Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1872) 454.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

dem Wagen heraus den Forellen, aber auch hier hatten mir eben einige englische Damen die letzte vor dem Munde weggeschnappt.

Die brave Wirthin in der gemüthlichen Post von Lermos wußte zwar bald meinen Kummer durch anderweitigen trefflichen Imbiß zu bannen, und als sich auch nun gar noch das Wetter etwas aufhellte, so ward meine Stimmung bald besser. Und welch herrliches Bild bot sich mir hier dar! Die Zugspitze, deren gewaltige Gruppe man hier von der Partenkirchen entgegengesetzten Seite sieht, trat aus den Wolken hervor in ihrer ganzen Majestät, steil in sechstausend Fuß hohen Felswänden hier in das Thal abfallend.

War mir nach den letzten bewegten Tagen in Partenkirchen jetzt die Ruhe in dem stillen friedlichen Lermos auch höchst einladend, so litt es mich hier doch nicht lange, denn ein mir befreundeter, wohl bewährter Münchener Tourist hatte mir zu einem freundlichen Ruhepunkte Imst empfohlen.

„Wenn Sie,“ meinte er, „ein recht behagliches und angenehmes Leben in Tirol führen wollen, so versuchen Sie es nur getrost mit Imst; aus einem halben Tage, den ich dort zubringen wollte, ist eine ganze Woche geworden, denn der Stubmayer in der Post versteht es wie kein Anderer, seine Gäste gut zu bewirthen und ihnen mit trefflichem Rathe zu den schönsten Bergtouren beizustehen.“

„Also noch heute bis Imst!“ hieß meine Losung.

Der durch die vorhergegangenen Regengüsse aufgeweichte Weg veranlaßte mich, in Lermos alsbald ein einspänniges Postwäglein zu nehmen, und in der That kann es für Reisende, die nicht mit Gepäckladungen durch die Welt ziehen, gar keine angenehmere und billigere Fahrgelegenheit geben.

Der Weg von Lermos über Nassereith nach Imst über den Fernpaß gehört unbestritten zu den Glanzpunkten Tirols, und oft ließ ich den Postillon halten, um die erhabenen Eindrücke der wechselvollen prächtigen Aussichten zu genießen. Nach allen Seiten hin gewaltige schneebedeckte Bergriesen, die lieblichsten Thäler einschließend; unmittelbar am Wege einige kleine tiefgrüne Bergseen, denen dann, nachdem auf der prächtig angelegten Straße die Höhe des Passes erreicht ist, auf der andern Seite der größere, aber ebenso schön grüne Fernsteinsee folgt. Wie malerisch liegt das alte Schloß Siegmundsburg auf einer kleinen Insel inmitten dieses Sees – man mußte vor Freude laut aufjubeln in diesem Eden! Von meiner Verdrießlichkeit aber war schon längst auf dieser kurzen Fahrt der letzte Rest verloren gegangen. – Der biedere Postillon, der diesen Weg schon viele hundert Mal zurückgelegt hatte, war trotzdem noch empfänglich für die Schönheiten der Gegend, und oft genug drehte er sich nach mir herum, mich mit einem stolzen Lächeln fragend: „Gelt, Herr, das ist schön da heraußen bei uns?“

Von Nassereith aus nimmt die Gegend einen sanfteren, aber deshalb nicht weniger schönen Charakter an; das Gurglthal, in welchem jetzt der Weg hinführt, hat etwas ungemein Idyllisches, und man fühlt sich hier rasch heimisch.

In der Abenddämmerung erreichte ich mein Ziel, den Marktflecken Imst. Von Nassereith anlangend, empfängt man von dem Flecken keinen günstigen Eindruck; doch gewinnt man alsbald die Ueberzeugung, daß Imst in früherer Zeit einen weit bedeutenderen Rang als jetzt eingenommen haben mag. Man passirt Gassen mit Häusern von viel soliderer Bauart, als wir sie hier zu sehen gewohnt sind; doch viele stehen ganz oder theilweise leer und gehen ihrem Verfalle entgegen. Im Mittelalter blühte hier der Bergbau, und auch als Handelsplatz war Imst bedeutend; aber beide Hülfsquellen sind fast versiecht, bis ihnen vielleicht ein neu belebendes Element zugeführt wird.

Meine Fahrt war zu Ende. Vor einem schloßartigen alterthümlichen Gebäude hielt mein Einspänner.

„Das ist also die Post?“ frug ich verwundert.

„Zu dienen, mein Herr,“ ließ sich ein großer wohlbeleibter Mann vernehmen, der grüßend an den Wagen herantrat. Es war der Postmeister Stubmayer, und ihm richtete ich sogleich die mündlichen Empfehlungen meines Münchener Freundes aus. Aber es hätte derselben wohl kaum bedurft, um mir hier einen guten Empfang zu bereiten.

In dem großen interessanten Gebäude, das früher ein Edelsitz gewesen war, gab es Raum genug für eine Menge Tirolfahrer, und ich war so glücklich, ein Zimmer zu erhalten, das eine wahrhaft prachtvolle Aussicht nach dem Innthale und auf die Berge hinüber bis zu den Oetzthalgletschern bot. Lange Zeit labte ich mich an dem herrlichen Naturbilde, und bald überkam mich das Gefühl innigster Behaglichkeit.

