Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
|
selbst ein, Miß Jane, und Henry hat wahrscheinlich für sein ganzes Leben genug davon. Uebrigens ist er keine Natur danach, eine unglückliche Liebe lange mit sich herumzutragen, ich zweifle nicht, daß wir schon binnen Jahresfrist von seiner Verbindung mit einer unserer Erbinnen hören.“
„Wollte Gott, es wäre so!“ klang es aus Jane’s tiefstem Herzensgrunde, indem sie sich erhob und den Arm auf die Mauer stützte.
Atkins stand eine Weile schweigend neben ihr. „Wollen wir unsern Spaziergang nicht fortsetzen?“ mahnte er endlich. „Die alte Burg ist ohne Zweifel äußerst interessant, aber – es zieht etwas hier in dieser mittelalterlichen Romantik. Ich dächte, wir suchten das geschützte Thal wieder auf.“
„Ich bleibe noch!“ erklärte Jane mit ihrer früheren Entschiedenheit. „Indessen will ich Sie nicht veranlassen, sich noch länger dem ‚romantischen Zugwinde‘ auszusetzen. Sie wollten ja wohl den Spaziergang nach M. richten, wir treffen auf dem Rückwege wieder zusammen.“
Der Wink war deutlich genug, und Atkins verstand ihn sehr bereitwillig, er fand es äußerst langweilig hier oben, und ergriff mit Vergnügen die Gelegenheit, sich zu verabschieden.
„Mir scheint, ich werde die Rückreise allein antreten müssen,“ spottete er, während er einen Seitenpfad einschlug, der gleichfalls in’s Thal hinabführte. „Und nebenbei werde ich noch das außerordentliche Vergnügen haben, das ganze Vermögen des Mr. Forest über den Ocean zu senden, dies Vermögen, an das Henry all seine Energie und Berechnung setzte, und das nun diesem Deutschen in den Schooß fällt, der albern genug war, sich gar nicht darum zu kümmern, und nöthigenfalls auf seinen Professorengehalt hin geheirathet hätte! Ich zweifle übrigens gar nicht mehr daran, daß er Carrière machen wird! Man feiert ihn ja setzt schon überall als künftigen Dichtergenius, irgend etwas muß doch an dem Lärm sein, den seine Gedichte machen, und wenn nun noch eine Million hinter und eine Frau wie Jane neben ihm steht – sie wird ihn schon vorwärts treiben! Unsere selige Missis würde triumphiren, aber ich möchte doch wissen, was Mr. Forest sagen würde, sähe er, daß sein Reichthum schließlich in deutsche Hände fiele und deutschen Interessen diente. Ich glaube, er hätte“ – hier blieb Mr. Atkins plötzlich stehen, besann sich und schloß dann mit einem Stoßseufzer: „Er hätte Amen dazu gesagt!“
Jane war allein zurückgeblieben. Sie athmete auf, wie einem lästigen Zwange enthoben, und nahm ihren Sitz wieder ein. Auch die altersgrauen Trümmer der Burgruine umfloß der helle Frühlingsschein, und auf und zwischen ihnen blühte, duftete und lebte es tausendfach. Der Epheu umspann wieder mit seinen grünen Netzen das dunkle Gestein und ließ die wehenden Ranken weit hinaus über den Abgrund flattern, ringsum lag die Landschaft im reichsten Sonnengold zu ihren Füßen, dort unten blitzte und schimmerte der Strom herauf, als seien nur Stunden vergangen seit jenem Tage, wo sie hier oben saß, als seien Herbst und Winter, mit all ihren Thränen und Kämpfen, mit ihrem düsteren Trauerflor nur ein schwerer böser Traum gewesen.
Und wie damals knirschte auch jetzt der Kies des Bodens unter einem nahenden Tritte. Sollte Atkins zurückkehren? Unmöglich! Das war nicht der bedächtige, ruhige Schritt des Amerikaners, es kam näher, ein Schatten fiel auf den sonnigen Raum vor ihr – Jane sprang auf, von einer Purpurgluth übergossen, zitternd, unfähig selbst zu dem Schrei der Ueberraschung – Walther Fernow stand vor ihr.
Er hatte in stürmischer Eile den Berg erstiegen, aber er kam diesmal nicht so athemlos und erschöpft an, wie einst bei dem ruhigen Spaziergange, dergleichen Anstrengungen waren ihm jetzt ein Spiel, und es war wohl etwas Anderes, was ihm in diesem Augenblicke den Athem versagte und die helle Röthe in’s Gesicht trieb; er wollte auf sie zueilen, blieb aber plötzlich stehen und sah stumm zu Boden, es schien, als sei mit der alten Kleidung, die er heute zum ersten Male wieder trug, auch die alte Zaghaftigkeit zurückgekehrt.
„Mr. Fernow – Sie hier?“
Ein Ausdruck schmerzlicher Enttäuschung ging über Walther’s Züge, vielleicht hatte er eine andere Anrede erwartet, die helle Röthe verschwand und der frühere schwermüthige Ausdruck umschattete wieder sein Antlitz. Jane hatte sich inzwischen einigermaßen gefaßt, obgleich sie noch immer nicht vermochte, das Zittern zu beherrschen, das ihren ganzen Körper durchbebte und verrätherisch aus ihrer Stimme klang.
