Verschiedene: Die Gartenlaube (1873) | |
|
Frau ihn ausdrücklich rufen läßt? Freilich Du und er, Ihr wäret im Stande dazu.“
Martha achtete nicht auf die Zwischenrede, sie näherte sich ihrem Vetter und legte die Hand auf seinen Arm. „Wirst Du gehen?“ wiederholte sie leise.
Ulrich stand da und blickte finster zu Boden, wie im Kampfe mit sich selber; auf einmal aber warf er heftig den Kopf zurück.
„Gewiß werde ich! Ich möchte doch wissen, was es der gnädigen Frau denn eigentlich beliebt, von mir zu wollen, nachdem sie sich acht Tage lang nicht einmal die Mühe gegeben hat, nach mir –“
Er hielt plötzlich inne, als habe er bereits zu viel gesagt. Martha’s Hand war von seinem Arme herabgeglitten und sie trat zurück, der Schichtmeister aber sagte mit einem Seufzer:
„Nun gnade uns Gott, wenn Du drüben so auftrittst. Zu allem Unglück ist nun auch noch der alte Berkow gestern Abend angekommen! Wenn Ihr beide aneinander gerathet, dann bist Du die längste Zeit hier Steiger gewesen, und ich bin nicht mehr lange Schichtmeister. Ich kenne den Herrn!“
Ein verächtlicher Ausdruck spielte um die Lippen des jungen Mannes. „Sei ruhig, Vater! Sie wissen zu gut, wie sehr Du an der ‚Herrschaft‘ hängst und welche Noth Dir der ungerathene Sohn macht, der nun einmal vor dieser Herrschaft sich nicht ducken will. Dir wird Keiner etwas anhaben, und ich –“ hier richtete sich Ulrich voll trotzigen Selbstbewußtseins zu seiner vollen Höhe empor, „ich werde wohl für’s Erste auch noch hierbleiben. Mich fortzuschicken wagen sie gar nicht, dazu fürchten sie mich viel zu sehr!“
Er kehrte seinem Vater den Rücken, stieß die Thür auf und trat in’s Freie. Der Schichtmeister schlug die Hände zusammen und schien sehr geneigt, seinem rebellischen Sohne noch eine donnernde Strafrede nachzuschicken, aber er wurde daran von Martha verhindert, die auf’s Neue, und diesmal noch viel entschiedener, Ulrich’s Partei nahm. Des Streitens müde, griff der Alte endlich nach seiner Pfeife und schickte sich an, gleichfalls hinauszugehen.
„Höre, Martha,“ sagte er, sich schon in der Thür noch einmal umwendend, „an Dir sehe ich’s, kein Trotzkopf ist so groß, es giebt doch noch einen, der ihn übertrotzt. Du hast richtig an dem Ulrich Deinen Meister gefunden, und der wird auch noch seinen Meister finden, so wahr ich Gotthold Hartmann heiße!“ –
Drüben im Landhause war man inzwischen mit den Vorbereitungen zu dem heute stattfindenden großen Diner beschäftigt. Die Diener liefen treppauf und treppab, in den Wirthschaftsräumen hantierten Köche und Mägde umher, überall gab es noch zu ändern und zu ordnen und das ganze Haus bot jenes Bild der geschäftigen Unruhe dar, die gewöhnlich einer Festlichkeit vorauszugehen pflegt.
Eine um so größere Stille herrschte in den Zimmern des jungen Berkow: die Vorhänge waren hier tief herabgelassen, die Portièren geschlossen und im Nebengemach glitt der Diener mit unhörbaren Schritten über den dicken Teppich hin, dies und jenes ordnend. Sein Herr liebte es nun einmal, den größten Theil des Tages träge auf seinem Sopha zu verträumen, und wollte auch nicht durch den allergeringsten Laut darin gestört sein.
Der junge Erbe lag mit halbgeschlossenen Augen auf der Ottomane ausgestreckt und hielt ein Buch in der Hand, in dem er las oder doch wenigstens gelesen zu haben schien, denn bereits seit geraumer Zeit lag genau dieselbe Seite vor ihm aufgeschlagen. Wahrscheinlich kostete es ihm zu viel Mühe, die Blätter umzuwenden, und jetzt glitt das nachlässig gehaltene Buch vollends aus den schmalen schlanken Händen auf den Teppich nieder. Es wäre eine leichte Mühe gewesen, sich danach zu bücken und es aufzuheben, eine noch leichtere, den nebenan beschäftigten Diener zu diesem Zwecke herzurufen, aber keins von beiden geschah. Das Buch blieb auf dem Teppich liegen, und Arthur machte während der nächsten Viertelstunde auch nicht die geringste Bewegung; sein Antlitz verrieth aber dabei zur Genüge, daß er weder über das Gelesene nachdachte, noch in Träumerei versunken war; er langweilte sich einfach.
