Verschiedene: Die Gartenlaube (1870) | |
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zertrümmern, was sich mir in dem Umkreise meines Wirkens hindernd entgegenstellt, nicht weil es mich, sondern weil es die gesunde Entwickelung hemmt, die ich fördern will. Ich opfere die Todten den Lebenden. Ein Vorurtheil, das so tief in das warme Leben einschneidet, wie das, welches unsere Standesgesetze und Familienstatuten schuf, das so viele Opfer fordert und dem Wohle des Ganzen doch so wenig fruchtet, muß fallen, und sei es noch so berechtigt, noch so ehrwürdig.“
„Mein Sohn, vermiß Dich nicht,“ sprach Adelheid. „Du nimmst den Kampf mit einer Welt auf, für die Du geboren und erzogen bist! Steige nicht herab von einer Höhe, auf die Dein Name Dich gestellt, Alles drängt empor nach der Höhe – und Dich drängt es herab in die Niedrigkeit!“
„Das ist nicht wahr, meine Mutter, ich will nicht die Rechte meiner Geburt verkaufen um ein Gericht Linsen, nimmermehr. Nicht herabsteigen will ich zu den Niedrigen, sondern sie zu uns heraufziehen. Beweisen will ich meinen Standesgenossen, daß wir echte Edelleute bleiben können, auch wenn wir uns den Bedingungen des zeitgemäßen Fortschrittes fügen, daß wir keine Majorate mehr bedürfen, wenn wir uns nicht scheuen, die Pfunde, die uns Gott gegeben, wuchern zu lassen, und daß der Glanz eines Namens, der sich an der heiligen Flamme des Genie’s entzündet, ebenso hell leuchtet, als der eines altererbten Familienruhmes! Das, Mutter, das ist die Idee meines Lebens.“
Adelheid legte die Hand auf das lockige Haupt des Jünglings: „Mein edler Sohn, Du schaffst Dir ein Leben voll schwerer Pflichten und sicherst Dir keinen Lohn, denn Die, für deren Wohl und Rechte Du wirken willst, werden Dir’s nicht danken, weil sie die Opfer, die Du ihnen bringst, nicht schätzen können. Deine Standesgenossen aber werden Dich als ihren Feind, als einen Abtrünnigen betrachten, und Du wirst zu Niemandem gehören und Niemand wird zu Dir gehören! Du wirst stets allein bleiben.“
„Ich werde das Schicksal aller Derer theilen, welche die Dinge in ihrem Verhältniß zu dem Ganzen und nicht an und für sich betrachten, welche mit einem Worte keiner Partei angehören und daher von allen angefeindet werden. Sei’s, Mutter, ich sehe diesem Geschicke ruhig entgegen. Ich weiß, was ich will und was ich muß, und stelle alles Gelingen Gott anheim.“
„Wer kommt da?“ fragte Adelheid und wandte erschrocken den Kopf. Alfred ging nach der Richtung, von wo ein Geräusch wie von Rädern ertönte. Es dauerte einige Minuten, bis er zurückkam, Adelheid benützte sie, um sich einmal wieder recht auszuhusten, was sie nie that, wenn Alfred bei ihr war. Endlich eilte er herbei und fragte froh bewegt: „Mutter, fühlst Du Dich wohl genug, um einen unverhofften Besuch zu empfangen?“
„Wer ist es?“ fragte Adelheid.
„Eine Frau, deren Nichtachtung Dir so lange und so vielen Kummer bereitet –“
„Frau Hösli?“ rief Adelheid, und das Blut stieg ihr in das Gesicht. „Sie kommt zu mir?“
„Ja, Mutter!“ sagte Alfred bittend. „Und ich bin sicher, sie kommt nicht, um Dich zu beschämen!“
„Ich will sie sprechen,“ flüsterte Adelheid und erhob sich, um ihr entgegen zu gehen.
Frau Hösli wartete in ihrem Rollwagen am Rande des Wäldchens: Als sie Adelheid kommen sah, verabschiedete sie den Diener, der sie fuhr. „Sie schieben mich wohl bis zu der Bank, wo Ihre Mutter saß, lieber Alfred?“ bat sie, und Alfred that, wie ihm geheißen. So auf halbem Wege begegneten sich die Frauen. Alfred hielt an, Frau Hösli streckte Adelheid die Hand entgegen. Adelheid war unfähig zu sprechen, sie sah die strenge, makellose Frau seit der furchtbaren Katastrophe zum ersten Male, und Stolz und Scham rangen schwer in ihrem Herzen.
„Wir haben viel durchgemacht, seit wir uns zum letzten Male sahen!“ sagte Frau Hösli.
Adelheid schwieg noch immer und große Thränen flossen ihr über die Wangen herab.
