Verschiedene: Die Gartenlaube (1870) | |
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Victor sah ihn fragend an.
„Ja, Victor,“ wiederholte Alfred bewegt, „eine schwere Sorge, denn nun erst sehe ich Dich Anna’s würdig und hoffe, daß sie mit Dir glücklich werde!“
Es war das erste Mal, daß Anna’s Name zwischen den beiden Männern erwähnt wurde, denn sie hatten sich während des Feldzugs geflissentlich vermieden. Eine dunkle Röthe bedeckte plötzlich das bleiche Gesicht Victor’s und er faßte Alfred’s Hand wie bittend: „Vetter, ich habe Dir noch ein schweres Geständniß abzulegen. Aber ich will ja Alles gut machen und so darf ich mir auch das nicht ersparen. Ich stehe Dir zu Dienst, wenn Du Satisfaction verlangst, sobald ich wieder heil bin, – aber ich denke, Du wirst mich nicht erschießen wollen, nachdem Du mich erst mit der größten Mühe zusammengeflickt! – Höre denn! Ich habe Dich belogen: als ich von Euch fortging, war ich schon mit Anna entzweit.“
Alfred zuckte leicht zusammen, aber er faßte sich sogleich wieder.
„Ich habe es Dir verschwiegen,“ fuhr Victor fort, „weil ich hoffte, sie würde sich wieder gewinnen lassen, und fürchtete, Du könntest, wenn Du’s wüßtest, die Bresche benützen und zwischen unsere Versöhnung treten. Da hast Du’s, nun ist’s herunter von der Seele!“ Er that einen tiefen Athemzug. „Schau, jetzt ist mir wohl, trotz meiner Schmerzen. Es thut kein Gut, wenn ein Soldat etwas auf dem Herzen hat, es ist, wie wenn man mit einem Tornister auf dem Rücken schwimmen soll! Wo man die ganze Kraft des Leibes und der Seele braucht, da muß Alles leicht sein, besonders das Gewissen!“
Alfred bog sich teilnehmend zu dem Kranken nieder: „Armer Victor!“
„O, gräme Dich nicht auch noch um mich,“ sagte Victor ruhig. „Es that mir weh, denn Anna war mir sehr lieb, aber sie ist doch ein störrisches Wesen, mit dem ich nicht fertig geworden wäre. Sie hätte sich so wenig in meine Verhältnisse gefunden als ich mich in die ihren. Es ist besser so, lieber Alfred, und nachdem ich nun gesehen habe, welch’ ein Mann Du bist, – meine ich, wenn Du wolltest, könntest Du sie noch bekommen!“
Alfred preßte die Hände auf die Brust. „Nein, Victor,“ sagte er mit mühsam unterdrücktem Schmerz, „sie ist mir nicht mehr, was sie mir war – und kann es nie wieder werden, als Deine getrennte Braut so wenig, wie als Deine Verlobte. Ein Weib, das so leicht lieben und so leicht erkalten kann, ist kein Weib für mich. – Das ist vorbei!“ Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und wandte sich ab. Victor sah mit ehrlicher Betrübniß, wie schwer Alfred litt; er stützte den verbundenen Kopf in die Hand und versank in ein stilles, ihm ganz ungewohntes Brüten. – Von diesem Tage an wurden Alfred und Victor treue Freunde, denn Victor war ein anderer Mensch, seit er die Feuertaufe empfangen hatte. Er war und blieb zwar eine gewöhnliche einfache Natur, wie er sich selbst in richtiger Erkenntniß nannte, militärisches Talent besaß er wenig und sein ganzer Ruhm war seine athletische Persönlichkeit, mit Hülfe deren er die ungeheuersten Strapazen ausgehalten und sich tüchtig geschlagen hatte, bis er einen Schuß am Kopf erhielt. Aber wer einmal im Feuer gestanden und den furchtbaren Ernst des militärischen Berufs im Kampf um Leben, Ehre und Vaterland kennen gelernt hat, dem ist auch ein männlicher Ernst in die Seele gebrannt, er fühlt die Weihe seines Berufs und sie erhebt ihn über sich selbst. Das machte sich auch in dem oberflächlichen Victor geltend, und als er mit einem Transport Verwundeter aus dem Feldlazareth fortgebracht wurde, fiel ihm der Abschied von Alfred so schwer, als scheide er von einem Bruder. Er hatte das Gute und Große in Alfred verstehen gelernt, weil er selbst besser geworden war.
