Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
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Der seltsame Ton machte Atkins aufmerksam. „Was haben Sie mit Henry gehabt? Auch er war verstimmt! Gab es Streit zwischen Ihnen?“
„Ja!“, erklärte Jane mit herber Aufrichtigkeit. „Ich beleidigte ihn!“
„Und er?“
„Er?“ Die Lippen der jungen Dame zuckten verächtlich. „Nun, er fügte sich!“
Atkins zog leicht die Augenbrauen zusammen. „Nehmen Sie sich in Acht, Jane! Alison ist nicht der Mann, der eine Beleidigung verzeiht, auch Ihnen nicht. Für den Augenblick mag er sie ertragen haben, vergessen wird er sie nie, und Sie dürften zur gelegenen Stunde dafür büßen müssen. Ich kenne ihn!“
„Auch ich! Seien Sie außer Sorge, Mr. Atkins, ich fürchte diese Art von Rache nicht, aber – ich achte sie auch nicht!“
„Hüten Sie sich vor diesem Ton, Miß Jane, wenigstens ihm gegenüber. Sie könnten es damit zum Bruche treiben.“
„Schwerlich! Mr. Alison weiß zu gut, was ich ihm werth bin.“
Atkins schüttelte den Kopf, so hatte er sein Mündel noch niemals gesehen. „Sie wissen so gut wie ich, daß Alison Sie trotz alledem liebt, und geliebt hätte, auch ohne Ihr Vermögen.“
„Auch gewählt?“
Er schwieg.
„Sparen Sie Ihre Vertheidigung!“ sagte Jane bitter. „Ich weiß, welchem Beweggrund ich allein die Ehre verdanke, dereinst Mrs. Alison zu heißen!“
Atkins fixirte sie scharf einige Secunden lang. „Und ist Ihnen denn das etwas Neues?“ fragte er langsam. „Wußten Sie das alles nicht ebenso genau, als Sie ihm vor fünf Monaten Ihre Hand zusagten? Und diese Zusage, die der Erbe und dereinstige Chef des Hauses Alison und Comp. erhielt,“ er legte einen bedeutsamen Nachdruck auf die Worte, „wäre sie ihm auch zu Theil geworden, wenn er zum Beispiel die bescheidene Stellung eines Clerk dort eingenommen hätte?“
Der Stich traf, Jane senkte einen Moment lang wie schuldbewußt das Haupt; ihr kamen die Worte in’s Gedächtniß, mit denen sie dem Vater ihre Verlobung mitgetheilt. Damals war ihr das so einfach und natürlich erschienen, jetzt freilich lagen fünf Monate dazwischen. Fünf Monate – und drei Tage!
„Sie sehen,“ fuhr Atkins scharf und unerbittlich fort, „auch bei Ihnen spielte der Dollar seine Rolle, natürlich! denn Mr. Forest erzog Sie zu einer vernünftigen Auffassung des Lebens und der Wirklichkeit. Die Liebe ist ein Luxus, den sich der Reiche immerhin erlauben darf – und Alison erlaubte ihn sich bei seiner Wahl – aber man darf ihn nicht so übertreiben, daß man das Rechnen dabei vergißt, das doch nun einmal die Hauptsache im Leben ist.“
„In Amerika – ja!“ sagte Jane tonlos.
Atkins zuckte die Achseln. „In Deutschland mag es allerdings noch überspannte Köpfe geben, die auf eine Million gar keine Rücksicht nehmen, und im Stande sind, einer Erbin, wenn sie sich etwas gegen sie herausnimmt, ohne Weiteres den Rücken zu kehren. Wollen Sie Mr. Alison einen Vorwurf daraus machen, daß er den Verhältnissen besser Rechnung zu tragen weiß? Jene Herren mögen sich in ihrem erhabenen Mannesstolz sehr großartig vorkommen, aber – Millionäre werden sie dabei niemals werden.“
„Sie haben Recht!“ sagte Jane plötzlich eiskalt und sich erhebend, „Jedem das Seine!“
Atkins sah sie an, als wisse er nicht recht, wie die Antwort gemeint sei. Es war wieder völlig Miß Forest in ihrer undurchdringlichen Ruhe, die jetzt vor ihm stand, und doch klang etwas wie Hohn in ihren Worten; es war ein völlig nutzloser Versuch, sie heut enträthseln zu wollen, er gab ihn auf.
