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Seite:Die Gartenlaube (1872) 466.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

um die Scenen auch, die er einst vielleicht mit diesem Schwiegersohne haben werde, wenn dieser mit seinen Rechten gegen ihn auftreten würde. … Herr d’Avelon hatte lange genug unter praktischen Leuten in einer egoistischen Welt gelebt, und trug selbst den Ruhm, ein praktischer Mensch, ein guter Rechner und ein scharfer Vertheidiger seines Rechtes zu sein – wie mußte er nicht voraussetzen, daß Ellen Recht haben und daß mit diesem Schwiegersohne eine harte Zeit des Kampfes für ihn kommen könne! Er hatte erfahren, daß sein Bruder sich des alten Stammgutes entäußert, daß er, ohne Vermögen zu hinterlassen, gestorben – Max mußte also in Bezug auf das Mein und Dein desto schwieriger zu behandeln und gründlich in den Werth irdischer Güter eingeweiht sein. Und wenn er wirklich nur nach der Ferme des Auges gekommen, um mit ihm in’s Gericht zu gehen, wenn er sich Valentinens Neigung erschlichen, ohne ihr Gefühl zu theilen, dann hatte d’Avelon sich in trauriger Weise überrumpeln lassen, als er ihm sein einziges Kind in die Arme gelegt.

Herr d’Avelon war über dies Alles sehr niederschlagen. Er ging auf und ab, und wieder auf und ab, und fühlte die Last auf seinem Herzen nur schwerer werden. Er ließ endlich Miß Ellen dasitzen, ohne weiter ein Wort an sie zu richten, ergriff seinen Hut und ging auf den Hof hinaus, um frische Luft zu schöpfen und nach seinen Leuten zu sehen, sie an die Arbeit zu schicken – das zerstreute ihn immer am besten, das sich ihm aufdrängende praktische Bedürfniß des Tages vertrieb ihm peinigende Gedanken am schnellsten.

Als er auf dem Hofe angekommen war, hörte er den Hufschlag eines Pferdes; aufschauend erblickte er Gaston, der zwischen den aufwärts führenden Hecken herab auf den Hof zugesprengt kam. Herr d’Avelon ging ihm entgegen. Gaston, der sehr erhitzt aussah, war bald an seiner Seite, parirte sein Pferd und zog, ehe er ein Wort gesagt, ein Papier aus seiner Brusttasche hervor, das er mit triumphirender Miene d’Avelon überreichte.

„Was haben Sie da?“ sagte d’Avelon, nicht sehr erfreut über die Erscheinung zu ihm aufblickend, mit sehr barschem Tone, „was ist das?“

„Etwas,“ rief Gaston aus, „was mir Ihre Verzeihung erwirken wird, wenn Sie mir nämlich den nächtlichen Ueberfall nicht ganz vergeben haben sollten, Herr d’Avelon. Dies Papier wird Ihnen die Sache in einem anderen Lichte erscheinen lassen. Sie ahnten nicht, welchem thörichten und in seiner Thorheit doch so hinterlistigen Menschen Sie in diesem deutschen Officier Ihr Haus geöffnet hatten; und auch nicht, welche Sorge um Ihr Wohl und Ihre Ruhe mich leitete, als ich in der Nacht diesen Narren unschädlich zu machen suchte. Sie wissen, daß es mir nicht gleich gelang, später lief mir der Unglückliche jedoch selbst in die Hände, ich brachte ihn nach Givres – und dort bewog ich, zwang ich ihn durch sehr entschiedene Erklärungen, dies Document auszustellen, – lesen Sie es, lesen Sie – Sie werden überrascht sein, wenn Sie erfahren, um was es sich gehandelt hat … und ich denke, Sie werden Gaston von Ribeaupierre danken …“

„Ich danke Ihnen in der That,“ rief d’Avelon, das Blatt lesend, aus, indem ein heller Ausdruck der Freude auf seine Züge trat – „Sie wälzen mir mit diesem Blatte eine schwere Last von der Brust … Sie müssen wissen, Gaston, daß ich im Begriffe stand, wegen Ihres schändlichen Complots wider meinen Gast für immer mit Ihnen zu brechen, so schwer es mir geworden wäre, dem Sohne Ihrer braven Mutter gegenüber. Jetzt bringen Sie mir diesen Schatz, dies Blatt, welches mir Schwarz auf Weiß beweist, welch guter, ehrlicher, uneigennütziger Mensch Max Daveland ist, indem er freiwillig diesen Verzicht ausstellte – freiwillig, sag’ ich, denn was Sie da fabeln von Zwang und Erklärungen, davon glaub’ ich nicht das Mindeste – er ist nicht der Mann, sich von Ihnen einschüchtern zu lassen! Sie bringen mir den Beweis, wie unnütz und lächerlich meine Angst war, er könne Streit und Hader mit mir beginnen wollen, – wahrhaftig, Gaston,“ rief Herr d’Avelon tief aufathmend aus, „mag vorgefallen sein, was da will, ich werde Ihnen nicht vergessen, daß Sie in einer der beklommensten Stunden meines Lebens mir dies Papier gebracht haben; es ist nicht erfreulich, fürchten zu müssen, man habe nicht allein sein Kind hingegeben, sondern man solle auch noch verurtheilt werden …“

