Verschiedene: Die Gartenlaube (1870) | |
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dem Eisgang,“ sagte er, „die nächste beste Eisscholle reißt Alles ein und nun zieht auch noch ein Sturm herauf.“
„Schmetthorn, um Gotteswillen – sag’, was sollen wir thun?“ rief Egon, und der Diener weidete sich an der Angst des Herrn. Die schlaffen Züge des einst so schönen Mannes waren völlig verzerrt, die Kniee schlotterten ihm, die verschwommenen Augen stierten ihn mit einem blöden Ausdruck an.
„Ich weiß einen guten Rath, der ist mehr als einen Batzen werth, aber ich gebe ihn dem Herrn Grafen umsonst aus alter Freundschaft.“
„Nun? Schmetthorn, sprich! Um aller Barmherzigkeit willen – sprich!“
Schmetthorn näherte sich dem Grafen mit widerlicher Vertraulichkeit und flüsterte ihm in’s Ohr: „Da giebt’s nur eine sichere Hülfe: man muß dem Wasser einen Abfluß schaffen, – wir machen einen Durchstich!“
Egon fuhr fast erschrocken zurück. „Einen Durchstich? Wo?“
„Beim Salten!“
„Schmetthorn!“ rief Egon, als könne er die ungeheure Niederträchtigkeit dieses Vorschlags kaum fassen. „Schmetthorn, das wäre ja ein Verbrechen!“
„Nur Nothwehr, Herr Graf! Der Salten verdient’s nicht besser, hat er Sie und mich nicht gemaßregelt, wie ein Polizeibüttel? Nein – da wäre jedes Erbarmen Schwäche.“
„Wenn es aufkäme, bedenke nur!“
„Es kommt nicht auf, ich bürge Ihnen dafür, ich habe einen feinen Plan, lassen Sie nur mich sorgen. Ich möchte so wenig wie Sie in’s Zuchthaus.“
„Woher die Leute nehmen zu solch einem Werk?“
„Wissen Sie nicht, daß in den Wäldern zu Hunderten die Rastenburger Eisenbahnarbeiter herumlungern? Sie sind Alle wüthend auf den Salten, weil er das Betteln verboten hat wegen der Seuche. Die Leute wollen weder nach Hause, noch in die Salten’schen Spitäler, die wollen ihre Freiheit und ihren Schnaps. Sie geben mir hundert Thaler und ein paar Ohm Branntwein mit auf den Weg, und bis heute Abend habe ich sie Alle beisammen. Wir machen den Durchstich noch innerhalb des Waldes, wo uns Niemand sieht, gerade am Ausfluß des Haasznen in den Lyk und machen ihn schräg gen Süden, so daß das Wasser in die Saltenow’sche Niederung abfließen muß.“
„So viele Menschen zu Mitwissern zu machen …“ sagte Egon unschlüssig.
„Wenn wir sie Alle zu Mitschuldigen machen, so müssen sie ja schweigen!“
„Und der Deichwächter?“ fragte Egon.
Schmetthorn grinste pfiffig. „Mit dem will ich schon fertig werden – er ist ja Paula’s Vater, der thut uns nichts!“
Der Plan leuchtete Egon ein, aber er schauderte noch vor der entsetzlichen That. „So viele Leute um Hab und Gut, vielleicht um das Leben bringen …“
Da zog ihn Schmetthorn mit sich die kleine Thurmtreppe auf den Thurm hinauf „Sehen Sie da hinüber,“ rief er. „Wo haben die Leute zuerst angefangen aufzuschütten? Beim lieben Salten! Sehen Sie das reißende geschwollene Wasser, wohin wird es sich nun zunächst ergießen? Ueber unsere Ländereien. Und wir wollen stillhalten wie die Opferlämmer und über uns ergehen lassen, was kommt? wollen den Bettelsack aufbuckeln und in der Salten’schen Suppenanstalt speisen, damit wir einen schlechten Streich weniger auf dem Gewissen haben?“ Er lachte frech. „Als ob es bei uns nicht in Einem hinginge! Schufte sind wir in den Augen ehrlicher Leute ja doch!“
„Schmetthorn, Du bist ein Teufel!“ stöhnte Egon willenlos und geängstigt. „Du hassest den Salten, weil er Dir Dein Wuchergeschäft verdarb, und willst Dich an ihm rächen!“
„Warum nicht gar! Was thue ich ihm denn so Schlimmes? Ich bereite ihm, was uns treffen sollte – und uns träfe es schlimmer, denn Sie werden sehen, dem Salten hilft Jedermann, uns aber Niemand – das ist der Unterschied.“
In diesem Augenblicke fuhr ein Windstoß durch die Wipfel und rüttelte heulend an dem Thurme, auf dem die Beiden standen.