„Ich – wir hörten, Sie seien nicht bei Ihrem Regimente, mein Oheim und Doctor Behrend versicherten es wenigstens.“
„Ich kam auch nicht mit meinen Cameraden, ich traf erst vor einer Stunde ein. Doctor Stephan und seine Frau waren nicht im Hause und meine Stimmung nicht danach, sogleich in den Festesjubel einzutreten. Ich unternahm diesen – Spaziergang, ich gerieth zufällig hierher –“
Sein Gesicht verrieth die Lüge! Er hatte jedenfalls im Hause gehört, daß Jane nicht beim Feste sei, und nicht ohne Grund diesen stundenlangen „Spaziergang“ so unmittelbar nach der Ankunft unternommen, es war wohl mehr Ahnung als Zufall, was ihn hergeführt. Jane mochte das fühlen, die Gluth in ihrem Antlitz wurde noch tiefer und die dunklen Wimpern senkten sich langsam, während ihre bebende Hand einen Stützpunkt an der Mauer suchte. Walther trat zögernd näher.
„Ich habe Sie erschreckt!“ sagte er gepreßt. „Es war nicht meine Absicht, so plötzlich zurückzukehren, ich wollte für jetzt überhaupt nicht wieder nach B. kommen, aber eine Begegnung, die ich mit Mr. Alison hatte –“
„Mit Henry!“ fuhr Jane angstvoll auf. „Sie haben ihn gesprochen?“
„Nein, nur gesehen! Er langte gestern Abend in dem Hôtel an, wo ich in K. Wohnung genommen hatte, wir begegneten einander auf der Treppe, aber er ging finster und stumm ohne Gruß an mir vorüber, als kenne er mich nicht. Heut Morgen brachte man mir ein Billet mit der Nachricht, daß der Herr, der es für mich zurückgelassen, bereits abgereist sei; es veranlaßte meine sofortige Herkunft.“
Er reichte ihr das Blatt, es enthielt nur wenige Zeilen:
„Ich entlasse Sie Ihres Versprechens, sich mir nach beendigtem Kriege zu stellen, es bedarf dessen nicht mehr. Künftig wird der Ocean zwischen uns liegen, das sichert Ihnen die Früchte Ihres Sieges. Ich hindere Sie nicht, nach B. zurückzukehren; fordern Sie dort die Erklärung dessen, was geschehen. Ich verlasse in den nächsten Tagen Europa für immer. Henry Alison.“
Jane hielt das Blatt schweigend in der Hand, ihr Auge verschleierte sich wie von einer aufsteigenden Thräne; es ist einer Frau nie gleichgültig, wenn sie ihretwegen ein Herz bluten sieht, am wenigsten, wenn sie die Erste und Einzige war, die dies kalte stolze Herz empfinden lehrte.
Walther’s Blick haftete forschend auf ihrem Antlitz, er war düster, schmerzlich gespannt, wie in einer qualvollen Unruhe.
„Ich soll hier die Erklärung fordern und weiß doch nicht, ob Miß Forest geneigt sein wird, sie mir zu geben. Als wir uns das letzte Mal sahen, an dem Tage, als ich von L. zurückkehrte, an der Leiche Friedrich’s, da stand Mr. Alison zwischen uns und hielt Ihre Hand so fest in der seinigen, als wolle er damit sein Recht behaupten vor aller Welt. Er hätte es nicht nöthig gehabt, uns so entschieden jedes Alleinsein zu rauben, der Moment verbot jedes andere Wort als das der Trauer um den Todten, wir verloren Beide gleich viel in ihm.“
Jane schüttelte leise und heftig das Haupt. „Sie verloren nur einen Diener, Mr. Fernow. Das Loos meines Bruders war ja harte Dienstbarkeit von frühester Jugend an, und es wäre ihm noch härter geworden, hätte er in Ihnen nicht einen gütigen Herrn gefunden. Ich – habe es ihm nicht erleichtert, so lange es in meiner Macht stand, dafür habe ich ihm auch später nichts geben dürfen, nichts als den kalten Marmor über seinem Grabe!“
Walther stand jetzt dicht neben ihr, er legte sanft seine Hand auf ihre bebende Rechte. „Und die letzte Umarmung der Schwester!“ sagte er leise.
Eine tiefe Bitterkeit lag um Jane’s Lippen. „Er hat sie theuer genug bezahlt, mit seinem Blute mußte er sie sich erkaufen! Wäre ich ihm nicht genaht in jener Stunde, er kehrte gesund und froh zurück mit den Anderen, meine Rettung ward sein Verberben. Ich bringe nur Weh und Schmerz Allem, was mich liebt, dem Bruder mußte ich den Tod geben, Henry mußte ich elend machen – bleiben Sie mir fern, Mr. Fernow, ich vermag kein Glück zu geben!“
Sie trat mit einer stürmischen Bewegung an den Rand der Brüstung und blickte abgewendet hinaus; Friedrich’s Tod warf
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 475. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_475.jpg&oldid=- (Version vom 12.10.2017)