Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
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Paris abgereist war, verließ auch Karoline die von den deutschen Heeren bedrohte Stadt, um sich nach Gotha zur befreundeten Familie Gotter’s, des zierlichen französirenden Singspieldichters, zu begeben. Doch auf dem Wege nach Mannheim konnte sie nicht durchdringen, weil dort schon die Preußen standen; sie begab sich daher, unter dem Schutze eines Mannes, den sie für rechtschaffen hielt, der aber von ängstlich loyaler Gesinnung war, nach Frankfurt. Hier wurde sie von ihrem Beschützer selbst, als man sie ihres Namens wegen anhielt, dem preußischen Hauptquartier überliefert, erhielt zuerst in der Stadt selbst Arrest und wurde dann zu strenger Haft auf die Festung Königstein in den Waldbergen des Taunus gebracht.
Der Aufenthalt dortselbst war schrecklich; Karoline bekennt, daß sie in Königstein Tage verlebt hat, von denen jeder einzelne mit seinen Schrecken, seiner Angst und seinen Beschwerden hinreichen würde, ein lebhaftes Gemüth zur Raserei zu bringen. Um so eifriger war sie mit dem Abfassen von Memorialen und Suppliken beschäftigt, um aus der unerträglichen Haft erlöst zu werden; den Bemühungen ihres Bruders, namentlich aber dem Schutz und Einfluß Wilhelm von Humboldt’s, gelang es, ihre Befreiung zu erwirken, welche König Friedrich Wilhelm der Zweite selbst in einem Cabinetsschreiben anordnete.
Doch sollte der hartgeprüften Freiheitsschwärmerin in nächster Zeit noch manche andere bittere Erfahrung nicht erspart bleiben.
Karoline hatte inzwischen einen Ritter gefunden, der sie aus der Gefangenschaft nach Leipzig geleitete – A. W. Schlegel, einen jungen, philologisch durchgebildeten Literaten, dessen Bekanntschaft sie schon früher in Göttingen gemacht und mit dem sie längere Zeit hindurch in Briefwechsel gestanden hatte. Die Neigung Schlegel’s zu der geistreichen Karoline war jedenfalls eine tiefe und unerschütterliche. Da verschiedene Umstände, in erster Linie die politischen, es wünschenswerth erscheinen ließen, daß der Aufenthalt der Freundin zunächst geheim blieb, so ließ A. W. Schlegel sie unter dem Schutze seines Bruders Friedrich im Altenburgischen zurück. Friedrich Schlegel hatte damals seine jugendliche Sturm- und Drangperiode und gehörte zu jenen impertinenten literarischen Gassenjungen, die es zu allen Zeiten in Deutschland gab, die ungezogen waren, ohne gerade Lieblinge der Kamönen zu sein. Der Schutz einer Frau, welche von der Freigeisterei der Leidenschaft schon unleugbare Proben gegeben, stellte seine Bruder- und Freundestreue auf eine harte Probe; denn er macht kein Hehl daraus, daß Karoline den außerordentlichsten Eindruck auf ihn gemacht habe und daß er im Grunde den Bruder um das Glück beneide, von ihr geliebt zu werden. Er bewundert ihr tiefes Verständniß für Poesie, er theilt ihren Enthusiasmus für die revolutionären Ereignisse. Er verdankt dem Umgang mit der seltenen Frau eine Wendung seines Lebens; er schreibt ihr noch später einmal: „Denken Sie, ich stände vor Ihnen und dankte Ihnen stumm für Alles, was Sie für mich und an mir gethan haben. Was ich bin und sein werde, verdanke ich mir, daß ich es bin, zum Theil Ihnen.“ Und die nicht allzureiche Phantasie Friedrich Schlegel’s, die ihre Modelle frisch aus dem Leben greift, entwirft in dem verrufenen Roman „Lucinde“ das Bild einer Frau, deren Besitz das höchste Glück des Helden wäre, dem er aber unverweigerlich entsagen muß, weil sie bereits gewählt hatte und ihr Freund auch der seinige war. Dies Bild ist ohne Zweifel Karolinens Portrait, ausgeführt mit den schmeichlerischen Farben leidenschaftlicher Zuneigung: „Sie konnte in derselben Stunde irgend eine komische Albernheit mit dem Muthwillen und der Freiheit einer gebildeten Schauspielerin nachahmen und ein erhabenes Gedicht vorlesen mit der hinreißenden Würde eines kunstlosen Gesangs. Alles umgab sie mit Gefühl und Witz, sie hatte Sinn für Alles und Alles kam veredelt aus ihrer bildenden Hand und von ihren süßredenden Lippen. Nichts Gutes und Großes war zu heilig oder zu allgemein für ihre leidenschaftlichste Theilnahme. Sprach sie, so spielte auf ihrem Gesicht eine immer neue Musik von geistvollen Blicken und lieblichen Mienen, und eben diese glaubte man zu sehen, wenn man ihre durchsichtig und seelenvoll geschriebenen Briefe las. Wer sie nur von dieser Seite kannte, hätte denken können, sie sei nur liebenswürdig, sie würde als Schauspielerin bezaubern müssen. Und doch zeigte eben diese Frau bei jeder großen Gelegenheit Muth und Kraft zum Erstaunen, und das war auch der hohe Gesichtspunkt, aus dem sie den Werth der Menschen beurtheilte.“
Mit diesem glänzend colorirten Portrait, zu welchem der Maler selbst in später Zeit manche ironische Unterschrift machte, stand die Aufnahme nicht in Einklang, welche Karoline damals in den gesellschaftlichen Kreisen fand. Sie hatte sich zu der befreundeten Familie Gotter’s in Gotha begeben; aber sie mußte bald eingestehen, daß es besser für sie gewesen wäre, nicht den Umgang mit Menschen wieder aufgesucht zu haben. Ihre Briefe aus dieser Zeit (1794) sind voll von Klagen: „Das politische Urtheil, das hier so schneidend ist, wie an irgend einem andern Orte, gilt als Vorwand, um sich erklärt von mir zu wenden. Für meine Freunde selbst bleibt so Vieles im Dunkeln, daß sie vielleicht bald den Muth verlieren, für mich zu streiten. Die Beschuldigungen meiner ehemaligen Freunde, die Fehltritte, zu denen ich hingerissen wurde, ja meine Tugenden selbst haben sich gegen mich verschworen, der wunderbare Zufall so gut wie die natürliche Folge meiner Handlungen drückt mich nieder – und ich kann nicht verlangen, daß es anders sein soll. Wer kennt mich, wie ich bin, wer kann mich kennen? Man hält mich für ein verworfenes Geschöpf und meint, es sei verdienstlich, mich ganz zu Boden zu treten.“ So weit ging die Missliebigkeit, welche sich die Freundin Forster’s durch ihre Mainzer Erlebnisse zugezogen hatte, daß das kurfürstlich hannover’sche Universitätscuratorium sie aus Göttingen auswies, als sie zum Besuch dorthin gekommen war.
