Verschiedene: Die Gartenlaube (1870) | |
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zu sich bringen, und da haben sie den großen Schlauch auf ihn gerichtet, daß ein ganzer See um sie herum war. Der arme Alfred ist so erschrocken und über die Tante ging’s auch noch weg, daß ihr das Grüne von ihren Haubenbändern über das Gesicht lief.“
Herr Hösli ging mit raschen Schritten auf und nieder. „Ruf’ mir die Knaben her, schnell!“ befahl er und Aenny sah, daß seine Stimme nichts Gutes verhieß.
Sie schwenkte das Röckchen triumphirend hin und her, als sie die Brüder im Garten fand. „Ihr sollt zum Vater kommen!“
Die Knaben sahen sich erschrocken an; „’s ist nicht wahr, sie will uns nur bange machen,“ meinte Conrad.
„Nein, nein, ’s ist wahr, Ihr werdet schon sehen,“ sagte Aenny und schmatzte herausfordernd an einem Bonbon, das ihr Lilly aus der Tasche des nassen Kleides gegeben. „Heute giebt’s was, ui!“ sie machte eine äußerst beleidigende Pantomime mit der Hand, „Feigen, aber keine süßen!“
„Aenny,“ drohte Martin, „wenn Du uns wirklich beim Vater verklatscht hast, dann sieh zu, wie Dir’s geht. Diesmal kommst Du, weiß Gott, nicht ungestraft durch.“
„Haha,“ lachte Aenny, „so sagt Ihr immer,“ und das Bonbon splitterte und krachte unter ihren scharfen Zähnchen, daß es eine Freude war.
Die Knaben gingen in’s Haus und streckten vorsichtig den Kopf zu ihres Vaters Thür herein. „Ist’s wahr, daß Du uns gerufen?“
Der aufgeregte Mann winkte ihnen heftig hereinzukommen. „Ja, es ist wahr,“ sagte er, „und es wird schnell abgethan sein. Wenn man sich benimmt wie ungezogene Kinder, so verdient man auch die Strafe ungezogener Kinder.“ Er trat auf die Knaben zu und gab jedem einen scharfen Streich auf die Backe, daß sie hoch aufschwoll. Sie bissen die Zähne zusammen vor Schmerz, aber sie sagten nichts. „Jetzt hinaus!“ herrschte er sie an und sie schlichen still aus dem Zimmer. Diesmal, das schwuren sie sich zu, sollte aber eine ganz besondere Strafe für Aenny ausgedacht werden und wenn sie noch einmal so viel Ohrfeigen dafür bekämen – hier handelte es sich um’s Princip!
Herr Hösli war in der übelsten Stimmung wieder an seine Arbeit gegangen. Er hatte heute von innen und außen her Verdruß gehabt, denn seine ungeheure Geschäftsvergrößerung hatte natürlich die Concurrenz zu Gegenanstrengungen aufgeregt und deren erste war ihm heute bekannt geworden.
Da ging die Thür auf und Heiri trat brennenden Kopfes in großer Aufregung herein. „Vater, darf ich etwas mit Dir reden?“
„Du kommst mir zuvor, ich wollte Dich eben rufen lassen,“ sagte Herr Hösli.
„Nun, das ist gut, also willst Du mich hören?“
Herr Hösli zog die Stirne kraus. „Bei uns ist’s Brauch, daß die Kinder zuerst den Vater hören und dann sprechen.“
„Nun ja, Vater, ich bin aber doch kein kleiner Junge mehr! Meine Angelegenheit ist wichtig genug,“ sagte Heiri ungeduldig. Er konnte es nicht besser anfangen, um seinen Vater gegen sich aufzubringen.
„Du schweigst jetzt und hörst, was ich Dir zu sagen habe!“ herrschte er den Sohn an. Dieser biß die Lippen zusammen und warf sich in einen Stuhl.
„Du weißt, daß Altmurer-Zivy seine Preise herabgesetzt hat?“
„Nun freilich, was weiter?“ warf Heiri gleichgültig hin.
„Ich habe ihm gestern Vorschläge zu einem Cartel gemacht. Heute früh bekomme ich die Antwort: Er lehnt sie ab!“
Heiri strich sich den Bart. „Nun, so erklären wir ihm den Krieg!“ meinte er in leichtfertigem Tone.
