Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1872) 233.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

„Zum Prälaten! Er vertraut bei alledem noch meinem Schweigen, ich mag es nicht heimlich, nicht hinterrücks brechen, er soll wissen, was er von mir zu erwarten hat. Sie haben mein Bekenntniß, haben es schriftlich für alle Fälle, machen Sie davon Gebrauch zu Ihrer Rettung, wenn man etwa Lust zeigen sollte, mich – verschwinden zu lassen.“

„Und warum stellten Sie es dann nicht zuerst in den Schutz der Gerichte?“ fragte Günther rasch.

Ein Ausdruck des Hohnes überflog Benedict’s Züge. „Weil ich weiß, wie weit die Macht unseres Stiftes reicht! Der Prälat würde den ersten Wink erhalten! Ich ziehe es denn doch vor, ihm freiwillig gegenüberzutreten, als ihm als ‚geisteskrank‘, wie es heißen würde, ausgeliefert zu werden. Hier giebt es nur ein Mittel, die vollste Oeffentlichkeit und das Zeugniß von Hunderten. Und müßte ich auch die Kirche entweihen mit meiner Anklage, die Schuld fällt auf Jene, die mir keinen andern Ausweg übrig ließen.“

Er wandte sich von Neuem der Thür zu, Günther hielt ihn zum zweiten Male zurück.

„Der Prälat ist ein ehemaliger Graf Rhaneck?“

„Der Bruder des Majoratsherrn.“

„Und wann sahen Sie diesen zum letzten Male?“

Das Auge des jungen Priesters sank zu Boden. „An der Leiche seines einzigen Sohnes!“ entgegnete er tonlos.

„Seines einzigen? Er hatte zwei Söhne!“

Benedict schüttelte den Kopf. „Graf Ottfried besaß keinen Bruder, so viel ich weiß.“

„Sie können es auch nicht wissen, Bruno!“ sagte Günther plötzlich fest und scharf. „Man hat es gerade Ihnen von jeher auf das Sorgfältigste verhehlt.“

„Woher kennen Sie meinen früheren Namen?“ fragte Benedict befremdet aufblickend. „Wir sind einander nie begegnet, bevor ich in den Orden trat.“

Günther umging die Antwort. „Sie sind dem Grafen Rhaneck befreundet?“ fragte er seinerseits.

„Ich verdanke ihm Alles, meine Erziehung, meine Ausbildung; er nahm sich des armen Knaben an –“

„Des armen Knaben!“ unterbrach ihn Jener bitter. „Sie waren nicht arm, Bruno, wenigstens von Vaters Seiten nicht, und Sie brauchten dem Grafen nicht zu danken für das, was er Ihnen gab. Anklagen hätten Sie ihn sollen, wegen des armseligen Almosens, mit dem er den Diebstahl wieder gut machen wollte, den er an dem Namen und Recht seines ältesten Sohnes beging!“

Benedict fuhr mit dem Ausdruck des vollsten Entsetzens zurück. „An mir?“

„An Ihnen, Bruno Rhaneck! Ihnen allein gebührte die Stellung, die Graf Ottfried in der Welt einnahm.“

Der junge Priester stand da, wie vom Blitze getroffen, jeder Blutstropfen war aus seinem Antlitz gewichen, plötzlich schlug er beide Hände vor das Gesicht und sank wie vernichtet in einen Stuhl.

Günther war zu ihm getreten und wartete schweigend einige Minuten lang den Ausbruch der Erschütterung ab, endlich legte er die Hand leise auf seine Schulter.

„Und Sie fragen mich nicht nach Ihrer Mutter?“ sagte er vorwurfsvoll.

Benedict ließ die Hände sinken, das Antlitz war noch so farblos als vorhin.

„Ich weiß, daß es von jeher nur eine Gräfin Rhaneck gab,“ entgegnete er dumpf, „und daß diese meine Mutter nicht ist. Ersparen Sie es mir, die meinige – verachten zu müssen.“

Günther’s Stirn umwölkte sich. „Werfen Sie Ihre Verachtung nach einer anderen Seite, die Mutter verdient sie nicht! Vor Gott war sie die einzig rechtmäßige Gemahlin, Sie waren der einzig legitime Sohn des Grafen; Ihrem Oheim, dem Prälaten, gebührt das Verdienst, den Altar, den er in seinem Glauben vertritt, in einem anderen verleugnet und das Band zerrissen zu haben, das dort geknüpft ward. Jetzt freilich würde ihm nicht mehr gelingen, was er damals mit dem Gesetze in der Hand vollbrachte.“

Benedict sprang auf, aber die dumpfe Verzweiflung in seinen Zügen machte jetzt einer anderen, drohenderen Empfindung Platz.

