Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
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‚Herr Lieutenant,‘ rief ich und berührte seinen Arm, ‚Sie haben einen Schuß in’s Gesicht.‘ Aber er hörte mich nicht. Wie angewurzelt stand er da, die Blicke in’s Blaue gerichtet, den Degen krampfhaft festhaltend, fertig wie zum Hiebe, wie Einer, der durch Hexerei mitten in einer Action gebannt ist. Ich umfaßte ihn sanft, da ich glaubte, er müsse jeden Augenblick zusammenbrechen, und schrie mit dem Kanonendonner um die Wette: ‚Herr Lieutenant, Sie sind verwundet!‘ Da richtete er langsam das Gesicht mir zu – ach, gnädige Frau, wie war das schöne männliche Antlitz in den wenigen Secunden entstellt! Nach einigem Besinnen sprach er kaum verständlich, da die von der Kugel gestreifte Zunge stark blutete:
‚Unterofficier Walter!‘
‚Zu Befehl, Herr Lieutenant!‘
‚Ich glaube, ich habe genug, Walter!‘
‚Zu Befehl, Herr Lieutenant – das glaube ich auch. Die Kugel ist über’m linken Auge hinein- und rechts am Kinn wieder hinausgegangen. Eine der schlimmsten Verwundungen! Haben Sie noch etwas zu bestellen an Ihre Familie? Will’s gern ausrichten.‘
‚Nehmen Sie meine Uhr und diesen Brillantring, bringen Sie Beides meiner Frau und sagen Sie ihr – daß mein letzter Gedanke – –‘
Hier verließ ihn die Besinnung, sein Kopf senkte sich langsam auf meine Schulter und ich mußte alle meine Kräfte zusammennehmen, um ihn aufrecht zu erhalten. Ich rief ein paar Cameraden heran, mit deren Hülfe ich ihn auf eine Stelle trug, wo er wenigstens vor Pferdehufen und Kanonenrädern geschützt war, hier legte ich ihm meinen Tornister unter den Kopf, bedeckte ihn mit meinem Mantel, und vorwärts stürmte ich wieder mit doppelter Wuth auf die hundsföttischen Franzosen, und Sie dürfen’s mir glauben, gnädige Frau, daß ich die Burschen nicht mit Chocolade begossen habe. Bei vollständiger Dunkelheit war das Schlachtfeld und auch der Sieg unser. Als ich glaubte, es sei Alles vorbei, begab ich mich schleunigst nach der Stelle zurück, wo wir unsern Verwundeten niedergelegt hatten; aber in dem Moment, wo ich
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_304.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)