Verschiedene: Die Gartenlaube (1871) | |
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Bestandtheil, zu kauen, – aber es widerstand meinen gesunden Kauwerkzeugen, ich – konnte durchaus keinen Gebrauch davon machen, wickelte mir das abgeschnittene Stückchen in Papier ein, um es Ihnen nach Leipzig mitzubringen, und ersetzte es durch ein Stück von meinem Vorrath von Juvisy. Das Brod war offenbar besser, als das berüchtigte Belagerungsbrod, von Sägespähnen fand ich keine Spur, aber es war weder unser Schwarzbrod, das uns so trefflich mundet und gut bekommt, noch war es Weißbrod, sondern eine hellbraune Rinde lagerte um eine gelbliche Masse, die aus lauter einzelnen, engzusammenhängenden Mehlklümpchen bestand und süßlich roch. Die übrigen Gäste schienen es sogar mit Behagen zu verzehren, wie Alles, was ihnen vorgesetzt wurde.
Da kam Nr. 1, die Bouillon in der großen Tasse oder dem kleinen Porcellanschüsselchen. Es war gewiß Pflicht gegen mich selbst, hier Alles zu verzehren, um den Fremden nicht zu verrathen, – aber im vorliegenden Fall mußte ich’s auf’s Aeußerste ankommen lassen: ich konnte diese Bouillon nicht hinunterbringen, sie duftete gar zu verdächtig, meine aufgehetzte Phantasie konnte die Rattenschwänzchen nicht loswerden. Trotz der Pfefferlage, die ich darauf warf, mußte ich von ferneren Versuchen gegen dieses Gericht abstehen. – Wie ich befürchtete, so geschah’s: der „ Garçon“ schöpfte Verdacht, die verschmähte Bouillon und mein fremdes Brod sagten ihm genug. Er maß mich mit sehr eigenthümlichen Blicken und auch Herr und Madame gingen mehrmals mit ähnlichen Augen an mir vorüber, so daß es mir in steigendem Grade unbehaglich zu Muthe wurde. Da mußte etwas Versöhnendes geschehen. Als der Garçon Nr. 2 brachte, bot ich ihm ein tüchtig Stück meines Brodes als „pain d’Orléans“ an – und abermals war ich gerettet. Der junge Mann sagte mir mit tausend Dank, daß er selbst aus Orleans sei, und dem eben zurückkehrenden Herrn P. versicherte er, er wisse zwar, ich sei ein „Prussien“, aber er wolle schweigen.
Nr. 3 war als Roßbeef gar nicht zu verkennen, aber jetzt galt’s klug und artig sein. Ich bedeckte die blühende Röthe des Fleischstücks dick mit Senf und verzehrte es, die Gabel in der Rechten, das Weinglas in der Linken. Gottlob, das war „dinirt“ im Paris des Jammers. Die „Confitures“ sowie den Rest meines Brodes nebst Butter und Wurst verehrte ich meinem Führer, und wie freute sich dieser, solche Herrlichkeiten seiner Gattin und seinem Kindchen mit heimbringen zu können.
Wenige Häuser von diesem „Restaurant“ entfernt war das „Hotel de Tours“, in welchem Herr P. mir ein Logis besorgt hatte. Ich verabredete mit Herrn P., daß wir am andern Morgen Punkt halbacht unsere Wanderung durch Paris beginnen wollten, – für heute war der Tag geschlossen, denn Abendvergnügungen, wie Theater, Concerte, Cafés-Chantants und dergleichen giebt es nicht in diesem Paris. Ist leidlich dinirt und genügend schwadronirt, so legt man sich nieder. Gute Nacht! –
Trotz aller Ermüdung war ich jedoch zu aufgeregt von den Erlebnissen des Tages, um schon Ruhe im Bette zu finden. Ich steckte mir eine deutsche Friedenscigarre an und öffnete die Fenster. Draußen dehnte sich die lange Boulevardstraße in die Finsterniß hinein; nur einzelne Gestalten gingen des Wegs, hie und da von dem Lichtschein getroffen, der aus den Häusern auf die Straße fiel. Gegenüber ein freier Platz, über den hier und da ein Laternchen wie ein Irrlicht dahinhuschte. Und das ist Paris! Paris, dessen Gasstrahlenglanz ehedem durch den Widerschein am Himmel auf Meilen Entfernung dem Reisenden und den Umwohnern sich verkündete! Und nun so todt, Alles todt, das Licht und das Leben!
Der erste Gang am Morgen des Achten führte wenige Häuser weit in ein Café. Auch hier vertrat Cognac die Stelle der Milch oder Sahne. „Mürbes“ gab’s ebenfalls nicht und ebensowenig Butter. Nur Zucker war wieder da. Wir begnügten uns mit dem Kaffee, der anderthalb Franken kostete.
