Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
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Glühen und allmähliche Erlöschen hinauf, unzugänglich für jedes Gespräch, für alles Zureden unempfänglich. Der Vater hatte mehrmals versucht, etwas aus ihr herauszubringen, was zur Aufklärung ihres veränderten Benehmens dienen konnte: er hatte den Pfarrer in’s Haus gerufen, daß er sie ausforsche, hatte unter einem Vorwande den Bader kommen lassen – aber Stasi hatte Niemandem Rede gestanden, und die Meinung Aller ging übereinstimmend dahin, daß sie an einem geheimen Uebel leide, das als Gemüthskrankheit sich unheilbar in ihr festzusetzen drohe.
„Das kennt man,“ sagte der Bader, indem er mit wichtiger Miene auf seine Dose klopfte. „Hab’ den Fall in meiner Praxis schon öfter gehabt. Die Leber hat sich mit der Milz verfeindet; davon kommen die Wallungen in der Lunge, Melankolei nennt man das, die eingetheilt wird in eine graue und eine schwarze. Noch ist es die graue, aber wenn nicht bald geholfen wird, kann’s wohl g’schehn, daß es die Kopfnerven angreift und die schwarze Melankolei sich dazu schlagt.“
Eines Abends trat der Vater, zum Ausgehen bereit, vor das Haus; auch sein Uebel hatte sich gemindert, daß er wieder im Stande war, ohne Ermüdung den Gang in das Dorf zu unternehmen: er hatte dort ein Geschäft zu besorgen und blieb verwundert stehen, als er Stasi wieder bemerkte, auf der Bank sitzend, vom Glanz des Abendroths beschienen, den Kopf an die Wand zurückgelehnt und die Augen geschlossen, wie Jemand, der eine innere Gedankenwelt beschaut und in dieser Betrachtung durch kein äußeres Bild gestört sein will. „Sie ist wirklich schon ganz traumhapig!“ sagte er vor sich hin. „Ich werd’ mich schon nochmal auf’n Weg zum Bader machen müssen; er muß ihr was eingeben, daß die Feindschaft von der Leber und von der Milz wieder aufhört – so kann’s auf keinen Fall fortgehn! – Sag’ mir nur ’mal, Stasi,“ rief er dann laut, „was Du hast! Schlafst vielleicht gar am hellichten Tag? Kreuz-Birnbaum und Hollerstaud’n, Madel – es ist mir wohl recht, daß Du nimmer gar so rasch und schneidig bist, wie früher – aber desweg’n brauchst doch nit gar so leimig z’sein! Da wollt’ ich am End’ noch lieber hör’n, wenn Du im Haus herumschelten und die Schüsseln durcheinander werfen thät’st, als daß Du so dasitz’st wie Ein’s, das keinen gesunden Tropfen Blut mehr in die Adern hot – was hast denn? Thut Dir was weh? Soll ich einen Doctor hol’n?“
„Zu was? Ich bin nit krank,“ sagte Stasi lachend, mit Augen, in denen die Bestätigung dieser Worte glänzte.
„Wenn Du nit krank bist, was fehlt Dir nachher sunst?“
„Mir fehlt auch nix, Vater – ich hab’ Alles, was ich nur verlang’! Hat der Vater was auszustellen an mir? Bin ich etwa nit richtig – thu’ ich die Arbeit nit, wie sich’s gehört?“
„Du arbeitest für Zwei,“ antwortete der Bauer. „Du arbeitest mir schier gar zu viel – das braucht’s nit, und das macht’s auch nit allein aus – der Mensch muß auch sonst rigelsam sein und eine Freud’ an ’was haben. Sag’ mir wenigstens, mit was ich Dir eine Freud’ machen kann! Geh’ mit ’nunter in’s Dorf … es ist oft allerhand Gesellschaft drunten – vielleicht zerstreut’s Dir Deine Gedanken und Du unterhaltst Dich dabei.“
„Ich mag nit, Vater,“ sagte sie und schüttelte den Kopf. „Ich bin am liebsten allein – die Leut’ im Dorf sind mir alle zuwider.“
„Na meinetwegen, wenn Dir die Leut’ im Dorf zuwider sind, so gehn wir fort, machen wir eine Reis’. Ich spann’s Wagerl an – fahren wir ’nüber auf den heiligen Berg nach Andechs, oder nach Mittenwald in’s Tirol hinüber und machen wir eine Wallfahrt nach Ettal oder kutschiren wir gar in die Münchnerstadt hinein … Du darfst es ja nur sagen; hast ja’s Aussuchen.“
„Ich will das Alles nit, Vater,“ sagte sie in unwilligem Tone. „Ich hab’ nirgends eine Freud’.“
Der Bauer, der sich neben ihr auf die Bank gesetzt hatte, sprang auf; er hatte ebenfalls eine unwillige Erwiderung auf der Zunge; aber er schluckte sie hinunter und wandte sich ohne weitern Gruß und Abschied dem Wege in’s Dorf zu.
