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Seite:Die Gartenlaube (1871) 823.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Um zwölf oder ein Uhr nimmt der Londoner sein Luncheon, meist abgekürzt Lunch (Löntsch) genannt, ein. Es besteht meist nur aus Brod, Butter, Käse oder kaltem Fleisch, und man trinkt Bier oder ein Glas Wein dazu. In Familien, welche Kinder haben, die noch nicht der Schulstube entwachsen sind und daher zum eigentlichen Diner nicht zugelassen werden, ist dieses Lunch ein einfaches Mittagessen, dessen Stelle es auch vertreten muß und bei dem die Gouvernante präsidirt.

Zu Mittag speist man in London zwischen fünf und acht Uhr. Das Mittagessen in Familien ist meistens einfach und besteht oft nur aus einem Braten und Zubehör. Eine Suppe ißt man sehr selten, und wenn es geschieht, ist sie gewöhnlich so stark mit Cayennepfeffer gewürzt, daß man meint, ein junger Teufel sei darin abgesotten. Fisch wird manchmal vor dem Braten gegeben und die beliebtesten Arten sind Turbot, Sole, Haddock, Makrelen oder Mullet. Die Braten sind Roastbeef, Hammelrücken oder Schlägel, oder manchmal auch nur ein Schulterblatt, Geflügel oder Wildpret; selten Schweinebraten und noch seltener Kalbsbraten. Eine Hammelsschulter scheint als das gemeinste Gericht betrachtet zu werden, und aus dem Gast, dem man diese kalt vorsetzt, macht man sich nicht viel. Davon kommt die englische Redensart To give him the cold shoulder (ihm die kalte Schulter geben), was soviel heißt, als Jemand geringschätzig oder gleichgültig behandeln. Im Frühjahr ißt man Lammbraten, meistens mit mintsauce (Pfefferminzkrautsauce), die sehr beliebt, mir jedoch ein Gräuel ist. Englands Stolz ist aber und bleibt das Roastbeef, und ich glaube nicht, daß es besseres Rindfleisch irgendwo in der Welt giebt. Der Grund davon liegt in der rationellen Thierzucht der Engländer, die von keinem Volk der Erde mit solcher Beharrlichkeit und Erfolg getrieben wird. Obwohl es nicht hierher gehört, so mögen ein paar Worte darüber, gleichsam als Tischunterhaltung, einen Platz finden.

Man betrachtet in England die Thiere als für den Dienst und Nutzen des Menschen vorhanden und trachtet danach, solche Thiere zu gewinnen, welche seinen speciellen Zwecken am besten entsprechen. Die englischen Pferde sind berühmt durch ihre Schnelligkeit. Die Vollblutpferde stammen von einem arabischen Hengst, allein man vergleiche einmal ein arabisches Pferd mit einem englischen Rennpferde; welche Verschiedenheit! Mag sein, daß dem Laien das arabische Pferd viel schöner erscheint; allein in Bezug auf den Zweck – Schnelligkeit – ist es mit ihm nicht zu vergleichen. Am wunderbarsten erscheinen mir die Veränderungen, welche die Engländer durch rationelle Züchtung, respective Paarung mit Hunden fertig gebracht haben. Für jede besondere Art der Jagd haben die Engländer nach und nach bestimmte neue Hunderacen gezüchtet, die für dieselbe am zweckmäßigsten sind.

Aehnliche Resultate sind in Bezug auf diejenigen Hausthiere erzielt worden, welche zur Nahrung dienen. Bessere und zweckmäßigere Ochsen zum Schlachten giebt es nirgends als in England. Die illustrirten Zeitungen bringen zu Zeiten Abbildungen solcher Preisthiere. Man staunt über die ungeheuren Dimensionen aller derjenigen Theile, welche zum Essen bestimmt sind, während Kopf und Füße, die für diesen Zweck nutzlos sind, durch ihre unverhältnißmäßige Kleinheit Verwunderung erregen. Schneidet man diese letzteren ab, so bleibt ein fast viereckiger Rumpf für den Fleischer übrig.

Geflügel mit weißem Fleisch, wie Hühner und Truthühner, ißt man in England nie anders als in Begleitung von gekochtem Schinken – rohen ißt man überhaupt nicht – oder Ochsenzunge, weil das Hühnerfleisch nach dem Geschmack der Engländer zu trocken ist. Mir scheint es eine Barbarei, da der grobe Geschmack des Rauchfleisches den feinen des Geflügels verdeckt. Nach dem Braten folgt eine pie (Pei), Pastete, oder vielleicht ein Pudding. Sehr beliebt sind Fruchtpasteten. Eine eiserne, von innen und von außen glasirte, längliche, mäßig tiefe Schüssel wird mit Aepfelschnitten, Kirschen, Johannisbeeren etc. angefüllt und die erforderliche Quantität Zucker herzugethan. In das Centrum der Schüssel stellt man eine umgekehrte Obertasse und das Ganzem wird dann mit einem feinen Teig bedeckt und dieser am Rande der Schüssel befestigt. So zugerichtet kommt die Schüssel zum Backen in den Ofen. Sehr beliebt sind Rhabarber-Pasteten. Deutsche bekommen Leibweh, wenn sie daran denken; allein wenn man sie in England ißt, findet man sie ganz vortrefflich. Der Geschmack des Rhabarbers hat außerordentliche Aehnlichkeit mit dem von Stachelbeeren. Man ißt nämlich nicht die Wurzel, sondern die sehr fleischigen Blätterstiele. Ich glaube, es ist nicht länger als dreißig Jahre, daß ein Gemüsegärtner die ersten vier Bündel Rhabarber auf den Londoner Markt brachte, wovon er zwei wieder mit nach Hause nehmen mußte. Heut zu Tage kann man an jedem Markttage eine große Menge vierspänniger Wagen davon ankommen und verkaufen sehen. Rhabarber ist eins der populärsten Gemüse in England.