Sich gleichfalls erhebend, zog er eine Brieftasche hervor und reichte sie ihr. „Wir sind von der Hauptsache abgekommen. Hier finden Sie den vorhin erwähnten Brief und alle die übrigen Notizen, prüfen Sie genau, ich nehme heut Abend noch einmal Rücksprache darüber mit Ihnen, jetzt muß ich Sie verlassen.“
Jane reichte ihm die Hand. „Ich danke Ihnen! Und, was meine heutige Laune betrifft,“ die Erklärung schien ihr schwer zu fallen, aber sie fühlte doch wohl deren Nothwendigkeit, „so achten Sie nicht weiter darauf. Es giebt Stimmungen, deren man nicht immer Herr werden kann. Auf Wiedersehen!“
Als Atkins draußen war, blieb er stehen und schüttelte noch einmal den Kopf „Es giebt Stimmungen – hm! Das ist ja wunderbar! Henry hat Ahnungen und sie Stimmungen! Dinge, mit denen sich die Beiden sonst wahrlich nicht abgaben. Uebrigens hat er Recht, sie ist verändert, und wenn ich auch noch anfangen wollte, zu ahnen, dann würde ich sagen,“ hier schickte Mr. Atkins einen sehr unholden Blick hinüber nach dem sonnenbeglänzten Wasserspiegel des Stromes, der zwischen den Bäumen des Gartens sichtbar ward, „es liegt etwas hier in dieser deutschen Luft, und dieser verwünschte Rhein schickt uns, ehe wir es denken, irgend ein Ungewitter auf den Hals!“
Der Amerikaner hatte Recht behalten, wenn auch in anderer Weise, als er geglaubt. Seine ganz speciell gemeinten Befürchtungen waren zu einer politischen Prophezeiung geworden. Es lag wirklich etwas in der deutschen Luft, und es war in der That am Rhein, wo der erste Blitz aufzuckte, der das nahende Ungewitter verkündigte. Frankreich hatte den Krieg erklärt! Wie aus heiterem Himmel kam der Schlag, und wie im rollenden Donner gab ganz Deutschland, vom Fels zum Meere, in tausendstimmigem Echo den Ruf zurück.
Am Rhein flammte es auf in allen Städten, Flecken und Dörfern: heißer, glühender noch, als in den anderen Grenzmarken; waren sie doch die zuerst Bedrohten, die vor allem zu Schützenden, der kostbare Einsatz, um dessen willen das frevelhafte Spiel begonnen war, das fühlte Jeder bis zum ärmsten Bauer herab, und mit einem einzigen endlosen Jubelruf empfingen die geängstigten Rheinlande die Schützer, die Rächer des beabsichtigten Raubes. In riesigen ununterbrochenen Zügen warf Deutschland seine gesammte Kriegsmacht nach der gefährdeten Grenze, immer mächtiger und mächtiger schwoll die Heereswoge an, immer dichter und dichter schaarten sich die Massen um das bedrohte Palladium der Nation; noch war der Gegner nicht zur Hälfte gerüstet, da rollten die grünen Wogen bereits unter sicherer Hut, Glied an Glied geschlossen stand das nun endlich geeinte Deutschland Wacht an den Ufern seines Rheines, bereit, den alten heiligen Strom zu schützen, oder sich, selbst ein vernichtender Strom, in’s Land des Feindes zu ergießen!
Auch in B. hatte die allgemeine Begeisterung mächtig gezündet. Die Studenten eilten zu den Fahnen oder in die Sanitätscolonnen, die Professoren schlossen ihre Vorlesungen und stellten sich, wenn Alter und Gesundheit es noch erlaubten, selbst an die Spitze jener letzteren, die Frauen rafften jetzt schon alle Kräfte und Mittel zusammen, um auf dem thränen- und segensreichen Felde, das der Krieg ihnen zugewiesen, Hülfe und Rettung zu bringen. Alles ward mit fortgerissen, Alles überbot sich in fieberhafter Thätigkeit, die sonst so streng festgehaltenen Schranken der Stände und Gesellschaftsclassen fielen hier in der Stadt, wie draußen im Vaterlande die Grenzen zwischen Nord und Süd – Alles stand zusammen in einer Aufopferung, einer Hingebung, in einem einzigen Begeisterungssturm! –
Es war in den ersten Tagen jener Bewegung an einem prachtvollen Julitage, als Jane allein in dem Balconzimmer saß, dessen Thüren nach dem Garten hinaus weit geöffnet waren. Draußen lag der Sonnenschein heiß auf Rasen und Gebüsch, wie auf den Wellen des vorübergleitenden Stromes, die Rosen blühten in voller Pracht, Käfer und Schmetterlinge gaukelten friedlich darüber hin und das große altmodische Gemach, mit seinen weinumrankten Fenstern, seinen hochlehnigen Stühlen und Kanapees und seiner einförmig tickenden Wanduhr sah gleichfalls so friedlich und behaglich aus, als vermöge kein Kriegslärm von draußen die Ruhe und den Frieden dieses Haus zu stören.
Ruhe und Frieden war es nun gerade nicht, was auf dem Antlitz der jungen Dame lag, die, tief über eine Zeitung gebeugt, dort etwas zu lesen schien, das sie mächtig fesselte, denn ihr Blick folgte in athemloser Spannung den Zeilen und sie hörte weder den Schritt eines Kommenden, noch sah sie seine Gestalt, bis er dicht vor ihr in der Balconthür stand.
„So vertieft, Miß Jane?“ sagte Atkins vollends eintretend. „Sie scheinen mit einer sehr interessanten Lectüre – aber was, was haben Sie denn?“
Jane hatte sich plötzlich erhoben und wendete ihm, das Blatt noch immer in der Hand, ihr Gesicht zu. Wäre sie nicht so an
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_294.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)