Verschiedene: Die Gartenlaube (1870) | |
|
Egon sah schweigend zu Boden. Er dachte nur daran, daß dieser ehrwürdige Greis ihm die Geliebte stahl, und der Haß kochte neu in ihm auf.
„Und Sie, Herr Baron,“ fuhr Zimmermann lebhaft fort, „wollen Sie den Ihrigen das anthun? Ihre Kinder halten gewiß alle Hände über Sie und geizen ängstlich mit den paar Jahren, die Ihnen noch zugemessen sind, und Sie, – ei – ei, Herr Baron, das ist nicht recht gehandelt. Weiß Gott, mich jammert Ihr Enkel, der liebe feinbesaitete Junge; was würde der sagen, wenn ihm sein Großpapa so hinterrücks wegstürbe?!“
„Ich verstehe Sie nicht – wen meinen Sie?“ fragte der Freiherr überrascht.
„Ach, ja so, Sie werden’s nicht wissen! Denken Sie, Ihr Enkel war gestern bei mir wegen seines verkürzten Beines und wollte sich heimlich von mir operiren lassen, um die Seinen nicht zu ängstigen. Das ist ein seltenes Kind, hören Sie! Und wenn ich Großvater eines solchen Knaben wäre, ich würde nicht eher sterben wollen, als nöthig ist!“
„Der Knabe, von dem Sie zu sprechen scheinen, ist nicht mein Enkel, sondern mein Sohn, lieber Herr!“ sagte der Freiherr erschüttert.
Der Gelehrte starrte den Greis erstaunt und verlegen an. Ein rasches Begreifen überflog plötzlich sein geistvolles Gesicht und unwillkürlich schweifte sein Auge vom Freiherrn zu Egon und von diesem zum Freiherrn.
Der Freiherr aber sagte leise und gelassen zu Feldheim: „Das Urtheil eines Unbefangenen! Meine Herren,“ wandte er sich zu den Uebrigen, „es ist Zeit!“
Todtenstill war es auf dem engen Platz, der Nebel rieselte durch das dichte Laubdach der Kastanien herab, die Blätter hingen naß und schwer an den Zweigen. Eine Bachstelze flog erschreckt zur Seite auf, als beim Spannen der Hahn knackte. Leise gurgelnd schlugen die Wellen des Sees unter der leichten Nebeldecke an das Ufer. Noch einmal suchte das müde Auge des Freiherrn die Ferne, aber es gab für ihn keine Ferne und keine Zukunft mehr, nur noch den engen Fleck Erde, auf dem er stand – und den bangen Augenblick vor dem Schuß.
Der Greis bewegte die Lippen, er betete: „Herr, mein Gott, stärke mich, auf daß ich mit Ehren bestehe oder falle. Herr, mein Gott, sei mir gnädig und vergieb mir, wenn ich irre, dieweil ich glaubte, recht zu thun. Amen!“
Der Candidat trat auf ihn zu und reichte ihm die Pistole. Er nahm sie, Feldheim bemerkte, daß ihm die Hand zitterte, aber Feldheim selbst bebte am ganzen Körper. Das Haar klebte ihm von der Feuchtigkeit in der Stirn, sein Blick war irre und unstät, er sah aus wie ein Schwerkranker.
Der Freiherr legte ihm sanft die Hand auf die Schulter: „Fassung, mein Freund!“
Die Herren waren bereit. Der Candidat begann die Schritte abzuzählen und stieß bei jedem fünften Schritt einen Degen in die Erde, daß der elastische Stahl noch lange nachzitterte, die Barrière war abgemessen. An derselben Stelle, wo Adelheid’s üppige Tiziangestalt vor Feldheim am Baume gelehnt, stand der Freiherr.
Egon trat auf ihn zu und sprach leise und bewegt: „Vergeben Sie mir, ob ich stehe oder falle!“
Der Freiherr aber sagte mit fester Stimme: „In dieser Sache darf nur Gott verzeihen. Sein Urtheil entscheide zwischen uns.“
Egon biß sich auf die Lippen und stellte sich auf seinen Posten, dem Freiherrn gegenüber.
Eine lange Pause entstand. Feldheim gab das Zeichen, die Herren richteten sich. Salten hob das erbleichende Gesicht hoch auf und der ausgestreckte Arm zielte gerade nach dem Kopf des Grafen, aber er schoß nicht, er avancirte, Egon desgleichen. Egon hatte offenbar die Absicht gehabt, dem Freiherrn den ersten Schuß zu lassen und sich nur zu vertheidigen. Jetzt sah er mit innerem Grauen, daß Salten ihm nach dem Leben trachte, und dieses Gefühl mit seinen geheimen Schrecken gab nun auch seiner Waffe eine bestimmtere Richtung. Jetzt erst waren sie Feinde auf Leben und Tod!
