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Seite:Die Gartenlaube (1872) 327.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

die Pracht der Farben des in der Vornacht ausgeworfenen Schwefels, der im glühendsten Orange, Citronen- und Goldgelb leuchtete, sahen noch die schon erstarrte Lava an, welche in der vergangenen Nacht ausgeworfen worden war, und mußten uns endlich mit Gewalt von dem riesengroßen Anblick trennen, der mit berauschender Gewalt unsere Seelen erfaßt hatte.

In der Asche rasch abwärts springend, gelangten wir bald zu unseren Pferden, ritten, immer eingehüllt in eine wirbelnde Staubwolke, den steilen Berghang hinunter und erreichten endlich völlig ausgetrocknet Bosco Reale, wo wir mit einem dickrothen, wie Lavagluth ausehenden Vesuvwein auf den Pferden uns die Kehlen wieder etwas gründlich anfeuchteten, um dann in scharfem Trab vollends nach Pompeji zurückzureiten – Napoli la Bella, wie die Eingeborenen, aber nicht alle Fremde die Stadt nennen, nahm uns am gleichen Abend noch in seinen Wirrwarr der durcheinander rennenden und schreienden Menschenbrandung auf. Nach einer unruhigen Nacht Morgens zum Vesuv hinüberschauend, sah ich staunend mehrere weißgraue Linien vom Atrio di Cavallo ausgehend zu Thal streichen, aus welchen senkrechte Dämpfe aufstiegen. Morgennebel konnten es wohl nicht sein; von einem neuen großen Ausbruch hatte man weder etwas gesehen noch gehört; da aber Niemand weiter auf die Erscheinung achtete, ging auch ich eine Stunde lang meinem Obliegenheiten nach; allmählich bildeten sich jedoch Menschengruppen auf den Straßen, nach Neapolitaner Weise lebhaft mit Handbewegungen ihre Worte begleitend; es war die dunkle Kunde in die Stadt gedrungen, daß viele Menschen in der vergangenen Nacht auf dem Vesuv verunglückt seien; die Einen wollten nur von zwanzig wissen, Andere behaupteten fünfzig, wieder Andere zweihundert. Während des Hin- und Herredens machte sich, mitten durch den tosenden Lärm der Weltstadt hindurch, ein eigenthümliches Brausen und Rollen in der Luft bemerkbar; rasch trat ich zwischen die engen Häuserreihen heraus, ging an den Meerstrand hinüber, und – welch ein Bild entrollte sich da vor meinen Augen! Der Vesuv war im vollsten Aufruhr; aus allen fünf Kratern zusammen schoß eine einzige Rauch- und Dampfsäule mit solch wüthender Gewalt heraus und in die tiefblaue Luft hinein, daß sie nach etwa fünf Secunden schon die dreifache Vesuvhöhe erreicht hatte, also etwa zwölftausend Fuß; dabei drängten und bohrten immer und immer wieder neue dichtere und schwere Massen nach, drangen in die schon vorhandenen Riesenballen und erzeugten so mächtige und gewaltige Wolkenformen, daß ich kein Bild aus andern Naturgebieten hierfür weiß; wie aus Marmor gemeißelt standen sie blitzend weiß in der tiefblauen Luft, drehten, schoben und drängten sich und bildeten zuletzt einen riesigen Bogen, der bis hinüber zum Monte Angelo sich wölbte.

Das Brausen und Tosen in der Luft, von der Gewalt herrührend, mit welcher der Dampf aus den Bergschlünden hervorjagte, wurde immer dröhnender und mächtiger; es rollte und toste, wie wenn ein schwerer Lastzug über eine Eisenbahnbrücke donnert, oder wie der Ventilator in einem mächtigen Hüttenwerk, oder auch dem Rollen und Brüllen eines Wetters im Hochgebirge vergleichbar. Ohne daß ein eigentliches Erdbeben gewesen wäre – denn im Laufe des Tages spürte man in Neapel nur drei leichte Stöße – zitterten doch die Häuser und der Boden fortwährend von dem gewaltigen Schüttern in der Luft so sehr, daß die Fenster unausgesetzt klirrten und z. B. die Planken einer Barke immer zitterten, mit welcher wir bei Nacht von Santa Lucia aus mehr dem Feuerherd zufuhren.

