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Seite:Die Gartenlaube (1872) 088.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

daß mir jeder andere Lebensweg verschlossen blieb. Ich konnte und kann nichts von dem Empfangenen zurückzahlen, ich muß es zeitlebens als eine Schuld mit mir herumtragen, das ist auch eins von den gepriesenen Vorrechten meines Standes, der jede Selbstständigkeit vernichtet. Aber,“ hier brach eine heiße Bitterkeit mitten durch die erzwungene Ruhe, „aber ich wollte, Sie hätten mich nicht der Sphäre entrissen, für die ich geboren ward, ich wollte, Sie hätten mich zum Bauer, zum Tagelöhner werden lassen, der im Schweiße seines Angesichts das saure Brod verdienen muß, es wäre besser gewesen und ich hätte es Ihnen mehr gedankt, als dies Leben – am Altar!“

Ottfried hörte fast erstarrt zu, das schien ihm denn doch jedes Maß der Undankbarkeit und Unverschämtheit zu übersteigen, und sein Vater, an den sich all diese Beleidigungen richteten, der seine Gnade verschmäht, seine Wohlthaten mit Füßen getreten sah, Graf Rhaneck stand da, ohne sich zu regen, ohne auch nur mit einem Worte den wilden Ausbruch zu zügeln. Kein Zorn, nur eine immer zunehmende Angst sprach aus seinem Antlitz, als thue sich etwas Niegeahntes, Furchtbares vor ihm auf, und als Benedict die letzten Worte mit unverkennbarem Hasse herausschleuderte, da wendete er sich erbleichend ab und legte die Hand über die Augen.

Aber wenn irgend etwas im Stande war, Benedict zur Besinnung zu bringen, so that es dies stumme Abwenden, seine Lippen zuckten.

„Sie werden meine Undankbarkeit himmelschreiend nennen, und Sie thun Recht daran!“ sagte er ruhiger. „Ich habe nur Gutes von Ihnen empfangen und lohne Ihnen so dafür, es ist verdammungswerth, ich weiß es, aber ich kann nicht anders!“

Er neigte sich gegen den Grafen und wandte dann den Beiden den Rücken, Ottfried sah ihm nach, sah dann auf den Vater und schüttelte den Kopf, die Scene blieb ihm unbegreiflich.

„Papa, ist es möglich, das läßt Du Dir sagen! Du? – und schweigst dazu?“

Der Graf richtete sich auf, er hatte auf einmal seine ganze Energie wieder. „Schweig Du selbst, Ottfried!“ sagte er befehlend, „das sind Dinge, über die nur mir allein die Beurtheilung zusteht, aber vor Einem will ich Dich doch noch warnen. Du wirst Bruno nie wieder feindlich gegenübertreten, hörst Du? Niemals! Ich werde sorgen, daß es auch von seiner Seite nicht mehr geschieht. Wenn Ihr Euch nun einmal durchaus nicht vertragen könnt, so bleibt fern von einander, hassen dürft und sollt Ihr Euch nicht, und beleidigen,“ hier flammte sein Blick auf’s Neue drohend, „beleidigen wirst Du ihn nicht wieder, oder ich fordere Rechenschaft von Dir.“

Ottfried schwieg, aber zum ersten Male stieg ein argwöhnisches, grübelndes Nachdenken in ihm auf, welchen Grund denn sein Vater hatte, diesen seinen Schützling fortwährend mit einer Schonung und Nachsicht zu behandeln, die sonst keineswegs in seinem Charakter lag und deren sich der eigne Sohn fast niemals erfreute. Er und Benedict waren sich sonst stets fremd geblieben, nur in der Kinderzeit hatte man sie bisweilen zusammengeführt, und Ottfried hatte nie erfahren, wie weit die Fürsorge des Vaters für Jenen eigentlich ging. Jetzt zum ersten Male sah er sich gegen den Fremden offenbar zurückgesetzt, sah, wie mit augenscheinlicher Vorliebe für diesen Partei genommen ward, gegen ihn. – Was war es denn eigentlich mit diesem Benedict?

„Und jetzt komm!“ schloß der Graf hastig, als wolle er den Eindruck der eben durchlebten Scene verwischen, „laß uns nach Rhaneck zurückkehren, es ist hohe Zeit!“

Ottfried gehorchte, zuvor jedoch nahm er Benedict’s Spinoza von dem Feldsteine, auf dem er bisher gelegen, und schickte sich mit einiger Ostentation an, den Band in seine Jagdtasche zu stecken.

„Was hast Du da?“ fragte der Graf zerstreut.

„Die Lieblingslectüre des Herrn Pater Benedict!“ entgegnete Ottfried boshaft, ihm das Buch hinüberreichend.

Der Graf schlug den Titel auf und fuhr zurück. „Auch das noch! Allmächtiger Gott, was soll daraus werden!“

Er steckte das Buch zu sich und wendete sich dann kurz zu seinem Sohne. „Du schweigst gegen den Oheim, ich werde selbst mit Bruno darüber sprechen! Jetzt laß uns gehen.“

Ottfried folgte mit verbissenem Zorn, er sah, daß dem gehaßten Mönche nicht beizukommen war, der Vater war offenbar entschlossen, ihn mit seiner ganzen Macht zu schützen. –

Lucie hatte inzwischen den Garten von Dobra erreicht, wo Fräulein Reich sie mit einer Strafpredigt über ihr eigenmächtiges Davonlaufen und allzu langes Ausbleiben empfing, aber schon bei dem ersten Satze stockte Franziska, als sie die verweinten Augen und die niedergeschlagene Miene des jungen Mädchens gewahrte.

