Verschiedene: Die Gartenlaube (1870) | |
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„Gehen Se, gehen Se!“ stöhnte Itzel wie erschöpft von einer großen moralischen Anstrengung.
Adelheid konnte nichts thun, als seiner Weisung folgen und stumm das Zimmer verlassen.
Itzel legte hinter ihr die schweren Eisenstangen vor die Thür. Plötzlich ging der leidende Ausdruck seines runzeligen beweglichen Gesichts in einen pfiffigen Humor über, und er mauschelte vergnügt vor sich hin: „Pepiergeld – preußisches?! For wen wird se morgen zu machen haben die Zahlung? Die Saltens sind gewesen solide Leute, wo kämen auf einmal her de Schulden?“ Er rieb sich schadenroh die Hände. „Morgen wird’s geben offene Thüren in’s Gefängniß – und offene Mäuler im Rath! Glück auf’n Weg, Herr Graf! Geld genug kriegen Se mit, – aber die Steinlich sind’s werth – und die offenen Mäuler von den hohen Rath auch!“
Adelheid eilte mit dem Gelde, so schnell sie konnte, hinweg. Sie nahm eine Droschke und fuhr nach Hause. Sie ging unbemerkt auf ihr Zimmer und warf das Päckchen von sich, als sei es ein Scorpion, der sie in die Hand gebissen. Dann sank sie auf ihr Bett und brach in Thränen aus. – –
Die Morgensonne warf ihre Strahlen auf die kaum geschlossenen Lider Egon’s und zwang sie, sich zu öffnen. Aber er kehrte sich ab und verbarg das Gesicht stöhnend in den Armen, denn die grellen Strahlen zeichneten den Schatten der Eisengitter vor den Fenstern schwarz auf den Fußboden, und sein Anblick that ihm weher als die Sonne; der Schatten bildete ein Kreuz. Dies Kreuz verfolgte den Unglücklichen. So oft ein Sonnenblick oder ein Mondesschimmer in seine Zelle fiel, führte er ihm stets das verrathene geschändete Abzeichen seiner Würde mahnend vor die Seele. Es war bei ihm zu einer fixen Idee geworden, welche den Aerzten Grund zu den schon erwähnten Besorgnissen für ihn gab. Es war seltsam, welchen Eindruck das auf den Gefangenen machte, und der Gefängnißarzt hatte für nöthig befunden, den Verschluß des Fensters mit einem Brett anzuordnen. Aber dann hatte Egon zu ersticken gemeint und nach Luft gejammert. So blieb Alles wieder beim Alten.
Eine tiefe Stille umgab den einsamen Mann in der einsamen Zelle. Wäre es eine Klosterzelle gewesen, man hätte sie friedlich nennen können. Das kleine Fenster war offen und draußen zwitscherten die Sperlinge in der vorspringenden Dachrinne. Dann und wann glitt ein zweiter Schatten über das unbewegliche schwarze Kreuz am Boden hin, wenn ein Vogel am Gitter vorbeiflog. Egon setzte sich wieder auf und nun heftete er seine Augen mit einer Art von Verstocktheit auf den Schatten und sah zu, wie er sich mit jeder veränderten Stellung der Sonne verwandelte und immer kürzer und breiter ward, immer ähnlicher einem Johanniterkreuz. Der Gehülfe des Gefangenwärters brachte das Frühstück, er kannte schon die Art des Gefangenen, und er schüttelte ihn an der Schulter: „Essen Sie, bevor ’s kalt wird.“ Egon erhob sich mechanisch von dem Lager und gehorchte dem Befehl.
„Sie werden an meine gute Bedienung denken, wenn Sie erst im Zuchthaus sind. Morgen wird Ihr Proceß entschieden und dann kommen Sie gleich in die Strafanstalt,“ sagte der Gehülfe, ein roher verschmitzter Bursche, mit einer wahren Galgen-Physiognomie. „Ich wollte, ich wäre Kellner geworden statt Gefangenwärtersgehülfe. Die Kellner kriegen doch ein Trinkgeld, wenn die Fremden abreisen, aber von den Gästen in unserem Hôtel kriegt Niemand was.“
Egon gab ihm das Frühstück zurück und erwiderte nichts. Der Bursche verließ das Gemach, und er war wieder allein, allein mit seiner Angst und seinem Kreuz.
Eine Stunde mochte vergangen sein, da klirrte von Neuem der Schlüssel in der Thür. Egon nahm sich nicht die Mühe aufzublicken. Er wußte nicht, was die Uhr war, und glaubte, es sei schon der Bursche mit dem Mittagessen.
„Egon!“ tönte es von der Schwelle her, und es war, als habe ihn der Athem, mit dem das leise Wort gesprochen, niedergeworfen, wie der Windhauch eine Binse niederbeugt. „Ermanne Dich,“ sprach die Stimme wieder, „fasse Dich, wenn ich meinen Entschluß nicht bereuen soll!“
Egon hob unwillkürlich den Kopf, als wolle er sehen, ob es wirklich Adelheid sei, die so sprach. Er wollte ihre Kniee umfassen, sie trat einen Schritt zurück.
