Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
|
Wir schoben den Schrank auf die Seite. Ilse schlug die Hände über dem Kopfe zusammen. „Daß Gott erbarm, Seide an den Fenstern, und hinter den Schränken fingerdicke Spinnweben und ein Staub, daß man nicht durchsehen kann – das ist mir die rechte Wirtschaft!“
Ich mußte an die Kissen denken, die vierzig Jahre vergessen drunten im Dunkel gestanden hatten; so lange war wohl auch das nach allen Seiten hinflüchtende Spinnengeschlecht hinter dem Schranke nicht gestört worden. Außer den altersschwarzen Staubzotteln und den langbeinigen Ungeheuern kam aber auch noch eine kleine, kaum wahrnehmbare Tapetenthür zum Vorschein. Ilse öffnete sie ohne Weiteres; in einem sehr engen Raum lief eine kaum zwei Fuß breite, steile Treppe in das obere Stockwerk empor.
„Hat also seine Gründe, daß der Schrank dasteht,“ sagte Ilse, indem sie die Thür wieder schloß. „Er muß wieder an seinen Ort!“
Sie ging hinaus, um irgendwo Besen und Kehrichtschaufel zu suchen.
Leise öffnete ich die kleine Thür wieder. … Wer wohnte oben? Vielleicht die schöne Charlotte? … Stufe um Stufe stieg ich hinauf … plötzlich tauchte rechts, in gleicher Höhe mit meinen Augen, ein matter Lichtstreifen auf, eine Spalte zwischen der Schwelle und einer Thür, die mit der drunten correspondirte. Lautlos, wie ich meinte, öffnete ich dieselbe – o weh, es entstand ein abscheulicher Spectakel, ein starkes Knistern und Rieseln, und die Unglücksthür knarrte, als sei sie seit Jahrzehnten nicht eingeölt worden! Meine Hand fuhr vom Drücker nieder und im jähen Zusammenfahren wäre ich um ein Haar in die Treppe hineingefallen. Die Thür fiel langsam in das Zimmer zurück – es war Niemand drin – ein schwarzseidener Frauenmantel hatte zum Theil über der Thürfuge gehangen und das Rauschen verursacht.
Mir war, als flösse das Morgenroth, das erste, blasse, dem ich oft in der Haide entgegengejubelt, über die Wände – sie waren mit rosenrothen Gazefalten überzogen. Rosenbouquets lagen verstreut, wohin das Auge sah, auf dem weichen, graugrundigen Fußteppich, den kleinen, lehnenlosen, gestickten Stühlen und auf den niedergelassenen Rouleaux – da waren es freilich nur noch Rosengespenster, die Sonne hatte sie völlig ausgesogen. In der Nähe des einen Fensters stand ein Ankleidetisch voll Silbergeräth, außer ihm und den Stühlen waren keine Möbel da. …
Ich trat behutsam ein. … Puh, da war auch seit lange nicht gefegt worden! „Schöne Wirthschaft das!“ würde Ilse wieder gesagt haben. … Fühlte sich Charlotte wirklich wohl in der dicken, staubigen Luft? … Ein Flügel der Thür zu meiner Linken war zurückgeschlagen, und mein Blick fiel auf zwei nebeneinander stehende Betten unter einem dunkelvioletten Baldachin. Neben dem einen Bett stand auf einfachem Gestell eine Korbwanne voll kleiner Polster, über die ein grüner Schleier hingeworfen lag. … Seltsam, wer mochte hier wohnen? … Stille, tiefe, geisterhafte Stille herrschte in dem verdunkelten Zimmer, hier hingen nicht nur die Rouleaux, sondern auch die zugezogenen Gardinen vor den Fenstern, und Alles sah so unbenutzt aus. … Ah, nun wußte ich’s! Die Familie, die hier wohnte, war verreist! … Einen Augenblick schlug mir doch mein im Ganzen noch sehr ungeschultes Gewissen – meine kleine, naseweise Person gehörte nicht hierher. … Ach was! Es war wonnig, in dieses wildfremde Hauswesen voll niegesehener Pracht verstohlen zu gucken! … Ich war richtig bei Frau Holle, in ihrem Schlößchen voll Sammet und Seide und Gold und Silber. Staub genug gab es auszufegen und Betten zum Aufschütteln waren auch da. … Ich ging mutterseelenallein durch ihre Zimmer und Säle – mutterseelenallein! Aber ich fürchtete mich nicht, nicht im Geringsten! Und wenn sie nun wirklich im nächsten Zimmer saß, die Frau Holle in hoher Dormeuse mit langen Zähnen und wackelndem Kopfe – keck wäre ich auf sie zugeschritten und hätte ihr meinen Knix gemacht, dazu brauchte es doch wahrhaftig keinen übermäßigen Muth – nein, dazu nicht, aber – ich schrie plötzlich auf, daß es gellend von den Wänden zurückkam, und schlug die Hände vor das Gesicht. Ich hatte die Thüre aufgestoßen. Ich war nicht allein, aber auch Frau Holle saß nicht drin – ein kleines, schwarzes Wesen trat mir aus der gegenüberliegenden Thür entgegen.