Und nun begann das Tagewerk. Am Ende unseres Boulevard wandten wir uns links am Eingange zur Rue de Buffon und am „Jardin des Plantes“ vorüber, über dessen angebliche Verwüstung und Auszehrung die lieben Engländer uns sogar mit illustrirten Berichten erschütterten, – und standen vor der „Halle aux Vins“, dem seit 1808 bestehenden Hauptweinmarkt von Paris. Hier erlebte ich den großartigsten Anblick, den ganz Paris mir bieten konnte. Der bedeutende Raum – er mißt hundertvierunddreißigtausend Quadrat-Mètres – ist für die daselbst lagernden Weinsorten in fünf Hauptgruppen durch fünf Straßen getrennt, welche darnach Rue de Touraine, de Languedoc, de Bordeaux, de Champagne und de Bourgogne heißen. Nun braucht Paris innerhalb der Octroi-Linie jährlich in Bausch und Bogen fünf Millionen preußische Eimer Wein und über zweihunderttausend Eimer gebrannte Getränke. Die Keller der Weinhalle fassen auf einmal etwas mehr als anderthalb Millionen Eimer. Am besten verproviantirt war aber ohne Zweifel Paris mit Wein. Da nun während der ganzen Belagerungszeit die geleerten Fässer nicht fortgeschafft werden konnten, so bildeten sie allgemach Das, was mir vor Augen stand: fünf Hochgebirgsreihen, zu denen man nur mit Staunen und Grauen hinaufsehen konnte. Und als geschickte Baumeister haben sich die Franzosen auch hier bewährt: so fest sind diese Fässermauern aufgethürmt, daß sie ruhig bis zu jener schwindelnden Höhe emporsteigen konnten, auf welcher jetzt die kühnen Kletterer beschäftigt sind, mit Tauen und Leitern ausgerüstet, vorsichtig die fünf Berge wieder abzutragen.
Unser nächster Gang führte uns vor und in die Notre-Dame. Nur in den Kirchen sind jetzt die hohen vornehmen Frauengestalten zu finden, schwarz umhüllt vom Haupt bis zu den Füßen. Auf dem Hochaltar und an einigen Seitenaltären brannten die Kerzen und vor ihnen lagen die Andächtigen zahlreich auf den Knieen. Aber wie in der Kathedrale von Orleans boten auch hier den ergreifendsten Anblick die, welche vor dem einsamen Lämpchen einer Mater dolorosa ihren Trost suchten. Ich sah da manches Antlitz, dessen Schmerz mich mit tiefer Ehrfurcht vor dem Unglück erfüllte. Hier weinten Mütter und Bräute ihr bitteres Leid aus – und gar mancher dieser Frauen war es anzusehen, daß mehr als ein Schwert durch ihre Seele gegangen war. –
(Wir müssen leider schon hier, aus Mangel an Raum, unsere Mittheilungen aus dem sehr ausführlichen Briefe, welchen der Verfasser in seinem Reisebuche vollständig zum Abdruck bringt, schließen und fügen nur noch den Schluß desselben an. D. Red.)
Nach achtstündiger Pflastertreterei nahmen wir zum letzten Theil unserer Tour, über die Boulevards von der St. Madeleine bis zum Bastilleplatz, den Omnibus zu Hülfe. War das eine genußreiche Fahrt! Das Auge entzückte der Prachttheil einer wunderschönen Stadt. Nur am Bilde des Straßenlebens besserte sich nichts. Wie die Zeitungen, füllte alle Köpfe von Paris nur die Sorge um das „Ravitaillement“, die große Masse lebte eben im Uebergang von der schmerzlichen Entbehrung zur Hoffnung auf bessere Nahrung.
Auch bei der Julisäule hatte, wie bei der Statue von Straßburg auf dem Concordienplatz, eine Demonstration der Trauer stattgefunden: eine hohe Tricolore, mit einem schwarzen Flor umhüllt und mit einem Todtenkranz geschmückt, lehnte am Denkmal der Freiheitsmärtyrer von 1830.
Von da eilten wir in den Bahnhof von Orleans. Die Zahl der Reisenden entsprach auch heute nicht der Größe dieser Hallen. Herr P. verließ mich nicht eher, bis er mein Fahrbillet nach Juvisy (nur bis dahin durften von Paris aus Fahrkarten ausgegeben werden!) in meiner Hand wußte. Dann schieden wir von einander, ich mit dem dankbarsten Herzen für seine in solchen Tagen gewagte treue Führung, die ich ihm nie vergessen werde.
Erst als ich nun allein im Wartesaal zwischen all’ dem schnatternden Volke stand, überkam mich wieder die Frage: „Wirst du wirklich so ohne allen Anstoß aus Paris herauskommen?“ Daß ich meinen deutschen Paß keiner französischen Behörde vorgezeigt, war offenbar gut gewesen. „Wer viel frägt, erfährt viel.“ Aber nun konnte man doch nachträglich darnach fragen. Zur bestimmten Zeit ward das Signal zum Einsteigen gegeben, die Thüren zum Perron öffneten sich und Alles drängte nach den Wagen. Ich kam zwischen einen Geistlichen und ein Frauenzimmer, das seine Köchin zu sein schien. Mir gegenüber saß ein Elsässer. Alle hatten bereits ihre Pässe in den Händen, so daß ich in meiner Vermuthung, die französische Behörde werde auch ihr Aufsichtsrecht hier ausüben, bestärkt werden mußte. Endlich ging der Zug ab. Haha, bei der Enceinte wird die Untersuchung losgehen, dachte ich und nahm auch meinen Paß in die Hand. Da verstopften plötzlich wieder alle Köpfe an den Fenstern die Aussicht – ich höre das Donnern der Wagen durch den Thürweg des Mauergürtels, der Zug rollt und rollt weiter, und als die Fenster wieder frei waren, lag Paris hinter mir und ich fuhr dem Schutze der deutschen Macht in Vitry entgegen.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_206.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)