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Seite:Die Gartenlaube (1871) 279.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Beiden im ersten Moment ihres Zusammentreffens etwas von einer späteren feindseligen Beziehung, ihre gegenseitige Verbeugung war so kalt und gemessen, als trete Jeder bereits hinter eine unsichtbare Schranke zurück.

Atkins versuchte vergebens mit seiner gewohnten Lebhaftigkeit ein Gespräch in Gang zu bringen, es ging nicht. Alison hatte für Alles, was gesagt wurde, nur eine kühle, höfliche Zustimmung, und der Professor, noch einsilbiger als sonst, ergriff die erste Gelegenheit, aus der gefürchteten Unterhaltungssphäre in’s Haus zu flüchten; er verabschiedete sich schon nach wenigen Minuten in seiner schüchternen, höflichen Weise von dem älteren Amerikaner, von dessen jungem Begleiter mit einem stummen, zurückhaltenden Gruße, und ließ die Beiden allein.

„Wer ist dieser Mr. Fernow?“ fragte Alison, als der Professor außer Gehörweite war.

„Ich habe es Ihnen ja bereits gesagt. Professor der hiesigen Universität, eine Leuchte der Wissenschaft, ein kostbares Exemplar von einem deutschen Gelehrten, der mit seinen Forschungen nach jahrtausendaltem Gerumpel und Gekritzel sich um die Menschheit verdient macht, und dabei selbst zur Mumie eintrocknet. Uebrigens ein sehr gutgeartetes, unschädliches Exemplar, das sich unendlich komisch in der Rolle eines Ritters und Beschützers ausnahm, die ein alberner Zufall ihm gleich am Tage unserer Ankunft bei Miß Jane zuertheilte.“

Alison, der dem Professor nachgeblickt, wandte sich plötzlich um.

„Bei Miß Forest?“ fragte er hastig. „Doch wohl nicht als ihr alleiniger Beschützer? Hoffentlich waren Sie zugegen?“

„Durchaus nicht! Der Wagen brach uns auf der Landstraße, es regnete in Strömen, ich mußte bei dem verwundeten Postillon zurückbleiben und war froh, Miß Jane dem Schutze des ersten besten Gentleman, in diesem Falle Professor Fernow, zu übergeben, der unsere tragische Gruppe passirte, und dem seine Gelehrsamkeit wenigstens so viel Verstand übrig ließ, die ihm anvertraute Dame glücklich nach B. zu bringen.“

„So?“ sagte Alison scharf. „Und dies Abenteuer leitete natürlich eine nähere Bekanntschaft ein, bei der sich die Beiden, da sie Hausgenossen sind, täglich sehen und sprechen?“

Atkins sah ihn einen Augenblick lang verwundert an, dann brach er in ein lautes Lachen aus.

„Henry, ich glaube gar, Sie sind eifersüchtig! Eifersüchtig auf diesen schwindsüchtigen Professor! Wissen Sie, was dazugehört, in diesen deutschen Universitäten mit ihrer entsetzlichen Gründlichkeit mit dreißig Jahren – und der da ist noch nicht einmal dreißig – schon eine Professur zu bekleiden? Ein Ungeheuer von Gelehrsamkeit gehört dazu. Ein Mensch, der sich mit Leib und Seele den Büchern verschrieben hat, und sonst vom hellen lichten Tage nichts weiß. Wirklich, Sie thun dem armen Manne bitteres Unrecht, wenn Sie glauben, daß irgend etwas, das nicht in Schweinsleder gebunden ist, überhaupt für ihn existirt, und da Miß Jane dies beneidenswerthe Vorrecht nicht genießt, so hat auch sie leider keinen Anspruch auf sein Wohlgefallen.“

Alison hörte nicht auf die Spöttereien. „Spricht ihn Miß Forest öfter?“ fragte er ungeduldig.

„Schwerlich! In der Zeit wenigstens, wo ich hier war, schien der Gebrauch der Sprache Beiden abhanden gekommen zu sein, so stumm gingen sie an einander vorüber. Ich bitte Sie, Henry, thun Sie doch dem Geschmack Ihrer Braut nicht diese Beleidigung an! Wo bleibt Ihre Selbstschätzung? Stellen Sie sich wirklich auf eine Linie mit diesem Bücherwurm?“

Alisons Stirn begann, sich zu entwölken. „Sie haben Recht, es wäre lächerlich! Ich hatte daheim mit so manchem Bewerber um Miß Forest’s Gunst in die Schranken zu treten, und es waren keine verachtungswerthen Gegner darunter. Ich habe nie einen von ihnen gefürchtet! Beim Anblick dieses ‚schwindsüchtigen Professors‘, wie Sie ihn nennen, kam mir etwas wie eine Ahnung, als könne gerade er gefährlich werden.“

„Ahnung?“ sagte Atkins gedehnt. „Um Gotteswillen, Henry, fangen Sie nicht zu ahnen an! Das ist auch eine von den deutschen Erfindungen; da sie nie ordentlich rechnen, ahnen sie alles Mögliche. Sie werden doch nicht auch diesem Unsinn verfallen?“

Noch bevor Alison antworten konnte, wurden sie unterbrochen, ein junges Dienstmädchen erschien, um die soeben erfolgte Ankunft der Doctorin und Miß Forest’s zu melden und die Herren zum Eintritt einzuladen.