Die Arbeit in den Werkstätten hörte auf; blaß und still standen die Menschen in Gruppen bei einander und starrten in das grauenhafte Schaffen der entfesselten Naturmacht. Nun wußte man, was jene weißen Streifen am Berge zu bedeuten hatten, denn sie rückten rasch vorwärts mehr den am Busen gelegenen Städten und Dörfern zu: es waren Lavaströme. Auch erhielt und bestätigte sich die Nachricht von den Verwundeten und Todten, denn es kamen schon einzelne Transporte derselben an. Dichter und drängender wurden auch die Massen der Flüchtlinge, welche von Portici und San Giovanni her der Stadt zuflutheten. Das war ein Jammern und Wehklagen, eine Hast und Angst, ein Durcheinanderrennen, wie wenn die Lavagluth schon dicht an ihren Fersen wäre. Mütter, trotz der Eile das jammernde Kind im schnellen Lauf an der Brust zu stillen suchend, während zwei oder drei andere sich an ihren Rock hängten; Männer, mit Betten oder anderen Hausgeräthen schwer beladen; Greise, die alten Glieder so rasch, als dieselben nur irgend konnten, zur Flucht anspornend, neben sich den unzertrennlichen Hausgenossen, den Esel, auf dessen Rücken hochgethürmt die Habseligkeiten und Lebensmittel waren; dann zweirädrige Karren, überladen mit jammernden und händeringenden Menschen; Omnibusse, welche sämmtlich von der Regierung für diese Flucht in der Stadt in Beschlag genommen worden waren: dies Alles zusammen drängte und fluthete den ganzen Tag über Neapel zu. In der gegentheiligen Richtung, dem Vulcane zu, eilten in Geschwindigkeit die Bersaglieri und Carabinieri, welche einen Cordon um den ganzen Berg zu ziehen und die verlassenen Ortschaften zu bewachen hatten. Die Flüchtlinge wurden in Neapel theils in Privathäusern theils in den Casernen untergebracht; die Nationalgarde wurde unter die Waffen gerufen, und alle Vorsichtsmaßregeln getroffen, um bei der eben so erreg- als wandelbaren Stimmung der Neapolitaner für alle Fälle gerüstet zu sein. An irgend ein Revoltiren dachten dieselben aber vor der Hand nicht; im Gegentheil, unter der Führung von Geistlichen zogen Schaaren von Kindern und Erwachsenen durch die Straßen der Stadt und ließen ihre dumpfen Bußgesänge mitten in den rollenden Donner des Vulcans erschallen; die Bildsäule des San Gennaro wurde geschmückt, ein blau-roth-goldener Thronhimmel über derselben improvisiert, bunte Lämpchen in Festons nach beiden Seiten der Brücke von San Giovanni gehängt, Lichter in Masse vor dem Steinbild angezündet und nun unablässig gebetet, daß dieses und die allerheiligste Jungfrau, welche, in einer berühmten heiligen Puppe bestehend, durch die Stadt getragen werden sollte, die furchtbare Gefahr von Neapel abwenden und der Lava Stillstand gebieten sollen. Den Umzug verbot jedoch die unbarmherzige Polizei, wie sie auch am andern Tage alle die Madonnen und Heiligen vertrieb, welche vor viel Hundert Häusern auf Tischen ausgestellt und mit brennenden Wachslichtern umgeben waren, und in deren Namen jeder Vorübergehende wacker angebettelt wurde.

Da ich nicht hoffen konnte, durch den Cordon zu dringen, um das Höllenspiel der Lava in der Nähe zu sehen, stieg ich auf die Plattform des alten Präfecturpalastes, in dessen oberem Stock ein deutscher Kaufmann wohnte; von dort malte ich, so weit dies überhaupt einer so riesigen Erscheinung gegenüber möglich ist, den im vollen Aufruhr tobenden Berg so, wie er an diesem ersten Unglückstag, dem 26. April, von Neapel aus sich dem Auge bot. Ein großes Fernrohr stand auf derselben Terrasse, und mit Hülfe desselben konnte man jedes Haus und jeden Baum und Strauch sehen, den die Lava erfaßte und verschlang. Namentlich als allmählich die Nacht herniedersank, die Lavaströme und der Dampf nimmer weiß, sondern in hochauflodernder rother Gluth sich zeigten, da wurde das Bild ein geradezu entsetzlich schönes. Aus dem Gesammtschlunde der Krater schossen mit furchtbarer Gewalt solche Massen glühender Lava, daß sie nicht blos mit der Schnelligkeit eines Wasserfalles an den Wänden des Vesuv dem Atrio zu in Flußbreite hinunterstürzten, sondern es öffneten sich noch verschiedene weitere Schlünde an mehreren Stellen des Kegels und spieen theils fortdauernde Ströme, theils mit einem Spuck kleine Seen auf einmal aus; ebensolche, fast kuchenförmige Massen wurden oben im wirbelnden Feuerstrudel bis zu hundert und mehr Fuß in die Höhe gerissen, brachen dort auseinander und rannen als hüpfende Feuerschlangen nach allen Seiten am Scheitel des Berges hinunter, während die bis zu tausend Fuß mit den Dampfwolken in den Wirbel hinaufgerissenen glühenden Bimssteinblöcke von dort aus den Wolken niederstürzten und als hüpfende Gluthpunkte neben der Lava bergabwärts sprangen. Ein mächtiger Lavastrom zog Bosco Reale und Pompeji zu, kam aber am nächsten Tage glücklicher Weise zum Stehen. Ein noch größeres Glück war es, daß die Unmasse von glühenden Fluthen, welche der Berg nach Nordost auswarf, nicht die Richtung nach Resina und den beiden Torre nahm, sondern in die Felswüste des Atrio di Cavallo sich stürzte, dort sich staute, und dann mit schon etwas gebrochener Kraft und Gluth nach vorn hinaus dem bewohnten Lande zu rann.

Hierdurch ist es erklärlich, daß trotz der seit Jahrhunderten nimmer so mächtig gewesenen Größe des Ausbruchs nur zwei Dörfer zum größten Theil zu Grunde gingen, San Sebastiano und Massa di Somma, und zwar beide schon am Abend des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_327.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)