bestürzt über diese harte und rücksichtslose Offenheit. Was sie hier vernahm, war freilich nichts Anderes, als was sie schon hin und wieder, wenn auch nur andeutungsweise, über ihren Schwiegervater gehört hatte, aber die furchtbare Bitterkeit in jenen Worten zeigte ihr mit einem Blick die ganze Tiefe der Kluft, die er zwischen sich und seinen Untergebenen aufgerissen. Wer Berkow anklagte, konnte im voraus der Sympathie seiner Schwiegertochter gewiß sein; sie hatte selbst den bittersten Beweis von der Gewissenlosigkeit dieses Mannes erhalten, aber freilich, die Gattin seines Sohnes durfte das mit keiner Miene verrathen; sie mußte die Bemerkung zum Mindesten nicht gehört haben, wenn sie dieselbe nicht rügen wollte, und Eugenie zog das Erstere vor.
„Also sie wollen durchaus kein Zeichen der Erkenntlichkeit, auch aus meinen Händen nicht?“ nahm sie, rasch von dem gefährlichen Thema ablenkend, das frühere Gespräch wieder auf. „Nun denn, so bleibt mir nur übrig, dem Manne, dessen Hand mich dem sichern Tode entriß, meinen Dank zu sagen. Werden Sie auch das zurückweisen? Ich danke Ihnen, Hartmann!“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_055.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)