Jane hatte mit ihrer gewöhnlichen Consequenz selbst den Verwandten ein Geheimniß aus ihrer Verlobung gemacht, ihre erste Begegnung mit Alison konnte deshalb auch nur eine völlig fremde sein. Fünf Monate waren vergangen, seit er sie zum letzten Male gesehen hatte, in dem reichen Empfangszimmer ihres Vaterhauses, in der eleganten Toilette, jetzt trat ihm die hohe Gestalt in dunkler Trauerkleidung, inmitten des altmodischen, einfachen Gemaches entgegen, das hier als Besuchzimmer diente; war es dieser Contrast oder die lange Trennung, Alison hatte sie nie so schön gesehen.

„Sie verzeihen, Miß Forest, daß ich es nicht unterlassen konnte, auf meiner Durchreise Sie aufzusuchen. Mr. Atkins versicherte mich eines freundlichen Empfanges.“

Jane reichte ihm die Hand. „Ein Landsmann ist mir stets willkommen.“ Ihr Blick begegnete dem seinigen, es war eine stumme Begrüßung, die einzige zwischen ihnen, sonst verrieth kein Zeichen, auch nicht das leiseste, ein Brautpaar, das sich nach halbjähriger Trennung zum ersten Mal wieder sah. Die Beiden waren zu sehr Herr über ihre Züge, zu sehr an conventionelle Schranken gewöhnt, um durch Uebereilung ein Verhältniß zu verrathen, das noch nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt war.

Jane wandte sich zu ihrer Tante und stellte ihr Mr. Alison, „einen Freund unseres Hauses“, vor; die Doctorin verneigte sich, sie konnte noch immer nicht die Sicherheit und Selbständigkeit begreifen, mit der ihre Nichte fremde Herren empfing und verabschiedete, dies achtzehnjährige Mädchen, das, ihrer Meinung nach, sich noch stets unter den mütterlichen Flügeln der Tante verborgen halten mußte und sich höchstens dann und wann mit einer schüchternen Bemerkung hervorwagen durfte. Jane hatte die Sache einfach umgekehrt und ihr diese Rolle zugetheilt, welche die sonst nicht gerade schüchterne alte Dame, gänzlich beherrscht von dem Einfluß ihrer Nichte, sehr passiv durchführte und dabei stets in dem unbehaglichen Bewußtsein ihrer völligen Ueberflüssigkeit.

Alison hatte den Damen gegenüber Platz genommen, man sprach von seinen Reisen, von England und Frankreich, vom Rhein, aber Henry’s Unterhaltungsgabe war heut nicht besonders glänzend. Er wartete mit einer von Minute zu Minute sich steigernden Ungeduld darauf, daß Atkins ihm auf irgend eine Weise Gelegenheit zu einem Alleinsein mit Jane geben werde, aber Atkins schien ein lebhaftes Vergnügen an seinem unterdrückten Aerger zu finden und zog das Gespräch in’s Endlose. Doch der junge Amerikaner war nicht der Mann, der so mit sich spielen ließ; als man ihm nicht zu Hülfe kam, ergriff er selbst das Steuer und bat Miß Forest einfach, ihm zu erlauben, daß er ihr Briefe und Nachrichten von zu Haus übergeben dürfe, die für sie allein bestimmt seien.

Jane erhob sich sofort und führte ihn, mit einer kurzen Entschuldigung gegen die Tante, in ihr an das Besuchzimmer stoßendes Wohngemach, es Mr. Atkins überlassen, die empörten Gefühle der Frau Doctorin über diese neue amerikanische Freiheit zu beruhigen. Kaum hatte sich die Thür hinter ihnen geschlossen, als Alison auf sie zutrat und ihr mit einer gewaltsam unterdrückten, aber dennoch leidenschaftlichen Bewegung die Hand entgegenstreckte.

„Verzeihen Sie, Jane, daß ich zu diesem ungeschickten Mittel griff! Ich ertrug den Zwang nicht länger!“

Er ergriff wieder die schöne, kühle Hand, die sich wie damals willig in die seinige legte, aber ohne ihren Druck zu erwidern.

„Sie hätten ein weniger gewaltsames Mittel wählen sollen, Henry! Mr. Atkins würde früher ober später gewiß einen Vorwand gefunden haben, der uns das Alleinsein ermöglichte. So muß es meiner Tante nothwendig auffallen.“

Die kühle Erwiderung schien auch Alison’s Leidenschaft auf einmal zu dämpfen. „Sie scheinen es sehr zu fürchten, daß Mr. Stephan Kenntniß von unseren gegenseitigen Beziehungen erhält.“

„Wenigstens wünsche ich es nicht.“

„Und doch wird es sich nicht vermeiden lassen.“

„Ich glaube, das steht allein bei uns, und dies um so mehr, als Ihr Aufenthalt in B., wie Sie mir schrieben, sich ja nur auf Tage beschränken wird.“

„Allerdings! Es scheint nicht, daß ich besonderen Grund haben werde, ihn zu verlängern.“

Jane fühlte den Stich, sie lenkte rasch von einem Thema ab, das verfänglich zu werden drohte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_279.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)