„Du sollst sehen, ich bin dankbar!“ rief er Alfred noch aus dem Wagen zu. – – –
Der Krieg war zu Ende. Alfred kehrte mit den Truppen nach B. zurück, denn dort gab es noch harte Arbeit zu thun; bis alle die Wunden geschlossen waren, die der Kampf geschlagen. Alfred blieb als Hülfsarzt an einem der großen dortigen Spitäler. Nun erst sollte er erfahren, wer und was er war. Kaum war sein Name genannt, als er der Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit wurde. Sowie er in einen Krankensaal trat, wendeten sich alle Blicke nach ihm. Man grüßte ihn, wo er vorüberschritt, mit neugieriger Zuvorkommenheit, man drängte sich an ihn unter allen erdenklichen Vorwänden. Er fühlte, mußte fühlen bei aller Bescheidenheit, daß er ein berühmter und mehr als das, ein beliebter Mann geworden. Die Soldaten und Officiere, die er behandelt, hatten den Ruf seiner Aufopferung in allen Schichten der Bevölkerung verbreitet, und ein edles berechtigtes Selbstbewußtsein gab seinem ganzen Wesen etwas Gehobenes. Er liebte die Menschen; wie sollte es ihn nicht beglücken, wenn er sah, daß sie ihn wieder liebten, wie sollte es ihn nicht stolz machen, ihnen etwas sein zu können? Es war, als sei er um einen Kopf gewachsen in den wenigen Tagen, so hoch und stolz schritt er einher, und selbst der etwas schleppende Gang des einen Fußes fiel bei dieser sichern Haltung nicht mehr auf. Die Damen, welche im Lazareth als Krankenpflegerinnen wirkten, fanden ihn anziehend und interessant, viele sogar schön. – Manch’ tiefes ernstes Auge einer jungen schmerz- und geduldgeprüften Diaconissin hing schwermüthig an ihm, als wolle es sagen: „Du bist auch Einer von denen, die nur noch für Andere leben, weil sie für sich nicht mehr leben mögen! Ich weiß, wie Dir zu Muthe ist!“
Wenige Tage nach seinem Eintreffen mit der Armee fanden die Ordensverleihungen statt und Alfred erhielt den Orden, welcher eigens für die Verdienste im Kriege gestiftet war. Er, der als Knabe nicht den Knall einer Pistole ertrug, nicht bei feuchtem Wetter im Garten sein, kein Spiel gesunder Knaben mitmachen konnte, – er hatte es soweit gebracht, daß Helden ihre Auszeichnungen mit ihm theilten. Lächelnd sah er auf das kleine Ehrenzeichen nieder, – es war ihm wie ein Traum, daß er es errungen, und es war ihm werth, weil er es so mühevoll verdient hatte.
Er hatte nicht an den Hof gehen, sondern seinen Pflichten leben wollen. Nun aber mußte er dem Könige persönlich danken und schon am folgenden Tage ward ihm Audienz gewährt. Man schien höchsten Ortes ungeduldig zu sein, ihn kennen zu lernen. Auf zehn Uhr war Alfred befohlen und mit dem Glockenschlage trat der König aus seinem Arbeitszimmer, aber Alfred war noch nicht da. Es wurde viertel, halb, dreiviertel auf Elf – der König mußte warten. Die gute Laune des Monarchen umwölkte sich: „Der junge Herr hat keine große Eile, wie es scheint,“ sagte er zu dem dienstthuenden Adjutanten und sah auf die Uhr. „Bestellen Sie den Wagen, ich bin von nun an nicht mehr für Herrn von Salten zu sprechen.“
In diesem Augenblick öffneten sich die Portieren, Herr von Salten ward gemeldet. Der König zögerte unschlüssig, ob er ihn abweisen lassen sollte, indessen „der Mann hat doch große Verdienste, man muß ihm etwas nachsehen! Ein paar Minuten will ich noch drangeben. Er mag kommen.“
Mit Spannung sah der König nach der Thür. Wieder öffneten sich die Portieren, der Gemeldete trat ein und verneigte sich mit würdevoller Bescheidenheit. Zum ersten Male in seinem Leben stand er vor der Majestät des Herrschers. Nicht durch die Rechte seiner Geburt, die er niemals geltend machte; durch sein eigenes Verdienst kam er in die Nähe dessen, der seine Umgebung aus den Bevorzugtesten der Menschheit wählen kann. Es lag eine schöne Mischung von edlem Selbstgefühl und schuldiger Ehrfurcht in seinem Wesen, denn der König war ihm mehr, als ein gesalbtes Haupt, er war ihm die verkörperte Volkseinheit. Er blieb an der Thür stehen und harrte der Anrede des Königs. Dieser winkte ihm etwas ungnädig näher zu kommen.
„Ich bedaure, Herr von Salten, daß man Ihnen die Stunde der Audienz, wie es scheint, unrichtig bestellt hat – meine Zeit ist fast abgelaufen.“
Alfred hob den Kopf und sah dem König mit seinen schönen melancholischen Augen offen in das umdüsterte Gesicht: „Ich muß sehr um Verzeihung bitten, Majestät, man hat mir die Stunde richtig gesagt, aber ich hatte diesen Morgen eine Operation zu machen, die sich nicht aufschieben ließ und länger dauerte, als ich glaubte. Es handelte sich um ein Menschenleben, Majestät.“
Des Königs Antlitz begann sich zu erheitern: „Hm, wer war der Glückliche, der sich dieser Sorgfalt erfreute?“
„Ein Gemeiner aus dem fünften Infanterieregiment.“
Der König war eine große redliche Natur, die Wahrheit und Männlichkeit zu schätze wußte. Er reichte Alfred rasch die Hand,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 807. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_807.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)