„Berühre mich nicht!“ sagte sie. „Wenn Du es wagst, eine Hand nach mir auszustrecken, verlasse ich Dich auf der Stelle!“
Egon erhob sich und starrte Adelheid sprachlos an. Sie erschraken Beide, als sie sich gegenseitig in das Gesicht sahen, solche Verheerungen hatte die Verzweiflung in ihrer Schönheit angerichtet, und Egon rief mit wahrer Reue: „Adelheid, was hab’ ich aus Dir gemacht!“
„Laß es gut sein,“ sagte sie mit der wunderbaren Todesruhe, die sie seit ihrem Eintritt beibehalten, „Du hattest nicht die Macht, mich so elend zu machen, wie ich bin. Beruhige Dich, was mich zerstörte, das warst nicht Du, das war meine eigene Schuld! Nicht Du hast meinen Gatten gemordet, ich hab’ es gethan, mit dem ersten Schritt über die Grenze der Pflicht! Du hattest eine Entschuldigung, denn Du hast mich wenigstens geliebt – ich aber habe keine, denn ich liebte Dich nicht einmal!“
„Adelheid!“ schrie Egon auf, „das ist ein Todesstoß!“
„Höre mich zu Ende,“ sprach sie weiter. „Ich habe in letzter Zeit wie aus einer andern Welt auf die Dinge herabsehen gelernt und da habe ich Mitleid für Dich bekommen, denn Du bist mein Opfer. Ich aber bin das Opfer meiner eigenen Fehler. Nicht Dich, selbst nicht die unnatürlichen Verhältnisse, in denen ich lebte, klage ich an, nur mich, mich allein, und sieh, seit ich dazu die Kraft fand, ist kein Groll gegen Dich mehr in meiner Seele.“
„O Gott, ich dachte nicht, daß ich noch elender werden könnte,“ rief Egon, „und dennoch war es möglich! Wozu kamst Du in meine Zelle, unseliges Weib, um mir das Einzige zu nehmen, was mir noch geblieben, den Glauben an Deine Liebe? Allmächtiger, halt’ ein mit Deinem Zorn; es ist zu viel! Einen Mord begangen, Ehre und Freiheit verloren, das ganze Dasein zerstört, und das Alles um ein Weib, das mich nicht einmal geliebt! O Teufel, schöner verführerischer Teufel! Du sollst Deiner Strafe nicht entgehen, Du sollst nimmer froh werden im Arm eines Anderen, denn der Fluch eines zu Grunde Gerichteten wird Dich verfolgen bis an Dein Ende!“
„O Egon, Dein Fluch ist machtlos!“ sprach Adelheid, „denn ich habe abgeschlossen mit dem Leben und fürchte nichts mehr, weil ich nichts mehr hoffe. Kann einem Vergifteten das Gift, einem Ertrunkenen das Wasser noch etwas anhaben? Willst Du verbrennen, was schon Asche ist? Armer Mann, Dein Fluch ist machtlos.“ Sie schwieg und ihr Auge ruhte mit einem unaussprechlichen Ausdruck auf ihm.
Er schaute sie an, wieder und wieder, und der Anblick war so übermächtig, daß er die Hände faltete und wie im Traume sprach: „O Gott, das Weib ist so schön, ist es denn möglich, daß solch ein Gesicht lügen konnte?“ Er wankte zu seinem Lager und brach zusammen.
Sie trat ihm einen Schritt näher und sagte leise: „Willst Du hören, was ich Dir zu sagen kam?“
„Was willst Du mir noch sagen?“ fragte er. „Ist noch ein Stück meines Herzens übrig, das Du nicht zerfleischt hast? Ist noch Platz da für einen neuen Dolchstoß?“
„Ich bin nicht gekommen um Dich zu quälen,“ sprach Adelheid milde. „Ich habe mich an Deine Ordensbrüder, die Johanniter, gewandt und um Hülfe für Dich gebeten“ – sie hielt einen Augenblick inne, die Lüge wurde ihr schwer, aber sie war nothwendig – „der Orden hat mir sogleich eine Summe von achtzehntausend Francs geschickt, mit welcher Du das Gefängnißpersonal bestechen und Deine Flucht bewerkstelligen sollst.“ Egon sah sie ungläubig an. Sie drückte ihm das Päckchen mit dem Geld in die Hand und fuhr fort: „Dein heutiger Wächter ist begehrlicher als pflichttreu, denn er nahm, als ich ihn bat, uns ungestört zu lassen, ein Goldstück von mir an; halte Dich an diesen und es muß gelingen. Handle rasch. Hast Du erst die leichte Untersuchungshaft mit dem Zuchthaus vertauscht, dann ist es zu spät.“
„Adelheid,“ rief Egon wie betäubt, „das ist alles so plötzlich, so unbegreiflich! Kann ich solch ein Geschenk vom Orden annehmen?“
„Der Orden macht es Dir zur Pflicht, Dich zu befreien,“ fuhr Adelheid in tödtlicher Verlegenheit fort. „Der Orden erklärt, daß er diese Summe nicht um Deinetwillen sende, sondern um der Ehre der ganzen Gemeinschaft willen, die mit Deiner Verurtheilung zum Zuchthaus geschädigt werde. Sie wollen ein Mitglied ihrer Verbindung nicht so tief sinken sehen und befehlen Dir bei Deinem Eid des Gehorsams, daß Du entfliehst.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_323.jpg&oldid=- (Version vom 16.1.2019)