„Um Gottes willen, Kind, was ist denn vorgefallen?“ rief sie erschreckt. „Ist etwas passirt? Hat Ihnen Jemand irgend etwas zu Leide gethan?“

Lucie schüttelte den Kopf, sie wollte den alten übermüthigen Ton wieder anschlagen, wollte mit irgend einem Scherz ausweichen, aber die Lippen versagten ebenso sehr das Lächeln, als die Stimme den Scherz. Sie warf noch einen Blick zurück nach dem Walde, dann schlang sie plötzlich beide Arme um den Hals Franziskas, verbarg den Kopf an deren Brust, und brach ohne ein Wort, ohne eine Erklärung auf’s Neue in ein bitterliches Weinen aus.




Das Stift feierte eines der hohen katholischen Kirchenfeste, und wie stets bei solchen Gelegenheiten, bot die große prachtvolle Stiftskirche den Mittelpunkt und Versammlungsort für die Andächtigen der ganzen Umgegend.

Die weiten Hallen der Kirche vermochten kaum die herbeigeströmte Menge zu fassen, die sich dort Kopf an Kopf drängte. Der Prälat, unter Assistenz der gesammten Geistlichkeit seines Stiftes, hielt heute selbst das Hochamt, mit all dem kirchlichen Pomp und Glanz, der dem hohen Festtage ziemte. Von draußen her fiel der helle Sonnenschein durch die hohen Bogenfenster und die prachtvollen Glasmalereien warfen purpurfarbene und tiefblaue Lichter auf den Marmorboden. Vom Chore hernieder rauschte die Musik in vollen mächtigen Accorden, und der Gesang wehte an den hohen Wölbungen hin, dazwischen knisterte leise die schwere Seide der Kirchenfahnen, im Hintergrunde aber flammte der Hochaltar, von hundertfachem Kerzenglanze umstrahlt, von Weihrauchwolken umzogen, überragt von dem Bilde des Gekreuzigten und umgeben von der Priesterschaar, ein unnahbares, gottgeweihtes Heiligthum.

Auf seinen Stufen stehend vollzog der Prälat die heilige Handlung. Und wahrlich, hier war der Ort, wo seine Erscheinung zur vollsten Geltung kam, es lag etwas Erhabenes in der stolzen feierlichen Würde, mit der er die vorgeschriebenen Ceremonien verrichtete. Jetzt hob er die Monstranz, und auf die Kniee nieder stürzte Hoch und Niedrig und beugte demuthsvoll das Haupt zur Erde, nur die Priester standen aufrecht da und blickten nieder auf die knieende Menge, die sich vor dem Allerheiligsten beugte, es sah fast aus, als beugte sie sich jenen allein.

Unmittelbar an der Seite des Prälaten befand sich Benedict; auch er trug heut’ nicht das schwarze Ordensgewand, sondern war, wie alle Uebrigen, im vollen priesterlichen Ornate. Die kostbaren, reichgestickten und golddurchwirkten Gewänder hoben seine Erscheinung mächtig und wirkungsvoll, und sie verlor nichts durch die Blässe der Züge, die unter dem dunkeln Lockenhaar hervorleuchtete; manches Auge aus den Reihen der Andächtigen hing an dem jungen Priester, mancher Blick heftete sich bewundernd auf ihn, er aber sah kalt und unbewegt auf die Menge, die Ceremonie, bei der auch er betheiligt war, schien ihn allein zu beschäftigen.

Und doch waren seine Gedanken weit weg von dem Hochamt und dem geweihten Raume, sie suchten fern eine stille Waldeseinsamkeit; lauter rauschte die Musik vom Chore hernieder, dichter stieg der Weihrauch vom Altare empor, aber mitten in den jubelnden Tönen klang das leise träumerische Rieseln einer Quelle, aus den Weihrauchwolken hervor dämmerte ein rosiges Kinderantlitz mit langen braunen Locken, und ein Paar große blaue Augen blickten ihn bestürzt und thränenvoll an – die Lippen des Priesters zuckten, er rang sich gewaltsam los von diesen Bildern, die ihn Tag und Nacht umdrängten, die ihm selbst hier am Altar keine Ruhe mehr ließen, er war ja ein Mönch, und jene Bilder waren ein Verbrechen!

Die übrigen Geistlichen schienen es weniger gewissenhaft mit der Heiligkeit des Ortes und der Stunde zu nehmen, die lange Gewohnheit hatte sie abgestumpft dagegen. Zwar bewahrten auch sie die volle äußere Würde, aber als die Musik nun wieder mit vollster Macht einsetzend all die leiseren Töne verschlang, und die jetzt folgenden Ceremonien ihre Aufmerksamkeit nicht mehr so ausschließlich in Anspruch nahmen, da bewegte sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_088.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)