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Seite:Die Gartenlaube (1872) 183.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Rande erblickte man einen Namensstempel: „Wilhelm Tieffe“. Noch immer war die Hand nicht gefunden, wohl aber fand sich plötzlich der zweite Handschuh mit dem gleichen Namensstempel. Adelheid, die Tochter des reformirten Predigers in Blumenau, erlegte ihn zu Gericht mit dem Beifügen, daß bei dem Gutsherrn in Blumenau eine Frau v. P. im Sommer längere Zeit auf Besuch gewesen sei, mit der sie oft Musik gemacht habe; bei der Abreise habe sie der Jungfer beim Einpacken geholfen, und weil dieser Handschuh, da der zweite fehlte, nicht des Mitnehmens werth gehalten worden, habe sie, Adelheid, denselben blos im Scherze als ein Andenken sich zugeeignet.

Ferdinand v. P., der Bruder des Ermordeten, war mehrere Monate nach Auffinden der Leiche nach Wien gekommen und auch in das Haus der Eltern seiner Schwägerin Albertine. Er schien von dem Liebreiz seiner anmuthigen Schwägerin ganz überrascht, die ihn aber kalt und gemessen behandelte. Der Vater der Albertine, Oberst S., erzählte gesprächsweise, daß seine Tochter im Sommer in Blumenau war. Ferdinand v. P. brachte nun absichtlich seiner Schwägerin bei, daß die Predigerstochter auf eine ganz eigene Weise durch den Besitz eines Handschuhs bei der Untersuchung über Hermann’s Tod betheiligt sei. „Um Gotteswillen! Die Arme! sie ist unschuldig!“ rief Albertine, bebte, erblaßte, fiel in Ohnmacht und erklärte, nachdem sie wieder Fassung errungen: „Ich muß fort, ich muß die Unglückliche retten.“

Ferdinand, der bereits Verdacht auf seine Schwägerin geworfen, bestärkte sie in ihrem Vorhaben und Albertine reiste mit ihrer Mutter ab, bat um eine Unterredung mit dem Untersuchungsrichter mittelst einiger Zeilen, in denen das Wort „Correspondenz“ vorkam und merkwürdig! – dieses Wort wies ganz dieselben eigenartigen orthographischen Fehler, welche sich in dem Briefchen aus Bl. gefunden hatten. Die Schriftzüge waren unbezweifelt dieselben. Es war auch constatirt worden, daß Albertine wirklich jene Dame war, die im Sommer lange auf dem Gute in Blumenau zu Gaste war und daß sie eben am 24. August spät Abends nach Hause gekommen. Albertine wurde bei ihrer Vernehmung immer ängstlicher und beklommener. Die Aerzte und der Bauernbursche erkannten sie als jene damals gesehene Dame, worüber Albertine bei der Confrontation auf das Heftigste emporschrak. Sie wurde verhaftet. Einer der sachverständigen Aerzte meinte die Spur einer wohlgeheilten Schnittwunde an der inneren Fläche der rechten Hand mehr zu fühlen als zu sehen; der zweite und dritte Arzt erklärten, sie sehen und fühlen nichts. Der Hausarzt des Gutsherrn in Bl. erklärte, daß Albertine nach dem Vorfalle am Raubstein sehr abgespannt und deprimirter Gemüthsstimmung gewesen sei und Blumenau bald verlassen habe, während es doch ihre Absicht gewesen sei, bis October zu bleiben.

Albertine entgegnete dem Untersuchungsrichter auf die an sie gestellten Fragen: „Wohlan! Ich will keine Antwort erlügen, solcher Frevel ist unter meiner Würde, aber schweigen darf und werde ich.“ Dabei beharrte sie selbst dem von Amtswegen ihr beigegebenen Vertheidiger gegenüber, dem sie auch die Erklärung wiederholte: „Ich will mein Gewissen mit keiner Lüge beflecken, es ist belastet ohnedies, die Wahrheit aber wird mir keine Macht entreißen.“ Nur bei Vorweisung der blutigen Seidenbinde bebte sie zurück mit dem Ausruf: „Weg damit – um Gottes willen! ich kann kein Blut mehr sehen!“ Der verhängnißvolle Handschuh paßte wie gegossen an die zarte Hand Albertinens. Auf die Aufforderung, Beweise zu ihrer Rechtfertigung zu erbringen, entgegnete sie: „Ich kann solche nicht bringen, der Schleier, der eine unheilvolle Begebenheit deckt, darf mit meinem Willen nicht gelüftet werden. Für die Welt bin ich abgestorben, nur im Kerker oder im Grabe kann ich Ruhe finden.“ Immer enger zogen sich die Maschen des Netzes zusammen, es zeigte keine Lücke, Alles sprach gegen die Beschuldete, nichts für sie, es sei denn der Adel des Benehmens, der auch anerzogen sein, ihre ruhige Ergebung, die auch erheuchelt sein konnte, und die Unvereinbarlichkeit, daß diese holde Erscheinung einer solchen Unthat an ihrem wenn auch geschiedenen Mann, dem Vater ihres Kindes, fähig gewesen sei, daß in diesen schönen Formen eine so häßliche Seele wohne, endlich daß trotz aller Nachforschungen kein eigentliches Motiv des Verbrechens erhoben werden konnte.