„Wenn wir können – ja!“ sagte Hösli und sein Blick ruhte durchbohrend auf dem Sohne. „Träumst Du oder bist Du gedächtnisschwach geworden? Sind alle Zahlenverhältnisse unserer letzten Ausgaben und Einnahmen in Deinem Kopfe verwischt? Doch wozu rede ich! Die Sache ist einfach die: Altmurer-Zivy ist unser mächtigster Concurrent und nicht geschwächt durch außerordentliche Anstrengungen, wie wir es im Augenblick sind. Es muß etwas Ernstes geschehen. Die Nanni Altmurer ist jetzt heirathsfähig. Er hat mir schon einmal angedeutet, Du wärst eine Partie, zu der sich Jeder gratuliren könnte. Du bist im zwanzigsten Jahre, das ist bei uns in der Schweiz alt genug zum Heirathen. Du bewirbst Dich um die Nanni und das giebt eine Allianz zweier Häuser, wie keine prächtigere im Lande geschlossen worden ist.“ –
Heiri erbleichte. „Das ist allerdings gerade das Gegentheil von dem, um was ich Dich zu bitten kam!“
Herr Hösli stutzte. „So, ei! Nun, geh’ nur gleich mit der Sprache heraus, wie Du’s ja ohnehin gewöhnt bist. Aber kurz und bündig, Du weißt, ich liebe keine Umschweife.“
„Nun denn, kurz und bündig. Ich habe hier einen Brief von Stones. Sie rufen mich nach New-York zurück, sie wollen mich zum Compagnon für den Fall, daß Du mir jetzt schon mein Erbe auszahlen wolltest, oder wenn das nicht, zum Director der Maschinenfabrik mit fünftausend Dollars Gehalt und Antheil an der Einnahme. Der Brief ist sehr schmeichelhaft und ich will Dir auch nicht länger verschweigen, daß mein Herz mich zu Stones zieht und daß ich Hoffnung auf Stones’ jüngste Tochter habe.“
„So –!“ sagte Herr Hösli gedehnt. „Und da willst Du ganz zum Maschinenfach übergehen und das Seidengeschäft aufgeben?“
„Ja, Vater, Du weißt, daß ich nur zum Maschinenfach Neigung habe, und ich dächte, es wäre eine wahre Sünde, wenn ich meine Ausbildung in den technischen Fächern nur an die Construction von Webestühlen verschwenden sollte!“
„Und deshalb willst Du Dich für immer in New-York niederlassen und dem Elternhause den Rücken kehren? Ahnst Du nicht, was für eine Herzlosigkeit darin liegt?“
„Vater, ich glaube, uns Allen wird besser sein, wenn ich fort bin. Du bist mir von meiner Rückkehr an nur ein Zuchtmeister gewesen, meine Gewohnheiten waren Euch nicht recht und ich sollte als ein erwachsener Mensch noch erzogen werden wie ein Knabe! Das giebt keine Liebe. Ich bin gewöhnt, zu leben wie ein Gentleman, und hier soll ich fast leben wie ein Bauer. Ihr haltet mich für einen Verschwender, weil ich mir keine Entbehrungen auferlege, deren Nothwendigkeit ich nicht einsehe – und fordert mir von jedem Franc, den ich ausgebe, Rechnung ab! Denkst Du denn wirklich, Vater, ein Mensch, der in den fürstlichen Häusern der amerikanischen und englischen Geldaristokratie groß geworden, könne sich wohl fühlen in einem Elternhause, wo ihm die Gespenster aller Nationalfehler der Heimath, Krämergeist, Unkenntniß aller höheren Lebensbedingungen, Feindschaft gegen jeden das Dasein veredelnden Genuß und an Geiz grenzende Sparsamkeit, den Aufenthalt verbittern?“
Herr Hösli hatte ihm mit auf der Brust gekreuzten Armen zugehört. „Ich verstehe Dich vollkommen. Auch ich kenne das Leben und die Genußsucht der großen Städte Amerikas, ich war, ich dächte, lange genug dort. Du aber, Bursche, bist noch nicht lange genug hier, um über unser Leben und Treiben aburtheilen zu können! Wir sind ein Volk der Arbeit und wollen weiter nichts nach der Mühe des Tages, als unser Auge zu den Firnen unserer Berge zu erheben – das ist die Erholung, die uns Gott gegeben, das ersetzt uns alle Schöpfungen der Kunst, denn es ist eine Welt des Schönen. Strömen nicht alle Völker der bewohnten Erde herbei, um sie zu sehen? Holen sich hier nicht Kranke Genesung, Dichter und Maler ihre unsterblichen Schöpfungen? Können wir nicht mit dem Urbild zufrieden sein, wenn Könige ihre Paläste mit den Abbildern schmücken? Bedürfen wir noch mehr? Daß wir einfach leben, nichts aus Essen und Trinken und äußeren Luxus verwenden, ist nicht Geiz, wie Du meinst, sondern Verachtung des materiellen Genusses. Wir haben wenig Bedürfnisse; Bedürfnißlosigkeit ist aber die sicherste Grundlage des Wohlstandes und der Freiheit – sie ist ein Charakterzug der Schweizer, in unserer Enthaltsamkeit liegt unsere Kraft! Und jeder Einzelne hat die Pflicht, sie seinen Nachkommen anzuerziehen, so bleibt sie dem ganzen Volke erhalten. Sieh unsere Schulen, unsere Krankenhäuser, alle unsere öffentlichen Anstalten. Haben wir da geknausert? Was hat diese Prachtbauten der Barmherzigkeit und Gemeinnützigkeit erstehen lassen? Der Wohlstand und Patriotismus der Bevölkerung. Doch wozu rede ich so lange, Du wirst das Alles erkennen, wenn Du reifer und länger hier eingebürgert bist!“
„So willst Du mich nicht fortlassen, Vater?“
„Konntest Du das im Ernst einen Augenblick glauben? Du hast soeben gehört, daß Du die Altmurer heirathen sollst; Du
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_164.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)