Gaston unterbrach ihn hier, heftig rief er aus: „Was zum Henker reden Sie da, Herr d’Avelon? Sein Kind hingegeben? Sie haben nicht Valentine …“

„Nein, Gaston, Sie haben Recht,“ versetzte d’Avelon, die Verzichtleistung seines Neffen sorgsam gefaltet in seine Brusttasche steckend; „hingegeben? nein! ich bin sehr wenig dabei in Frage gekommen; Valentine hat sich selbst ihm gegeben und daran ist nun nichts zu ändern … Sie müssen sich darein finden!“ –

„Valentine hat sich … ah, Sie halten mich zum Narren, d’Avelon!“

„Es ist, wie ich Ihnen sage. Valentine ist die Braut meines Neffen Max von Daveland. Es ist eine Thatsache, Gaston, und die Thatsachen sind zuweilen brutal, wie Sie wissen.“

„Und das sagen Sie mir, mir in’s Gesicht? …“

„Verlangen Sie, daß ich es Ihnen schreiben soll?“

Gaston v. Ribeaupierre starrte ihn, ohne zu antworten, mit wüthenden Augen an; Herr d’Avelon erwiderte seinen Blick mit einer trutzigen und eisernen Ruhe, vor der Gaston endlich nichts zu thun wußte, als einen Fluch und eine furchtbare Drohung auszustoßen, sein Pferd zu wenden und heimzureiten.

Gaston war in der That in diesem Augenblicke von dem heftigsten Rachedurst erfüllt; noch ehe jedoch die Hufe seines Pferdes das Pflaster auf dem Schloßhofe von Givres erklingen ließen, hatte er sich gesagt, daß für ihn auf der Ferme des Auges nichts mehr zu gewinnen sei, und daß seine Rachepläne auch beim besten Gelingen ihm weder Valentine noch die Ferme jemals einbringen würden. Und Gaston war nicht der Mann, seine Haut zu Markte zu tragen, wenn kein Gewinn für ihn dabei war.

Max Daveland konnte also ganz ungehindert und unbeunruhigt, so lange Void seine Garnison blieb, seiner Liebe leben und, so oft nur der gestrenge Hauptmann v. Sontheim Urlaub gab, zur Ferme hinübersprengen, um halbe Tage dort zu verleben. Die Stunden verrannen dort um so glücklicher für ihn, als er sich dem guten Glauben hingab, daß sein Oheim nichts davon ahne, wie nahe durch die Geburt der erwählte Schwiegersohn ihm stehe. Valentine ahnte ja gewiß nichts davon; Herr d’Avelon machte nie die leiseste Anspielung auf dies Verhältniß – Max glaubte sicher sein zu können, daß nicht der leiseste Gedanke daran in dem Manne sei, den er trotz seiner Jugendsünde jetzt so aufrichtig achten und ehren konnte. Endlich freilich mußte das Geheimniß zu Tage kommen, und das war im Sommer des Jahres 1871, als Max nach geschlossenem Frieden, seinem Berufe wiedergegeben und frei von Uniform und Pickelhaube, zur Verbindung mit Valentine nach der Ferme des Auges zurückkehrte. Es waren zum Abschluß der Verbindung einige leidige Documente nöthig, welche Max Daveland in großer Gemüthsbewegung seinem Schwiegervater vorlegte. Dieser überflog sie und sagte dann ernst lächelnd:

„Du hast ein wenig arg Verstecken gespielt, lieber Max, gegen Deinen alten – Onkel!“

„Ist das nicht das Recht des Liebhabers in jedem Lustspiel, mein theurer Oheim?“ antwortete Max, überrascht und zugleich sehr erfreut über diese ruhige Aufnahme, welche die Sache bei seinem Oheim fand.

„In einem Lustspiel,“ versetzte d’Avelon, „… Du hast Recht, es ist gottlob so etwas d’raus geworden … aber das Stück begann vor vielen Jahren mit einem, glaube es mir, für mich sehr ernsten, sehr tragischen Act, dessen Inhalt ein Conflict zwischen Rechtsgefühl, Zorn und Gewissen war. Lassen wir heute die Erinnerung daran: es ist genug, daß wir dankbar anerkennen, wie es heute Euch jungen Leuten so viel leichter gemacht wird, im Leben durch Muth und Kraft voranzukommen, als es bei uns Alten der Fall war – ich mußte damit beginnen, Diamanten zu rauben …“

„Und ich,“ fiel lebhaft Max ein, „erhalte den größten Edelstein der Welt geschenkt …“

„Nein, nein,“ rief d’Avelon, die Hand gerührt auf Maxens Schulter legend, aus – „Du erkaufst ihn Dir ehrlich und vollwichtig durch ein reines, ein braves Herz!“

Er umarmte ihn, und dies war die erste und letzte Erwähnung, welche zwischen ihnen gemacht wurde von den Diamanten der Großmutter!




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_466.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)