Aus der Unerträglichkeit solcher Lage und Stimmungen erlöste sie August Wilhelm Schlegel, der ihr am 1. Juli 1796 in Braunschweig seine Hand reichte, mit jener Unerschrockenheit, welche dem jungen Romantiker, dem Vertreter einer Schule gesellschaftlicher Rücksichtslosigkeit, geziemte. Mit Schlegel, der als herzoglicher Rath an der Universität zu Jena docirte, zog sie in die Gelehrtenstadt an der Saale, wo damals Fichte und Schiller verweilten, wo sich später Schelling und Hegel einfanden und das jüngere Geschlecht der himmelstürmenden Romantiker. Hier in diesem Mittelpunkte literarischen Lebens wurde auch Karoline eine Literaturdame, welche ihren Gatten bei seinen Recensionen für die Jenaische Literaturzeitung unterstützte, das lebhafteste Interesse an jedem neuen Werk unserer Classiker nahm und ihre geistige Bedeutung nach allen Richtungen hin geltend machte. Gries nannte sie damals „die geistreichste Frau, die er je gekannt“, Steffens „eine bedeutende höchst geistreiche Frau“; Wilhelm von Humboldt erkannte den „hohen Geist“ an, der aus ihren Briefen spricht.
In der That ist der jetzt veröffentlichte Briefwechsel Karolinens das Denkmal einer ungewöhnlichen Begabung, wie sie nur wenigen deutschen Frauen eigen war; aber neben den tiefsinnigsten Orakeln, die an die Offenbarungen der auch in den Briefen oft erwähnten Rahel erinnern, neben Herzensergüssen von leidenschaftlicher Bewegtheit und Gedankenperlen von edelster Fassung findet sich auch des Einseitigen und Gehässigen viel, der Ausdruck ebenso unerbittlicher wie unberechtigter Antipathieen, die sich mit schneidender Schärfe und tödtlicher Verbitterung aussprechen. Prophetin und Intriguantin zugleich, hier bewundernd und verklärend, dort hetzend und schürend, außerdem nicht den Geist einer Epoche verleugnend, welcher die Empfindung und Leidenschaft höher stand als das sittliche Gesetz, kann Karoline nicht den Eindruck eines weiblichen Idealbildes machen, welches der Verehrung deutscher Frauen würdig wäre; aber sie bleibt ein höchst interessanter und pikanter Studienkopf auch da, wo der tiefste Schatten auf ihre Züge fällt, und ist in ihren Fehlern und Verirrungen lehrreicher als manches reine weibliche Vorbild durch seine unantastbaren Vorzüge.
Ihre feindselige Gesinnung richtete sich besonders gegen unsern großen Nationaldichter Schiller, welcher A. W. Schlegel als Mitarbeiter der „Horen“ nach Jena gezogen hatte. Fr. Schlegel, bis dahin ein großer Bewunderer Schiller’s, schrieb in jugendlichem Uebermuth eine etwas scharfe Kritik über den Schiller’schen „Musenalmanach“; hierzu kam, daß der Dichter einen Aufsatz von ihm nicht für die „Horen“ geeignet fand. Es begab sich nun, was sich leider in Deutschland immer von Neuem wiederholt; aus solchen äußeren Gründen wurde der Bewunderer des „großen Dichters“, der ihm früher auch ein höchst außerordentlicher Mensch erschien, jetzt dessen eifrigster Gegner, der plötzlich in den bisher gepriesenen Vorzügen nur tadelnswerthe Fehler erblickte; A. W. Schlegel hatte, seiner ganzen Richtung nach, stets geringere Sympathieen für Schiller gehegt; bei den Schlegels bildete sich nun ein feindliches Heerlager in nächster Nähe Schiller’s, und die „Ate dieses unglücksel’gen Kriegs“ war Niemand anders, als Karoline.
Man erstaunt heute, wenn man gegenüber der ruhigen Glorie,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 599. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_599.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)