Die unvermuthet im Hause des Obersten S. vorgenommene Untersuchung der Zimmer und Behältnisse der Tochter ergab ein für letztere vernichtendes Resultat. Es fand sich ein Päckchen vor und in diesem die goldene Uhr mit Kette und der Trauring, welche Gegenstände die vertraute Dienerin Albertinens, Agathe, als diejenigen erkannte, die Hermann v. P. immer zu tragen pflegte. Der Waldwirth erkannte auf seinen Eid hin sofort Uhr, Kette und Schlüssel. Auch Rechnungen über von Wilhelm Tieffe gelieferte Handschuhe fanden sich vor. Die Erhebungen über Albertinens Charakter und Vorleben lauteten zwar vortheilhaft, aber nicht wesentlich entlastend. Man rühmte ihren edlen, mit Herablassung und Wohlthätigkeit glücklich gepaarten Stolz, ihre Bildung und Geistesgaben, vor Allem ihre grenzenlose Hingebung und ihren Gehorsam gegen die würdigen Eltern. Zum Vorwurf wurde ihr allgemein ihr Hang zum äußern Glanz gemacht, dessen Befriedigung ihr selbst Geldverlegenheiten bereitete. Die Dienerin gab an, daß Hermann v. P. und Albertine anfangs glücklich lebten, daß aber Albertine ihren Mann verließ wegen seiner Untreue, um so mehr, weil der Gegenstand derselben eines der bei ihr bediensteten Mädchen war. Es erfolgte die gerichtliche Scheidung. Oberst S. gab keine Wiedervereinigung zu, obgleich die junge Frau ihrem Manne im Stillen doch noch zugethan gewesen sei. Albertine, sagte die Zeugin ferner aus, sei heftigen Temperaments und habe ihrem Manne bei einem Streite einmal mit Erstechen und Erschießen gedroht. Sie selbst, Agathe, habe manchmal Maulschellen von ihrer reizbaren Herrin erhalten, die ihr ihre Gebieterin dann oft mit Thränen abbat. Mit Aufwand aller Mühe wurde die Untersuchung geführt. Es gelang sogar, jenes Mädchen aufzufinden, welches am 24. August jenen Brief brachte, der Albertine zu einem Rendezvous mit einem großen schönen Herrn lud. Das Mädchen erkannte sofort Albertine als jene Dame. Nur der alte Mann, von dem der Arzt in S. und dessen Frau erzählt hatten, er war und blieb unentdeckt.

Endlich nach zwei Jahren kam es zur Schwurgerichtssitzung. Der Proceß hatte ungewöhnliche Bedeutung erlangt. Albertine erschien geführt von ihrem Vertheidiger, Marmorblässe bedeckte ihr edelgebildetes Antlitz. Ihre schwarzseidene Kleidung war ebenso einfach wie anständig. Der Vorlesung der Anklage folgte sie mit Aufmerksamkeit, und Manches schien ihr überraschend und tief erschütternd auf die Seele zu fallen. Bei der Verhandlung kam ein weiterer belastender Umstand zu Tage. Agathe gab an, während ihres Aufenthalts in Blumenau habe ihre Dame oft und gern ein buntes Seidenkleid getragen, es wurde das schottische genannt. Vor der Abreise von Blumenau habe sie an diesem Kleide Flecken wie von Blut bemerkt und dies ihrer Herrin gemeldet. Diese erschrak, wurde verlegen und sagte kurz abbrechend: „Du bist nicht gescheidt.“ Die Dienerin brachte nun das Kleid zur eigenen Ansicht. Frau v. P. wehrte ängstlich den Anblick ab und rief: „Schaffe es weg! Zertrenne das Kleid! Ich schenke es Dir.“ Die Dienerin machte sich später ein Leibchen aus dem Stoffe, das die Dame nie leiden mochte. Ein Strickbeutel existire noch von diesem Stoffe, und sie habe denselben mitgenommen. Die meisten Zeugen erkannten, daß die Dame eben ein solches schottisches Kleid an jenem Augusttage getragen hatte.

Der Vertheidiger that sein Möglichstes. Dräuend hatten sich die Wolken über das Haupt der Angeklagten zusammengezogen, nicht ein Lichtpunkt zeigte sich. Die Geschworenen zogen sich zur Berathung zurück. Noch bevor der Zeiger abgelaufen, sollte der Wahrspruch verkündet werden zur Sühne eines der schwersten Verbrechen, die das Gesetz kennt. Ein Wahrspruch, niederschmetternd wie der Blitz auf die Schuldbeladene.

Während die Geschworenen beriethen, erhob sich auf der Galerie plötzlich ein Lärm; ein wohlgekleideter Mann machte sich hastig Bahn in dem Gedränge. Im Nu hatte er die Brüstung erreicht und mit donnernder Stimme rief er hernieder: „Bei Gott dem Allgerechten, ich verlange Gehör! Die Angeklagte ist unschuldig!“

Der Spruch wurde vertagt. Der Unbekannte war der Bergrath Max v. N., ehemals Officier und als solcher von achtbaren Einwohnern des Schwurgerichtsstädtchens gekannt. Er entwickelte unter vollständigem Beweis seiner Freundschaftsverhältnisse mit den geschiedenen Ehegatten Hermann und Albertine v. P. umständlich den wahren Sachverhalt also:

Die am 24. August 18.. stattgefundene Zusammenkunft der genannten Ehegatten am Raubstein hatte den Zweck der Wiedervereinigung, wobei außer den getrennten Ehegatten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_183.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)