„Meine Eltern waren – vermählt?“

„Ja! Aber werden Sie erst ruhiger, Bruno, so können Sie mich ja weder fassen noch verstehen.“

Die Ermahnung war nothwendig, aber sie nützte nichts, Benedict rang vergebens mit seiner furchtbaren Aufregung, er vermochte nicht ihrer Herr zu werden. Günther trat ihm beschwichtigend näher.

„Ich fragte Sie schon einmal nach Ihrer Herkunft, nach einer Aehnlichkeit, die mir auffiel. Ich wußte, woher sie stammte, aber ich wollte wissen, ob auch Sie eine Ahnung davon hätten. Ihre Antwort zeigte mir, daß es nicht der Fall sei, damals mochte ich Ihnen mein Geheimniß nicht aufdringen, den jungen Mönch, den ich fanatisch begeistert wähnte für seinen Beruf, hätte es nur unglücklich gemacht, jetzt habe ich keinen Grund mehr zu schweigen. Wollen Sie mich hören?“

Der junge Priester entzog ihm heftig seine Hand und machte rasch einen Gang durch das Gemach. Als er zurückkehrte, war die Ruhe, äußerlich wenigstens, erzwungen, er blieb dicht vor Günther stehen.

„Ich höre!“

„Vor etwa vierundzwanzig Jahren,“ begann dieser, „machte mich der Zufall zum Zeugen eines Duells. Ich half, das Opfer desselben in seine Wohnung bringen und erlebte dort eine herzzerreißende Scene, die Verzweiflung einer jungen Frau, die mit dem Todten ihren einzigen Schutz und Beistand auf Erden verlor. Der Arzt, der jenem Zweikampfe beigewohnt, nahm sich später der ganz Verlassenen an und gewährte ihr eine Zuflucht in seinem Hause. Dort sah ich sie öfter und dort erfuhr ich schließlich auch die Namen und die näheren Umstände, die in den betreffenden Kreisen kein Geheimniß waren.“

Benedict hörte schweigend zu, ohne durch einen Laut oder eine Bewegung die Erzählung zu unterbrechen, aber sein Auge hing unverwandt an den Lippen des Sprechenden.

„Damals war Graf Rhaneck noch keineswegs der voraussichtliche Majoratserbe,“ fuhr dieser fort. „Als jüngster Sohn des Hauses war er größtentheils auf seine eigene Laufbahn angewiesen, und aus diesem Grunde in die Armee unseres Staates übergetreten, um schneller Carrière zu machen. Er lernte ein achtzehnjähriges Mädchen kennen, eine Waise aus bürgerlicher protestantischer Familie, die bei ihrem Bruder, einem Arzte, lebte, der mit angestrengter Thätigkeit sich und die Schwester erhielt. Der junge Officier mit seiner bestechenden Persönlichkeit und seinen glänzenden Eigenschaften errang bald genug den Sieg, aber er wußte, daß er die Geliebte nur als Gattin besitzen konnte, und er war jung und leidenschaftlich genug, sie auch wirklich zum Altare zu führen. Seine ahnenstolze, streng katholische Familie durfte natürlich von diesem Schritt nichts wissen, der ihr bei der Entfernung auch leicht zu verbergen war, und da ein katholischer Priester sich geweigert hätte, die Ehe einzusegnen, so vollzog ein protestantischer Geistlicher, dessen Bedenken man zu besiegen gewußt hatte, die Trauung, welcher nur der Bruder der Braut und ein Freund desselben als Zeugen beiwohnten. Es mögen dabei wohl manche von den Förmlichkeiten, welche die Gesetze damals noch bei einer Verbindung zwischen dem hohen Adel und dem Bürgerthum, zwischen Katholik und Protestantin, zwischen den Angehörigen verschiedener Staaten verlangten, unterblieben sein. Man scheute vermuthlich das Aufsehen, die Streitigkeiten mit den Priestern, mit der Familie; Absicht war es wohl nicht, einer solchen Niederträchtigkeit möchte ich den Grafen denn doch nicht zeihen. Genug, man ließ es bei der einfachen kirchlichen Trauung bewenden, der jungen Frau war es genug, daß die Hand des Geistlichen sie am Altar ihrem Gatten vermählte, diesem schien es genügend, und die Ehe dauerte ungefähr ein Jahr lang.

Da plötzlich starb der älteste Bruder des Grafen, der Majoratserbe, der zweite war bereits im Kloster, und Titel und Güter der Familie fielen so dem jüngsten zu, der sofort nach Rhaneck berufen wurde. Die drei Monate, welche er dort zubrachte, wurden verhängnißvoll für drei Menschenleben. Er wagte es nicht, seine Vermählung dem Vater einzugestehen, und vertraute sich dem Bruder an. Der Prälat, von seinem Standpunkte aus, sah in dieser Ehe eines Rhaneck mit einer Bürgerlichen, eines Katholiken mit der Protestantin ein Verbrechen; er ist eine eiserne, mitleidslose Natur, ich habe es gesehen bei unserer ersten Begegnung. In der Minute, in welcher er von der Verbindung

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_233.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)