Feldheim hing athemlos an den Bewegungen der Beiden. Schritt für Schritt rückten die Feinde gegeneinander vor, die gespannten Blicke auf einander gerichtet. Der Raum zwischen ihren tödtlichen Waffen wurde immer kleiner. Keiner durfte stillstehen, that er es, so mußte er schießen. Aber der Schuß fiel nicht und der Fuß rückte unaufhaltsam dem letzten tödtlichen Ziele näher. Drei – vier Schritte waren gethan – noch nicht genug! Feldheim sah mit Entsetzen, daß die Hand des Freiherrn die sichere Richtung verlor, – noch ein Schritt – der Freiherr setzte den Fuß auf die Barrière – die Schüsse krachten zu gleicher Zeit, eine Wolke von Pulverdampf verdichtete den Nebel.
„Ich wußt’ es ja!“ schrie Feldheim und sprang auf den Platz. Egon stand da wie vernichtet, der Freiherr – lag. Rothe Tropfen flossen ihm aus der Seite und sickerten in den feuchten Boden. Ohne ein Wort, ohne einen Laut neigte er sein Haupt zur Erde. Da brach plötzlich ein wärmender Sonnenstrahl, wonach er sich gesehnt, durch den Nebel und küßte die edle erbleichende Stirn – zu spät, er fühlte und sah es nicht mehr, das brechende Auge war ausdruckslos in’s Leere gerichtet, die Uhr lief langsam ab. Stoßweise immer kürzer werdende Athemzüge hoben noch mechanisch die Brust, die Aerzte nickten sich in traurigem Einverständniß zu, während sie die Wunde untersuchten.
„Er hat’s nicht anders gewollt,“ sagte Egon, als fühle er das Bedürfniß, sich zu rechtfertigen. Feldheim aber warf sich in wildem Schmerz neben den Freiherrn zur Erde und brach in Thränen aus wie ein Kind.
„Kommen Sie,“ sagten die Aerzte, „wir müssen ihn vor allen Dingen nach Hause schaffen, helfen Sie uns.“
Sie trugen den Sterbenden in die Droschke des Arztes. Sie thaten während der langsamen Fahrt alles, was zu thun war. Aber die Kugel war unter dem rechten Arm eingedrungen und durch die Lunge gegangen. Noch bevor das Haus erreicht war, hatte der Greis ausgeathmet und sie hoben eine Leiche aus dem Wagen.
„Still, – nur still,“ gebot der Candidat, „leise auftreten, daß Alfred nichts hört.“
Im Hause war Alles ruhig, es war halb sechs Uhr und die Leute hatten noch nicht ihr Tagewerk begonnen. So stieg der kleine traurige Zug unbemerkt die Treppe hinan bis zu Adelheid’s Zimmer. Der Candidat, der voranging und keinen Arm frei hatte, pochte mit dem Ellbogen an. Es war ein seltsames unheimliches Pochen. Adelheid hatte die ganze Nacht gewacht und geweint und war endlich gegen Morgen angekleidet in einen unruhigen Schlummer gesunken. Da dröhnte das dumpfe Klopfen an ihr Ohr und sie fuhr erschrocken auf. „Was ist’s?“ rief sie und ging nach der Thür.
„Gnädige Frau,“ rief der Candidat, „öffnen Sie so schnell als möglich – Ihr Gemahl –“
Er vollendete nicht. Adelheid drehte mit fliegenden Händen den Schlüssel um – ihr Mann kam zu ihr, nun konnte noch Alles gut werden, sie wollte sich ihm zu Füßen werfen, ihn um Verzeihung bitten, denn sie sehnte sich danach, das schwergekränkte Herz des Gatten zu versöhnen.
Die Thür war offen. Sie trugen ihn schweigend herein. Adelheid fuhr zurück und taumelte mit einem Schrei an die Wand. So kam ihr Gatte zu ihr?!
„Allmächtiger – was ist da geschehen?“
Die Herren legten die Leiche auf das Bett.
„Herr Graf Schorn hat Ihren Gemahl im Duell getödtet!“ sagte der Candidat mit grausamer Klarheit und Kürze.
„Jesus, erbarme Dich meiner!“ kreischte das unglückliche Weib und brach in die Kniee; „das hab’ ich nicht gewollt, das nicht!“
Der Candidat winkte den Herren, sie zogen sich mit ihm zurück und ließen Adelheid bei der Leiche allein: „Gott, mein Gott,“ wimmerte sie in ihrer Todesnoth, „nicht auf mich komme dieses Blut, nicht auf mich! Salten, höre mich, sieh mich an! sage, daß Du mir verzeihst. Ich will ja gut machen, was ich gefehlt, will Dich ja glücklich machen für den Rest Deiner Tage! Ist denn Gott so grausam? Soll ich denn nicht nachholen dürfen, was ich versäumt, soll ich nicht sühnen dürfen, was ich verbrochen, muß ich die Reue durch mein ganzes Leben schleppen ohne Erlösung? Weh’ mir! Dein Mund kann sich nicht mehr aufthun, das Wort der Vergebung zu sprechen – ach, und kein anderer kann es für Dich. Ich bin verdammt auf ewig! O Salten, Gatte, Vater meines Kindes – gütiger, beklagenswerther Mann, jetzt, wo ich abbezahlen will all die Liebe, die ich Dir so lange schuldig bin, jetzt gehst Du dahin und lässest mich zurück mit der
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_258.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2019)