Da ein Zusatz von Pflanzennahrung dem menschlichen Körper nöthig ist, so essen die Engländer auch Gemüse; allein sie bereiten dieselben auf eine Weise, welche sie geradezu ungenießbar machen würde, wenn sie nicht von ganz ausgezeichneter Qualität wären. Man kocht die Gemüse blos in Wasser ab, drückt sie aus und servirt sie auf einer Platte mit Löchern, welche in einer Schüssel liegt. Irgend welches Fett an ein Gemüse zu nehmen, erscheint dem Engländer barbarisch.

Man hat in England sämmtliche Gemüse, welche wir in Deutschland haben, und noch einige, die man bei uns nicht ißt, wie zum Beispiel Pflanzenmark, eine gurkenförmige feine Kürbisart, und seakale (Seekohl), ein seltenes und sehr geschätztes, feines Gemüse. – Spargel ißt man in einem Zustande, in welchem man sie bei uns nicht mehr ißt, nämlich wenn sie geschossen sind. Kohlrabi gebraucht man nur als Viehfutter. Gurkensalat ißt man nur zu einer einzigen Speise, zu frischem Lachs.

Puddinge unterscheiden sich von Pasteten wie harte Krabben von weichen; – doch halt, wir essen ja noch nicht in Amerika und haben uns an soft crabs noch nicht den Magen verdorben. Ein Pudding enthält gewöhnlich auch Früchte, die aber nicht in eine Schüssel, sondern in einen Teig geschlagen sind, sind mit diesem nicht gebacken, sondern in einer Serviette gekocht werden. Es gehört ein englischer Magen dazu, diesen Teig zu verdauen, doch liegt er nicht viel schwerer darin als Knödel. Frische Blutwurst und andere Vettern aus der deutschen Familie derer von Schweinichen müssen sich gefallen lassen, in England Pudding gescholten zu werden. Den König der Puddings, Plumpudding, kennt Jeder, wenigstens dem Namen nach. Zur Weihnachtszeit wird er fast in jedem Hause gegessen und Schiffsladungen von Korinthen, Rosinen und Citronat werden dazu in England verbraucht. Ich esse Plumpudding, verstehe aber nicht Englisch genug, um ihn mit Gefühl und Verständniß zu essen. Gleich unverständlich ist für mich der Brautkuchen, der nicht selten über hundert Thaler kostet und wovon Stücke in eigens dazu gemachten dreieckigen Kästchen an die Freundinnen versandt werden. Dieser Brautkuchen ist, soviel ich davon verstehe, weiter nichts als ein höherer Grad von Plumpudding, mit einem zwei Finger dicken, marcipanartigen Zuckerguß; allein ein Stückchen davon unter das Kopfkissen einer unverheiratheten Jungfrau gelegt, bewirkt, daß sie das Bild ihres zukünftigen Gatten im Traume sieht. – Auf der niedrigsten Sprosse der Puddingsleiter steht der Erbsenpudding. Er ist weiter nichts als dicker kalter Erbsenbrei, den die armen Leute die Gemeinheit haben aus Hunger zu essen. Wer davon für einen Penny in seinem Magen besitzt, ist satt, träumt aber, daß er aus Versehen Nordwestwind verschluckt habe.

Nach Tisch ißt man Käse und Sellerie- oder Lattichsalat. – Der gewöhnliche Käse ist Chester; der feinste ist jedoch der Stilton, aber auch der theuerste. Ein solcher Käse, ungefähr zehn Zoll hoch und acht im Durchmesser, kostet etwa sieben Thaler. Er steht gewöhnlich auf einer Schüssel, die mit einem gehäkelten weißen Tuch bedeckt ist. Wenn der Käse gut ist, muß er inwendig grün verschimmelt sein und müffig schmecken. Sellerie weicht von dem unsrigen durchaus ab. Man ißt nämlich in England nicht die Wurzel, sondern das Kraut, und die Pflanze wird demgemäß erzogen. Sobald sie anfängt zu wachsen und eine gewisse Höhe erreicht hat, wird ihr unterer Theil mit Erde bedeckt und damit fortgefahren, so lange die Pflanze wächst. Auf diese Weise erlangen die Blattstengel eine große Dicke und Höhe und bleiben weiß; alle Kraft geht in die Stengel, die nicht selten zwei Fuß hoch werden. Bei Tisch stellt man sie in ein hohes mit Wasser gefülltes Glas und ißt sie mit Salz. Lattichsalat von ausgezeichneter Zartheit und Größe wird ebenfalls auf dieselbe ländliche Weise verspeist.

Vor dem Dessert wird das Tischtuch weggenommen und jenes auf den bloßen Tisch gesetzt. Es besteht ungefähr aus denselben Dingen wie bei uns. Zum Dessert werden die Kinder zugelassen. Auf ein Zeichen der Frau vom Hause erheben sich die Damen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 823. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_823.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)