Unter heftigem Herzklopfen erwartete ich das Näherkommen der Fremden; ich meinte, jetzt müsse sie mir die Hände vom Gesicht nehmen und mich zur Rede stellen; allein es blieb todtenstill, keine Sohle huschte über die Dielen, und die Thür drüben wurde auch nicht wieder zugemacht – mit einem entschlossenen Ruck machte ich der verzweifelten Situation ein Ende, ich sah auf. Die Schwarze stand noch immer drüben auf der Schwelle und ließ ein Paar brauner Hände langsam vom Gesicht niedersinken, dann warf sie ein wildes, dunkles Haargemenge in den Nacken zurück – ei, das that ich ja eben auch! … Jetzt lachte ich, lachte aus vollem Halse. Das Zimmer hatte lauter Spiegelwände; bis hinauf zur Decke lief das Glas – das mochte sich schon wundern über die seltsame Erscheinung, die es von allen Seiten zurückwarf! … Ich schüttelte meine Locken und lachte wie närrisch, und trat in den Saal, der sich vor mir aufthat.
Er durchmaß die ganze Tiefe des Hauses und hatte an der Süd- und Nordfront je drei ungeheure, dicht nebeneinander gestellte Glasthüren, die in’s Freie führten. Sie waren mit blauer Seide drapirt; die Farbe hatte sich nur nach der nördlichen Seite erhalten, nach Süden hin war sie zu einem schmutzigen Grauweiß erblichen. … Hier strömte es wie frischer Lebensathem von allen Wänden. Kleine, schwebende, bausbäckige Kinder hielten Medaillons in den Händen und lachten mich schelmisch an, und vom Plafond schütteten herrliche Frauengestalten einen ganzen Blumenregen nieder. Goldene Ornamente ragten in die Malereien hinein und umrahmten sie in vielgestaltigen Schnörkeln und Arabesken. Die Möbel waren von glänzendem Weiß, mit vergoldeten Rändern umsäumt, und über die Polster hin breitete sich blaue Seide.
Es war ein Prunksaal, aber er wurde offenbar benutzt wie ein gemüthliches Familienzimmer. In trauliche Gruppen zwanglos zusammengeschoben, füllten die Möbel alle vier Ecken, und in der mittleren Thür der Nordfront stand ein großer Schreibtisch. Er war bedeckt mit Porcellanfiguren und allerhand zierlichen Dingen, deren Gebrauch ich nicht kannte. … Ich sah auch ein silbernes Schreibzeug stehen, ein kunstvolles Blättergeflecht, auf welchem Tintenfaß und Streubüchse als Rosenkelche lagen – auf eines der breiten Blätter war ein Wappen mit darüber prangender Krone gravirt. … Und vor dem Schreibzeug lagen wappengeschmückte Briefbogen. Eine zarte, flüchtige Frauenhand hatte offenbar eine Feder probirt; unzählige Mal quer und gerade stand da: Sidonie, Prinzessin von K. – und dazwischen hin liefen die Namen Claudius und Lothar.
Ich fuhr zurück. Wie, sollten das wohl gar fürstliche Gemächer sein? … Eine Prinzessin saß an diesem Tisch und schrieb mit dem zierlichen goldenen Federhalter, der so nachlässig hingeworfen neben dem Briefbogen lag! … Ihre feinen Füße glitten über den glänzend polirten Fußboden, den jetzt meine groben Wollstrümpfe rieben, und aus den Glasthüren sah ein zartes, vornehmes Frauengesicht! … Eine ängstliche Scheu überkam mich – ich griff nicht mehr auf den Drücker der nächsten Thür, mit zaghaftem Finger bewegte ich den Schieber am Schlüsselloch und ließ einen scheuen Blick durch dasselbe huschen – draußen lief die schöngeschwungene Treppe empor, die ich heute in des jungen Herrn und Ilse’s Begleitung hinaufgestiegen war. … Ach, ich stand hinter einer der Thüren, welche die großen Siegel auf ihrer Fläche trugen! So sicher also hatte die Prinzessin bis zu ihrer Rückkehr die Wohnräume vor jedem Eindringling zu schützen gesucht – sie hatte sogar Siegel davor legen lassen. Und auch das hatte nicht einmal genügt; ich stand ja drin und ließ meine neugierigen Augen über Alles hinschweifen, was doch kein fremder Blick berühren sollte. Darüber aber machte ich mir nun erst recht keine Gewissensbisse – ich fand es im Gegentheil gar schauerlich süß, daß die Siegel auf den Thüren klebten, und daß kein lebendes Wesen, vielleicht eine naseweise Fliege ausgenommen, die durch irgend ein Schlüsselloch schlüpfte, hier umherhuschen konnte, nur ich, ich allein!
Und nun mußte ich auch einmal probiren, wie es wohl der schönen Prinzessin zu Muthe sei, wenn sie durch die Glasthüren hinaussähe. Ich schob eine der Draperien ein wenig zurück – wie ein kleines, trautes, in die Lüfte hineinragendes Cabinet ohne Dach und Decke schloß sich draußen der Balcon an die Thüren an – ich hatte ja noch nie einen Balcon gesehen – wie mußte es wonnig sein, hoch über der Erde so schnurstracks aus den heißen Zimmern in’s Freie treten zu können!
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_611.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2019)