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Seite:Die Gartenlaube (1870) 726.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

wir müssen den Hunger als Gegengift gegen den Trunk anwenden und ich hoffe, Du wirst dies mit aller Strenge durchführen. Haben wir nur erst unsere Ortschaften auf eine höhere Stufe gebracht, dann können wir für diese unglückliche aufgegebene Provinz kämpfen und an dem Erfolge unserer Bestrebungen zeigen, was die Cultur über das verkommenste Volk vermag. Dann, Feldheim, ist auch Deine Aufgabe erfüllt, und Du sollst und mußt diesen Ort der Verbannung mit einem größeren Wirkungskreise vertauschen.

Daß Du die Berufung nach K… abgelehnt hast, um das mühselig begonnene Civilisationswerk auf meinen Gütern nicht im Stiche zu lassen, ist ein Opfer, für das Dich nichts entschädigen kann, als der Erfolg, auf den wir Beide hoffen. Ich denke, Deine früheren Besorgnisse, ich würde Dir durch unzeitige Weichherzigkeit die Erziehung dieses verwahrlosten Volkes erschweren, völlig widerlegt zu haben. Du siehst, meine oft beschrieene Sentimentalität erstreckt sich nicht auf meine Handlungen. In den nächsten Tagen schicke ich Dir die nöthigen Instructionen und Vollmachten zum Beginn der Erdarbeiten für den Bau. Ich berathe schon seit Wochen mit dem wackern Herrn Hösli den Plan. Wenn ich nur mehr Zeit hätte! Ich opferte gern die Nächte, aber einige Stunden Schlaf brauche ich – denn ich muß haushalten mit meinen geringen Kräften. Lebewohl für heute! Grüße die Tanten!

Ich bin neu gestärkt durch diese Zeilen an Dich, als hätte ich in Dein unergründliches Auge geblickt. O Freund, könnte ich heute in diese Augen sehen, die mir stets die ganze Welt schöner wiedergespiegelt! Ein Wort von Dir, ein Ton Deiner tiefen männlichen Stimme würde mich aufrichten in der höchsten Noth! Doch auch das darf nicht sein. Du bist nicht arm, nicht elend – und mein Theil sind ja nur die Armen und Elenden!

Stets der Deine
Alfred.“ 


Er siegelte den Brief[WS 1] nebst einem vorhergeschriebenen an den Kanzler der Johanniter und ging, die Briefe selbst zu besorgen. Im Vorüberschreiten fragte er den Diener, ob Victor noch nicht da sei. Er bekam den Bescheid, der Graf sei zu Hause gewesen, um sich umzukleiden, und dann wieder zu Hösli’s zurückgekehrt.

Alfred erbleichte, aber er sagte zu sich selbst: „Das ist ja natürlich!“ Als er aus dem Hause trat, begegnete ihm athemlos Frank’s Dienstmädchen.

„Herr Doctor, Sie möchten doch schnell zu uns hinüberkommen, unser Herr ist krank.“

„Frank?“

„Ja, ja, wir wissen gar nicht was ihm fehlt, die Frau ängstigt sich so sehr!“

„Ich komme gleich!“ sagte Alfred und schlug unverzüglich den Weg nach Frank’s Wohnung ein.

Indessen kehrte Victor in etwas beklommener Stimmung mit Anna in das Haus zurück; er hatte keine andere Wahl, als bei ihren Eltern unverzüglich um sie anzuhalten.

Herr Hösli kam soeben von seinem Geschäftsgange heim. „Nun, Herr Graf,“ rief er Victor entgegen, „Ihres Bleibens wird wohl nicht mehr lange hier sein. Die Abendzeitung bringt die Bestätigung unserer Befürchtungen … Man macht in Deutschland mobil gegen Dänemark. Auch Ihr Fürstenhaus wird in den Krieg verwickelt werden. Jetzt blüht Euer Weizen, Ihr Herren Soldaten!“

„Herr Hösli, ich habe mit Ihnen ein Wort allein zu sprechen,“ sagte Victor in vor Angst völlig feierlichem Tone. Er hätte sich lieber gleich den feindlichen Kanonen entgegengestürzt, als mit dem ‚zähen hochmüthigen Schweizer‘ solch eine entscheidende Sache ausgefochten.

Herr Hösli stutzte und streifte ihn mit einem unzufriedenen Blick. Dann öffnete er die Thür seines Zimmers und sagte kurz: „Treten Sie ein!“

Indessen flog Anna zur Mutter und legte eine Beichte ab.

„Das möchte Alles gut sein,“ sagte Frau Hösli, „wenn ich die Ueberzeugung hätte, daß Du diesen Mann wirklich liebst. Ich kann es mir aber nicht denken. Es ist seine glänzende Persönlichkeit, die Dich täuscht; und Du wirst sehr bald erkennen, wie wenig tieferer Gehalt darunter wohnt.“

Anna schüttelte den Kopf. „Er hat sein Leben für mich gewagt.“

„Er hat sich auf seine Kraft verlassen, von der er weiß, was er ihr zutrauen kann. Aber schau, Anna, es giebt Gefahren, denen man nicht mit der physischen Kraft begegnen kann, die einen festen männlichen Charakter fordern. Ich zweifle, ob er Dir da eine Stütze sein wird.“

Anna schwieg nachdenklich. Sie erinnerte sich an ein ähnliches Wort, das Alfred einst zu ihr gesagt hatte. Ach, hätte sie doch nur mit Alfred über das Alles sprechen können! Er war doch der Klügste und Gerechteste von Allen!