Ein ziemlich rücksichtsloses Oeffnen der Thür, die vom Corridor aus in das Nebenzimmer führte, und eine laute, herrische Stimme drinnen machten dieser interessanten Beschäftigung vorläufig ein Ende. Der alte Berkow fragte eintretend, ob sein Sohn sich noch hier befinde, und auf die bejahende Antwort schickte er den Diener fort, schob die Portière zurück und trat zu seinem Sohn in’s Zimmer. Sein Antlitz war geröthet, wie im Aerger oder Zorn, und die Wolke, die bereits auf seiner Stirn lag, wurde noch finsterer, als er Arthur’s ansichtig ward.
„Also hier liegst Du wirklich noch auf dem Sopha, genau so, wie Du vor drei Stunden lagst!“
Arthur schien durchaus nicht daran gewöhnt zu sein, seinem Vater auch nur die äußere Form der Ehrerbietung zu erweisen. Er hatte von dem Eintritt desselben nicht die mindeste Notiz genommen, und auch jetzt fiel es ihm nicht ein, seine nachlässige Stellung nur im Geringsten zu verändern.
Die Stirn des Vaters furchte sich noch tiefer. „Deine Apathie und Trägheit fängt jetzt wirklich an, alle Begriffe zu übersteigen! Das ist ja ärger hier als in der Residenz. Ich hoffte, Du würdest Dich doch wenigstens in etwas meinen Wünschen fügen, wenigstens einigen Antheil an dem Gedeihen von Schöpfungen nehmen, die ich nur um Deinetwillen in’s Leben rief, aber –“
„Mein Gott, Papa,“ unterbrach ihn der junge Mann, „Du verlangst doch nicht etwa, daß ich mich um Arbeiter, um Maschinen und dergleichen kümmern soll? Ich habe das ja nie gethan, und begreife überhaupt nicht, wie Du uns gerade hierher dirigiren konntest. Ich langweile mich zu Tode in dieser Einöde.“
Die Worte klangen in der That sehr gelangweilt, aber sie hatten nichtsdestoweniger den vollen Ton des verzogenen Lieblingssohnes, der gewohnt ist, seinen Launen überall und unter allen Umständen Rechnung getragen zu sehen, und der schon die bloße Zumuthung von etwas Unbequemem als eine Beleidigung auffaßt. Aber irgend etwas Vorhergegangenes mußte den Vater zu sehr gereizt haben, um diesmal wie gewöhnlich sofort nachzugeben. Er zuckte die Achseln.
„Ich bin es nun nachgerade gewohnt, daß Du Dich an jedem Orte und unter jeder Umgebung langweilst, während ich allein alle Sorge und alle Last zu tragen habe. Zumal jetzt stürmt es von allen Seiten auf mich ein. Deine Verschwendung in der Residenz fing zuletzt an, selbst meine Mittel zu übersteigen; die Windegs von ihren Verpflichtungen loszumachen, hat auch Opfer genug gekostet, und hier finde ich vollends nichts als Aerger und Unannehmlichkeiten ohne Ende. Da habe ich heut Morgen eine Conferenz mit dem Director und den Oberbeamten gehabt und nur Klagen und nichts als Klagen hören müssen. Umfassende Reparaturen in den Schachten – Verbesserung der Arbeitslöhne – neue Wetterführung – Unsinn! Als ob ich jetzt Zeit und Geld dazu hätte!“
Arthur hörte vollständig theilnahmlos zu; wenn sich in seinem Gesichte überhaupt etwas kund gab, so war es der Wunsch nach Entfernung des Vaters; aber dieser that ihm nicht den Gefallen, er begann heftig im Zimmer auf- und abzuschreiten.
„Verlasse sich Einer auf die Beamten und ihre Berichte! Ein halbes Jahr lang bin ich nicht persönlich hier gewesen und Alles geht darunter und darüber! Da reden sie von dumpfer Gährung unter den Leuten, von bedenklichen Symptomen, drohender Gefahr, als ob sie nicht Vollmacht hätten, den Zügel so straff als nur möglich anzuziehen. Vor allem wird mir da ein gewisser Hartmann als der Haupt-Aufwiegler bezeichnet, der bei seinen Cameraden als eine neue Art von Messias gilt und mir dabei in der Stille die gesammten Werke insurgirt, und als ich frage, warum in Kukuks Namen sie denn den Menschen nicht längst fortgejagt haben, was bekomme ich zur Antwort? Das wagte man nicht! Er hätte sich bisher in seinem Arbeitsverhältniß noch nicht das Geringste zu schulden kommen lassen, und seine Cameraden hingen mit blinder Vergötterung an ihm. Es gäbe eine Revolution auf den Werken, wenn man ihn ohne hinreichenden Grund entließe. Ich habe mir die Freiheit genommen, den Herren zu erklären, daß sie allesammt Hasenfüße wären, und daß ich jetzt die Sache in die Hand nehmen würde. Die Schachte bleiben wie sie sind, und an den Lohnverhältnissen wird auch nicht ein Jota geändert. Gegen die geringste Auflehnung wird mit vollster Strenge vorgegangen und dem Herrn Rädelsführer werde ich selbst den Abschied geben und das noch heute.“
„Das kannst Du nicht, Papa!“ sagte Arthur plötzlich, sich zur Hälfte aufrichtend.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1873). Leipzig: Ernst Keil, 1873, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1873)_040.JPG&oldid=- (Version vom 21.5.2018)