„Wir müssen alles Unglück, das uns trifft, als einen Läuterungsproceß ansehen. Und ich denke, so haben Sie es auch gethan.“
Adelheid schlug die Augen auf und sah Frau Hösli mit einem vollen Blick an. „Ich glaube ‚Ja‘ sagen zu dürfen!“
„Aber kommen Sie bis zur Bank, Liebe! Sie sollen nicht so lange stehen, Sie scheinen mir wirklich sehr angegriffen. Unser guter Alfred schiebt mich wohl bis dahin?“
Die Bank war erreicht und Adelheid setzte sich neben Frau Hösli’s Rollwagen.
„So,“ sagte diese, „mein lieber Alfred, nun will ich Sie nicht mehr aufhalten. Sie sind gewiß so freundlich, mir in einer halben Stunde den Diener wieder zu schicken!“
Alfred fühlte, daß Frau Hösli mit seiner Mutter allein sein wollte, und ging.
Als er aus dem Wäldchen trat, sah er Anna, die sich am Ufer herumtrieb. „Ei, Aenny, was machst denn Du hier? Du durftest ja unsern Boden nie betreten!“
„Seit die Mutter sich mit Deiner Mutter versöhnen will, darf ich auch wieder herüber. Ich habe sie bis hierher begleitet und da pflückte ich gleich ein paar Binsen zu Körbchen für Frank’s Kinder, sie wachsen hier viel schöner als drüben bei uns. Komm’, hilf mir pflücken.“
„Ich kann eigentlich nicht,“ sagte Alfred unschlüssig, „ich wollte zum Doctor Zimmermann. Er hat schon seit drei Tagen meine Dissertation im Hause, und ich kann es nicht mehr erwarten, sein Urtheil zu hören.“
„Nun gut, so geh’, wenn Dir das lieber ist,“ sagte Anna trotzig, „pflück’ Dir Lorbeeren statt Binsen!“
Alfred sah sie lächelnd an „Schau’, schau’! Gleich beleidigt? Nun, sei nur gut. Du sollst mich nicht umsonst einen Philister nennen. Ich will als solcher sagen: eine Taube in der Hand ist mir lieber, als sieben auf dem Dache, oder auf den vorliegenden Fall angewendet: Eine sichere Binse mit Aenny ist mir lieber, als unsichere Lorbeeren ohne Aenny!“
„Wenn ich aber aus den Binsen einen Korb flechte?“ neckte Anna.
„Da werde ich wohl gescheidt genug sein, ihn mir nicht zu holen!“
Anna war etwas verblüfft über diese Antwort. „Fredy, Du bist heute recht übermüthig,“ bemerkte sie.
„Das kommt mitunter so, wenn ich Dich sehe – Du steckst mich an.“
Aenny war halb ärgerlich. Es stand dem kleinen Alfred so schlecht, wenn er muthwillig sein wollte. Zwar – wenn er sentimental war, gefiel er ihr ebensowenig. Er konnte sein, wie er wollte, recht war er ihr nie. Und dennoch mochte sie ihn nicht missen, „weil sie nun eben einmal so an ihn gewöhnt war.“ Und wenn er ihr nicht nachlief, so lief sie ihm nach, so sicher wie die Luft in einen leer gewordenen Raum nachströmt. Hätte Alfred die Klugheit gehabt, sie, was man so sagt, an sich kommen zu lassen, die kleine „Donna Diana“ wäre ihm sicher gewesen. Aber er hatte keinen Perin zur Seite, und eine erste frische echte Liebe experimentirt nicht. Alles, was er über sich gewann, war, sein Wort zu halten und nicht mehr geradezu von Liebe zu reden, und die Mühe, die ihn das kostete, war es, was ihn von nun an ferner von Anna hielt, als früher.
Anna hatte sich wieder an die Arbeit begeben und raufte tüchtig in den Binsen herum.
Alfred folgte ihrem Beispiel.
„Au,“ schrie Anna, „mein Nagel!“
„Was hast Du? Zeig’ her!“
Anna hatte sich beim Pflücken den Nagel tief eingerissen. „Au, thut das weh!“ jammerte sie.
„Wart’, da wollen wir gleich helfen,“ sagte Fredy, zog sein Operationsetui aus der Tasche und nahm eine Scheere heraus.
„Führt er wahrhaftig eine Scheere bei sich wie ein Schneider!“ lachte Anna.
„Ich bin auch ein Schneider,“ erwiderte Alfred, wie immer von solchen Späßen verletzt. „Und noch dazu ein Flickschneider, denn ich bessere nur Mängel und Schäden aus.“ Er hatte Aenny während dessen das perlmutterblanke verunglückte Nägelchen abgeschnitten.
„Danke,“ sagte Anna und schielte mit einer geheimen gruseligen Neugier in das Etui. „Was sind denn das alles für närrische Instrumentchen?“
„Das ist mein Nähzeug!“ sagte Alfred ironisch. „Oder auch, da Du die Ritter mehr liebst als die Schneider, mein Rüstzeug. Da drinn stecken meine Schwerter und meine Lanzen!“ Er wickelte das Etui wieder zusammen.
„Das sind mir schöne Schwerter; wenn Du mit denen Einem zu Leibe gehst, mag’s ein lustiges Turnier geben. Brr!“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_611.jpg&oldid=- (Version vom 5.2.2019)