Eine peinliche halbe Stunde verging; endlich trat Herr Hösli mit Victor in das Zimmer. Herr Hösli war vollkommen ruhig. Eine Art überlegenen Humors spielte um den feinen Mund, und das echt schweizerische pfiffige Grübchen kam wieder recht zum Vorschein. Victor war sichtlich bewegt. Das stand ihm gut. Er war so schön, seine Haltung so männlich und edel, sein Gang so sicher und stolz, als er auf Frau Hösli zuschritt. Anna hing mit Bewunderung an der herrlichen Gestalt – ein so wundervolles Aeußere konnte nicht trügen! Er war sich seiner Vorzüge nur selbst nicht bewußt – sie wollte ihn erst erkennen lehren, wer und was er war. Ja, gewiß, es war ihr vorbehalten, ihn erst zu dem großen Manne zu machen, von dem sie geträumt.

„Haben Sie kein Wort für mich, gnädigste Frau?“ fragte Victor, nachdem er Frau Hösli’s volle weiße Hand geküßt, in einem der Situation angemessenen Pathos.

Sie schaute ihren Gatten mit einem bedeutsamen Blicke an. „Ich denke, Graf Victor, Ihr seid Beide noch so jung, daß sich da überhaupt nicht viel sagen läßt. In Euren Jahren kann man sich noch keine Rechenschaft über seine Gefühle geben, und es wäre nicht vernünftig, jetzt schon einen ernsten Beschluß zu fassen.“

Victor athmete bei dem leichten Tone der Frau Hösli unwillkürlich auf.

„Dasselbe habe ich dem Herrn Grafen auch zu bedenken gegeben,“ sagte Herr Hösli mit seinem schlauen Lächeln. „Ich habe ihm die Bedingung gestellt, daß er nach Ablauf des Krieges, den er natürlich ehrenhalber noch mitmachen muß, und nach erfolgter Mündigkeit den Dienst quittirt und in mein Geschäft eintritt. Sobald er das Handelsfach erlernt hat, werde ich ihm eine Commandite gründen, wo er es immer wünscht, damit er sich selbst etwas erwerben und auf eigenen Füßen stehen kann. Dies ist Alles, was ich meinem Herzblättli zu lieb thun kann. Bist Du damit zufrieden, mein Töchterchen?“

Anna sah in Victor’s verlegenes Gesicht. „Nein, bester Vater, das bin ich nicht. Victor kann kein Kaufmann werden, er ist gar nicht dazu geboren, und ich will auch keinen Kaufmann, sondern einen tapfern, ritterlichen Mann. Wenn Victor diese Bedingungen erfüllte, würde ich ihn verachten. Gelt, Victor, Du hast Nein gesagt?“

„Der Herr Graf wollen es überlegen!“ warf Herr Hösli ein. „Kommt Zeit, kommt Rath!“

„Nein, Victor, wie kannst Du das nur überlegen wollen! Wenn Du mich noch so lieb hast, das darfst Du nicht für mich thun. Du kannst den Dienst Deines Landes quittiren und einen andern nehmen, aber in ein Comptoir kannst Du Dich nicht um meinetwillen sperren lassen. Warum hattest Du nicht den Muth, das gleich offen zu sagen?“

„Mein Gott, Anna, ich fürchtete, Dich und Deinen Vater zu beleidigen!“

„Du fürchtest immer zu beleidigen. Aber wer’s Allen recht machen will, macht’s Keinem recht!“

Herr und Frau Hösli schauten sich verstohlen an.

„Theuerste Anna, Du bist unberechenbar! Man weiß nie, wie man mit Dir dran ist!“ fuhr Victor heraus.

„Ach, das ist nur der Beweis, wie wenig Du mich noch kennst,“ sagte Anna verdrießlich.

„Und wie nothwendig es ist, daß Ihr Euch erst kennen lernt, bevor Ihr Euch für’s Leben bindet!“ setzte Frau Hösli hinzu. „Ich trage auf Schluß der Debatte an, da ich es für zwecklos halte, eine in so weiter Ferne liegende Sache jetzt schon zu erörtern, dazu ist es in einem Jahre noch Zeit!“

Victor und Anna erwiderten nichts – sie waren es Beide zufrieden, daß die Angelegenheit von den Eltern nicht so ernst genommen wurde. Sie waren sich einander ferner gerückt als zuvor. Anna hatte, sie konnte es sich nicht leugnen, eine Enttäuschung erfahren, und Victor empfand eine heimliche Scheu vor

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Orief
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 726. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_726.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)