Als endlich der Magen seine gewichtigen Rechte geltend machte und mich hinab zum Gastzimmer trieb, fand ich auch hier gleichgesinnte fröhliche Gefährten. Auch die ersehnten Forellen wurden mir hier nicht von englischen Usurpatoren verkümmert.

Nur kurze Zeit wollte ich in Imst bleiben, aber immer wieder wurde ein Tag zugegeben, und daran war nicht blos der behagliche Aufenthalt in dem alten Edelhofe schuld. Der freundliche Wirth wußte für jeden Tag einen neuen Ausflug in die herrliche Umgebung vorzuschlagen, und so trefflich wie der Postmeister Stubmayer weiß wohl selten Jemand Bescheid zu geben über die eingehendsten Verhältnisse der näheren und ferneren Umgegend. Der erfahrene und dabei so bescheidene Mann genießt aber auch bei den Tirolreisenden wohlverdienten Ruf, und unter seiner erprobten Anleitung muß hier auch der noch wenig Erfahrene bald zum praktischen Touristen werden.

Wenn nun bald wieder die Wanderlust Tausende nach Tirols schönen Bergen zieht, so möchte ich denen, die nicht gern in überfüllten Modestationen, wie Berchtesgaden Partenkirchen, Reichenhall, Kitzbichel etc., ihren Aufenthalt nehmen wollen, von ganzem Herzen Imst empfehlen, das bis jetzt von den Touristen noch nicht so arg belagert ist. Auch für einen längeren Aufenthalt bietet die Umgebung reiche Abwechslung, und überdies ist das Leben in Imst weit ungezwungener und ganz beträchtlich billiger als in den oben angeführten Plätzen. Sollte die Post oder geeignete Privathäuser des Ortes aber wirklich keinen Raum mehr bieten, so gewährt das nahe Brennbichel (wo König Friedrich August von Sachsen am 9. August 1854 bei einem Sturz aus dem Wagen seinen Tod fand) in dem wohlrenommirten Gasthaus leicht Unterkunft. Für längeren Aufenthalt möchte auch das eine halbe Stunde vor Imst auf dem Berge thronende romantische Schloß Starkenberg (jetzt Brauerei) mit seinen hübschen Anlagen große Reize und Annehmlichkeiten bieten.

Von reizenden nahen und fernen Ausflügen von Imst könnte ich eine lange Reihe anführen, doch wird der Wanderlustige dieselben besser und ausführlicher am Orte selbst erfahren. Zur Genüge bekannt dürfte übrigens wohl noch sein, daß die großartige Tour in das berühmte Oetzthal mit seiner Gletscherwelt am besten von Imst aus unternommen wird, und hier bekommen an Bequemlichkeit Gewöhnte auch gute, frische Maulthiere.

Die schönen und glücklichen Tage, die ich im vergangenen Jahre in Imst verlebte, haben mich veranlaßt, Anderen zu Nutz und Frommen diese wenigen Fingerzeige zu geben. Es waren nicht nur die wenig angenehmen Erfahrungen der vorhergegangenen Tage, die mir gerade Imst in rosigerem Lichte erscheinen ließen. Ich suche die mir liebgewordene Stätte gewiß bald wieder auf. Dem freundlichen und aufopfernden Postmeister Stubmayer aber drücke ich im Geiste dankbar die Hand für seine wohlgemeinten und trefflichen Touristenwinke. Ich freue mich schon, nach des Tages lohnenden Wanderungen wieder des Abends bei ihm sitzen und seinen interessanten Berichten lauschen zu können.

Im Allgemeinen darf man überhaupt darauf rechnen, namentlich in den kleineren Orten Tirols, das beste Unterkommen in den Postgasthäusern zu finden. Ueberdies sind die Herren Postmeister oder Posthalter auch gewöhnlich freundliche und zuvorkommende Rathgeber für die Reisenden. Mit Vergnügen erinnere ich mich noch des Aufenthaltes in dem bescheidenen Häuschen des Postmeisters Baldauf in St. Valentin auf der Haide. Eine traurige Haidegegend darf man sich bei diesem Ortsnamen nicht etwa vorstellen, denn vor dem Posthause liegt unmittelbar der fischreiche Mittensee mit seinem höchst romantischen Ufer und weiter nach Süden erhebt sich in großartiger Pracht die Gletscherkette des Ortler. Mit berechtigtem Selbstbewußtsein zeigt uns der freundliche Baldauf seine musterhafte Bienenzucht. Der hiesige Honig dürfte dem besten aus der Schweiz den Rang streitig machen. – Auch des guten Postmeisters Flora in Mals möchte ich gedenken. Flora war einst Schüler des berühmten Beda Weber in der benachbarten Benedictinerabtei Marienberg, und man kann von dem gebildeten Postmeister nicht nur interessante Nachrichten über seinen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 454. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_454.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)