Verschiedene: Die Gartenlaube (1870) | |
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Haupt gebaut, zum Opfer bringen, während jene nicht einmal die Tochter, an der gar nichts hängt, als die Zärtlichkeit der Eltern, hergeben mögen? Wahrlich, diese Stones müssen Dir’s angethan haben, daß Du so vergessen konntest, was Du Deiner Ehre als Mann und als Schweizer schuldig bist! Nun höre, was ich Dir sage: Ich wollte thun, was irgend möglich, ich wollte Dir ganz gegen meinen Wunsch die Heirath mit einer Fremden gestatten, nun aber verbiete ich Dir jede weitere Verbindung mit dem Hause Stones ein- für allemal. Du bleibst hier und nimmst keine Andere zur Frau als eine Schweizerin. Ich will es hindern, da es noch Zeit ist, daß Du Dich und Deine Nationalität an jene Fremden verkaufst!“
„Vater, solche Strenge kannst Du nicht vor Gott verantworten! Auch Du hast nach Deiner Neigung gewählt, auch Du nahmst eine Amerikanerin zur Gattin und ich denke, Du warst glücklich mit meiner Mutter.“
„Ja, das war und bin ich. Aber ich habe sie zur Schweizerin gemacht, nicht sie mich zum Amerikaner, darin liegt der Unterschied!“
„Kann es Dir aber nicht gleichgültig sein, wo ich glücklich und reich werde, wenn ich es nur werde?“
„Nein, denn dann wäre ich nur ein Vater oder ein Speculant, aber kein Staatsbürger. Ich habe noch nicht verlernt, so alt ich bin, neben dem eigenen Vortheil auch den des Vaterlandes im Auge zu haben! Als ich nach Amerika ging, that ich es in seinem Dienst, um seine Interessen dort zu vertreten, und wie mir dies gelungen, das frage jeden Schweizer. Ich vergrößerte dort mein Vermögen und machte eine glänzende Partie, aber Alles, meine Reichthümer, mein Weib, meine Kinder, mit Ausnahme – leider – von Dir, und mein ganzes unverändertes Schweizerherz brachte ich zurück in die Heimath! Du aber –“ Herr Hösli streckte abwehrend die Arme gegen seinen Sohn aus, der ihn unterbrechen wollte, und fuhr in steigender Erregung fort: „Du aber, Du Abtrünniger, willst das Deine von hier mit fort nehmen, Dein Geld, Deine Fähigkeiten, Dein Herz, willst Alles, was Deinem kleinen Vaterlande so sehr zu gute käme, einem Staate anbieten, wo Du nicht mehr bist als ein Tropfen im Meere, willst Dich dort einbürgern und Deine Kinder als Amerikaner erziehen – und ich soll Dir mit warmer Hand Dein Erbe auszahlen, damit nur ja zwischen uns Alles abgethan und Du so schnell als möglich von uns los und ledig seist? Ein Hösli soll seinem Sohne die Mittel geben, damit er desertiren könne aus dem Vaterland? Nein! So wahr ein Gott lebt, der unsere Heimath sichtbar begnadigt hat, so wahr wir Schweizer seit Menschengedenken unsere Kraft, unser Gut und Blut zusammengehalten, wie kein anderes Volk der Erde, so wahr wirst Du nicht länger mein Sohn sein, als Du ein Schweizer bist!“
„Vater!“ schrie Heiri auf.
„Du weißt jetzt, wonach Du Dich zu richten hast – nun geh’ – geh’ an Deine Arbeit!“
Heiri zögerte, er wollte noch etwas sagen, aber ein Blick auf die ausgestreckte Hand, womit sein Vater nach der Thür deutete, belehrte ihn, daß hier keine Widerrede möglich. Mit glühenden Wangen und fiebernden Pulsen eilte er aus dem Zimmer an die Arbeit. Mechanisch gehorchte er dem Befehl und der mächtigen Gewohnheit. Er ging hinüber in die Fabrik.
Mittlerweile hatten die Brüder Martin und Conrad ihren Racheplan gegen Aenny ausgesponnen. Er war heimtückisch genug. Sie suchten Aenny auf und thaten, als sei ihnen beim Vater gar nichts geschehen und als seien sie ihr gar nicht böse. Dann schlugen sie ihr vor, auf dem Speicher der Fabrik Versteckens zu spielen, und Aenny, welche dies Spiel sehr liebte, war sogleich bereit. Sie gingen miteinander auf den großen Speicherraum des Mittelgebäudes über dem Kesselhause und tummelten sich eine Zeit lang umher. Wenn Eines sich versteckte, gingen die Andern hinaus und warteten auf der Treppe, bis der Ruf „Jetzt!“ erscholl. Als aber die Reihe an Aenny war und die Brüder hinaus mußten, schlossen sie die Speicherthür von außen zu und Aenny war gefangen auf unbestimmte Zeit.