Stasi beachtete seine Entfernung nicht; sie war in ihre vorige Stellung zurückgesunken und regte sich nicht, selbst als in ihrer Nähe neues Geräusch hörbar wurde – erst das völlige Näherkommen von Fußtritten weckte sie aus ihrer Träumerei. Vor ihr stand ein wandernder Tabuletkrämer, der goldene Ringe, silberne Häckchen und anderes kleines Geschmeide in die einsamen und abgelegenen Bergdörfer hausiren trug und klug die weibliche Freude an Putz und Schmuck auszubeuten wußte, die überall verbreitet und überall dieselbe ist wie grünes Gras. Im ersten Augenblicke wollte Stasi unwillig den Störer zurückweisen; dann ließ sie ihn doch näher treten und hinderte ihn nicht, seinen Kram auszulegen; sie hatte sonst wohl Freude an solchen blinkenden Sächelchen gehabt, die alte Neigung regte sich um so mehr, als der Händler in der Gegend fremd war, und sie konnte also wohl mit ihm sprechen, ohne Besorgniß, durch irgend etwas an der Stelle berührt zu werden, wo ihre geheime Wunde saß. Bald waren ein paar Kleinigkeiten gefunden, die ihr behagten, die angeregte heitere Stimmung, in die sie dadurch versetzt war, ließ sie nicht allzu sehr markten, und der erfreute Händler hatte hinwider nichts Besseres zu thun, als seine Waaren auf’ Gesprächigste herauszustreichen und die reiche Bauerntochter durch allerlei Scherzreden und Erzählungen zu noch andern Käufen zu reizen.
„Da hab’ ich noch etwas ganz Besonderes,“ sagte er, „ein goldenes Medaillon, mit einem Deckel! Das feinste, vierundzwanzigkrätige Gold, aus dem die Kremnitzer Dukaten geschlagen werden, und oben ist’s von purem Krystall, daß man durchsieht, wie durch ein Fenster, was drinnen liegt; hat auch ein Oehr, daß man es anhängen und um den Hals tragen kann. So eine schöne Jungfer wird gewiß etwas haben, was sie drinnen aufheben kann, – ein Löckchen von ihrem Schatz oder ein Blümchen, das er ihr verehrt hat, oder einen vierblätt’rigen Klee, den sie mit ihm gefunden hat …“ Der Mann war so in Zug gerathen, daß er nicht gewahrte, wie Stasi über und über erröthete, und in seiner Anpreisung unermüdet fortfuhr. „Kauf’ die Jungfer die Medaille doch – ich hab’ nur noch die einzige, und weil Sie so eine schöne Jungfer ist, geb’ ich sie Ihr wohlfeil; Sie soll sie um fünf Gulden haben; kostet mich selbst wahrhaftig mehr – die Zweite, den Cameraden dazu, hab’ ich erst heut’ in Lenggries verkauft.“
Stasi hielt das kleine Goldgehäuse, das ihr nicht mißfiel, prüfend in der Hand; ohne eigentlichen Zweck, nur um etwas zu erwidern, fragte sie, wer wohl das andre gekauft habe.
„Wer das andre gekauft hat?“ rief der Händler lachend. „Ja, das hat einen sonderbaren Herrn gefunden; das hat mir nicht ein Mädel abgekauft, sondern ein Mannsbild, ein Bursch. Die Jungfer wird wissen, daß heut’ ein großes Scheibenschießen ist draußen in Lenggries; da ist Musik und Tanz, das kracht und schmettert durcheinander, daß Einem Hören und Sehen vergeht. Die jungen Burschen üben sich ein zu dem großen Schießen, das dem König gegeben wird. Und wie ich so dastand mitten unter dem Gedränge und das Medaillon gerade einigen Mädchen zeigte, trat einer von den Schützen, ein bildhübscher Mensch, gewachsen wie ein Tannenbaum, aus dem Schießstand heraus, wo er eben einen Punkt geschossen hatte, und stellte die rauchende Büchse an den Ständer. ‚Halt!‘ rief er, als er die Medaille sah, und riß sie mir aus der Hand. ‚Was kost’t das Ding? Das lass’ ich nimmer aus; das muß mein gehören, das kann ich gerade brauchen!‘ Ich fand das ganz natürlich, machte einen guten Preis und dachte, der Bursch werde wohl ein Mädel haben, für das er den Schmuck kaufe, aber ich hatte mich geirrt – er hat ihn für sich selbst gekauft. An seinem Rock im Knopfloch hatte er etwas hängen wie einen Orden oder wie eine Denkmünze, wie die Soldaten sie aus dem Kriege heimbringen; die nahm er herunter, legte sie in die Medaille und hing sie dann um den Hals! Und was war’s, was er hinein legte? Rathet einmal – aber Ihr kommt nicht darauf und wenn Ihr ein Jahr lang fort rathen würdet, denn es könnte Einem im Traum nicht närrischer einfallen! Ein schlechter, abgegriffener alter Sechser war’s, der in der goldenen Kapsel und unter dem Krystalldeckel aussah, als wenn man einem Bettelmann einen Königsmantel umgehängt hätte …“
„Es ist schon gut – ich b’halt’ die Medalli,“ sagte Stasi, die abgewendet stand und bei der Erzählung so oft die Farbe gewechselt, als ob sie im Fieber liege. „Geht nur in’s Haus voran! Ich komm’ gleich nach und geb’ Euch das Geld.“
Der Händler packte eiligst seinen Kram zusammen; in seiner Freude beachtete er Stasi’s Erschütterung nicht und fuhr lachend in der Erzählung fort. „Muß ein närrischer Bursch sein,“ rief er. „Ich hab’ gefragt, wer er ist: nur ein armer Holzknecht, hat’s geheißen, aber Alle haben gesagt, er wär’ der beste Schütz’ und der beste Citherschläger und der bravste Bursch in der ganzen Gegend. Sie haben ihn auch zu ihrem Hauptmann gewählt, mit dem sie zum Schießen nach München marschiren wollen.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_211.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)