„Das ist Südwestwind; sehen Sie, wie er die Fluth zurückwirft gegen unsere Ufer hin?“
Egon klammerte sich in hülfloser Angst an Schmetthorn. Schlag auf Schlag und Krach auf Krach! Im Walde unter ihnen stürzten die Bäume zusammen, die schlanken Wipfel bogen sich wie Gerten auf und nieder, die Vögel wirbelten wie welke Blätter ohne Ziel und Richtung in der wilden Luftströmung hin und her. Und mit der wachsenden Zerstörung wuchs auch die Wuth der entfesselten Windsbraut. Jetzt fing sich der Sturm in der schwarzen Fahne auf dem Thurme; sie wallte und klatschte und schlug mit den schwarzen Flügeln, sie war ihm ein lustiges Spielzeug. Jauchzend zersplitterte er den Fichtenstamm, an dem sie hing, und schleuderte ihn vom Thurme in die Tiefe nieder, und pfeilschnell flog die Fahne, bald sich senkend und ausbreitend wie ein vom Himmel gefallenes Bahrtuch, bald auffahrend wie ein riesiger Vogel. Immer höher und weiter entschwebte sie, bis sie endlich nur noch als ein langer schwarzer Streifen am Horizonte dahinzog wie ein ungeheurer Strich, den Gott durch die Rechnung der Natur gemacht. Leise wimmernd begann die Glocke des Thurmes zu tönen, von unsichtbarer Sturmeshand in Bewegung gesetzt. Es graute Egon, und er wandte sich, um den wankenden Thurm zu verlassen.
Da packte ihn Schmetthorn bei der Schulter. „Herr, entschließen Sie sich, es wird Abend – wenn ich nicht rasch handeln kann, dann sind wir morgen Bettler. Jeder Augenblick kann uns verderben!“
„Du hast Recht,“ rief der entnervte Mann. „Leben müssen wir. Ich will Dir an Geld geben, was ich noch habe – thu’, was Du willst, nur rette, rette mich!“ Er stieg hinab und gerade zur rechten Zeit; dicht hinter ihm brach das morsche Sparrenwerk mit der Glocke zusammen. Dröhnend stürzte diese herab und zersprang in Stücke. Die alte Familienglocke der Schorns hatte ausgeläutet. –
„Sehen Sie,“ lachte Schmetthorn, „Sie sind noch zu etwas Besserem aufbewahrt!“
„Wer weiß!“ murmelte Egon voll Entsetzen.
„Ah bah –“ tröstete Schmetthorn. „Nur muthig – der liebe Herrgott will noch nicht, daß Sie sterben – sonst hätte er Sie jetzt nicht so sichtbar errettet!“ –
Tiefe Nacht hüllte den Kampf der Elemente ein, ohne ihn zum Schweigen zu bringen. Die Leute hatten einen nothdürftigen Wall längs Alfred’s Gütern errichtet, – um die Schorn’schen Besitzungen kümmerte sich Niemand. Die wenigen Pächter da drüben mochten sich selber helfen. Zuerst mußte Saltenowen und Hermersdorff gerettet sein, denn hier war die meiste Bevölkerung und der meiste Wohlstand. Saltenowen war die Heimath Hunderter braver Familien, die Zuflucht aller Fleißigen und Redlichen.
Es war Mitternacht, man sah nicht die Hand vor den Augen, der Sturm löschte die Fackeln aus, es war unmöglich, weiter zu arbeiten, und die Leute wollten bis zum Tagesgrauen rasten, für das Erste war ja gesorgt. Jetzt aber begann ein seltsames Regen drüben im Walde an der Grenze von Saltenowen. Wer dort in der Gegend noch nicht fest schlief, dem war es, als höre er vom Hause des Deichwächters her ein Wehegeschrei. Doch das Heulen des Sturmes ließ es nicht aufkommen; wenn ein Wind geht, hört man immer gar wunderliche Dinge, und im Walde am Haasznensee war es ja nie geheuer! Es war eine seltsame Nacht! Hin und wieder blitzte ein rother Schein durch das Dickicht der Borken’schen Forst wie ein Irrlicht, um gleich wieder zu verlöschen; formlose Gestalten glitten in der Dunkelheit durch einander; es war ein Graben und Hacken, ein Wühlen und Bohren wie von unzähligen Maulwürfen. Und dabei verrieth kein Laut, kein Wort, daß hier Menschen arbeiteten, verzweifeltes Gesindel, dessen an die Dunkelheit unter der Erde gewöhnte Augen auch durch die wolkendichte schwarze Sturmnacht zu dringen vermochte. Emsig, rathlos hantirte die lichtscheue Schaar mit Schaufeln und Spaten und grub sich durch den mächtigen Wall, den Jahrhunderte gethürmt hatten, hindurch, dem Wasser zu. Unbarmherzig zerrissen die scharfen Eisenzähne das dichte Geflecht der Wurzeln, die dem Damm seinen zähen Widerstand gegeben; mächtig schwangen die Fäuste die Aexte, immer dünner ward die Schutzwehr, die Erde und Wasser von einander trennte. Drei Elemente, Erde, Wasser und Sturm, befehdeten sich und mitten darunter eine mit Gott und der Natur zerfallene Schaar wetterharter Gesellen, geschäftig, in bestialischer Schadenfreude den Ausbruch der Zerstörung noch zu fördern und zu entfesseln.
Rings umher ruhten die friedlichen Ortschaften im tiefen Schlummer aus von den Drangsalen und Entbehrungen des Tages. In den Typhusspitälern von Saltenowen lallten die
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 854. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_854.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)