Die Knaben steckten den Schlüssel in die Tasche und stahlen sich kichernd fort. Sie hörten noch, wie Aenny mehrmals „Jetzt!“ rief und freuten sich ihres Schreckens, wenn sie entdecken würde, daß sie allein auf dem großen Speicher eingeschlossen sei. Sie gingen zuvörderst hinunter in den Kesselraum. Sie schauten gerne in den feurigen Rachen des schnaubenden Ungethüms. Es war so schauerlich schön. Ihr Bruder Heiri war da. Aber, wie es schien, in einer fürchterlichen Laune. Er befand sich mit dem Wärter in heftigem Streit wegen einer Versäumniß in der Speisung des Kessels, die dieser nicht zugestehen wollte. Beide standen am Kopfende des Generators und untersuchten eine schweißende Stelle. Auf Heiri’s Stirn lag eine dickgeschwollene Ader und als er seine Brüder erblickte, fuhr er sie heftig an: „Macht, daß Ihr fortkommt, auf der Stelle!“
Die Knaben entfernten sich erschrocken über die ungewohnte Strenge des Bruders, und traten einen Spaziergang an, während dessen sie Aennchen da droben „brummen“ lassen wollten.
Als Heiri das Zimmer seines Vaters verlassen, traf Herr Hösli eiligst Anstalten abzureisen. Er wollte nach der unweit gelegenen Stadt Baden, um mit einem dortigen intimen Geschäftsfreund die peinliche Lage der Dinge zu berathen.
Lilly und Alfred waren wieder trocken nach Hause zurückgekehrt und Frau Hösli, welche mit Besorgniß ihres Mannes Aufregung wahrnahm, bat, ihn im Schiff bis Zürich begleiten zu dürfen.
Er willigte ein, und da der Ruderknecht nicht so schnell zu finden war und Herr Hösli durchaus vor Abgang des nächsten Zuges Zürich erreichen wollte, übernahm Frank das Rudern und die Drei fuhren so schnell als möglich nach der Stadt.
Herr Hösli hatte auf der kurzen Fahrt nur Zeit, seiner Frau mit wenigen Worten zu erzählen, was zwischen ihm und seinem Sohne vorgefallen. Sie schüttelte traurig den Kopf: „Ich fürchte, Du warst zu streng; er ist in Amerika geboren, es ist das Vaterland seiner Mutter, kannst Du ihm ein Verbrechen daraus machen, daß ihn die Gewohnheit eines ganzen Lebens dahin zurückzieht? Ich will ihn nicht entschuldigen, daß er seinem Vater so störrisch entgegentritt. Aber es thut mir doch weh, meinen Sohn so schwer darunter leiden zu sehen, daß er die Heimath seiner Mutter liebt!“
Herr Hösli schwieg nachdenklich. Man legte an. Er stieg aus und küßte seine Frau. „Behüt’ Dich Gott!“ sagte er, „mach’, daß Du heimkommst, es liegt so schwer auf mir, als müsse es ein Gewitter geben.“
„Das sind die Sorgen, die auf Dir lasten, der Himmel ist rein!“ erwiderte Frau Hösli und winkte dem Gatten liebevoll.
Er wandte sich und schritt dem Bahnhof zu. Frau Hösli setzte sich wieder in das Schiff und Frank stieß ab. Sein Auge ruhte betrübt auf der Herrin, weil er ihren Kummer sah, und er wagte doch nichts zu sagen. Die Gondel flog rasch dahin von seinen kräftigen Ruderschlägen getrieben. Wie ein bewegliches Panorama drehten sich die grünen Ufer mit den stattlichen Bauten und weiterhin mit den duftigen Gebirgszügen um sie her. Frau Hösli heftete den Blick nach oben. Ja, der Himmel war rein, da trübte kein Wölkchen nah oder fern das azurne Blau. Je weiter die Stadt zurückblieb, desto stiller und einsamer wurde es auf dem See. Die Sonne brannte heiß herab, aber der frische Luftzug, den der dahinfliegende Kahn hervorbrachte, milderte die mittägliche Gluth. Kein Schiff zeigte sich weit und breit, kein Vogel schwirrte vorüber, keine Welle kräuselte sich, ein göttlicher Friede lag über der unabsehbaren Wasserfläche, es war, als sprächen Engel mit ihren Geistesstimmen von dem hochgespannten Firmament herab und die ganze Natur hielte den Athem an, um ihrer wonnevollen Botschaft zu lauschen. Da plötzlich ertönte ein Knall, als berste Erde und Himmel, daß die Lüfte schrieen und der Grund des Sees erzitterte, ein Getös, als zerschmetterten Titanenhände die Felsen der Gebirge ringsum und würfen die gewaltigsten Blöcke durcheinander. Und daher sauste ein schwerer unkenntlicher Gegenstand, etwas wie ein gewaltiges Wurfgeschoß hoch im Bogen über Frau Hösli weg und schlug dicht neben dem Schiff in’s Wasser, daß der Gischt haushoch emporspritzte. „Allmächtiger Gott – da ist der Kessel gesprungen!“ kreischte Frau Hösli und Frank’s schwarzes Gesicht starrte fahl vor Schrecken nach der Richtung, von wo ein fortdauerndes Krachen und Donnern zusammenstürzender Mauern, ein wildes Geheul von Menschenstimmen verkündete, daß etwas Gräßliches geschehen sei.
„Mein Sohn!“ schrie Frau Hösli auf, „mein Sohn – er war in der Fabrik, als wir fortfuhren – mein Sohn!“ schrie sie
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_178.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)