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Seite:Die Gartenlaube (1870) 131.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

für meine Worte. Ich aber kann nicht anders, Sie haben mir zum ersten Male die Lippen geöffnet, ich muß es aussprechen: ich glaube, Sie wären glücklicher, wenn Sie Ihre Pflichten mit mehr Liebe erfüllten. Daß Sie es nicht thun, ist es, was Sie und Ihre Umgebung elend macht! Seit Jahren sehe ich es blutenden Herzens mit an und auch ihr Sohn beginnt es in seinem Gerechtigkeitsgefühl zu ahnen, daß Ihr Gatte, der edle gütige Greis, Alles entbehrt, was solch altes Menschenherz an Zärtlichkeit bedarf. Umgeben von den launischen zänkischen Schwestern, in steter Sorge um sein Kind, hat er Niemanden, der ihm Freude geben könnte, als Sie. Sie sehen es, müssen es sehen – und haben kein Mitleid! Das, gnädige Frau, ist mir ein unlösbarer Widerspruch in Ihrem sonst so wahren Wesen. Ich weiß wohl, Sie können Herrn von Salten nicht als Gattin lieben – und er fordert das auch sicher nicht. Ein kleiner Theil des Wohlwollens, womit Sie mich und Andere beglücken, würde dem anspruchslosen Greis Wohlthat sein. – Nennen Sie mich nicht undankbar, daß ich Ihre Güte mit solch bitterer Wahrheit lohne, aber eben das Glück, was ich in Ihrer beseligenden Annäherung empfand, ließ mir den communistischen Spruch schwer auf die Seele fallen: ‚Keiner hat ein Recht auf Ueberfluß, so lange noch Einem das Nöthigste fehlt.‘ Ich würde an meinem edeln Herrn zum Räuber, wenn ich den Reichthum, den Sie mir bieten, hinnähme, während er, welcher das erste und heiligste Recht an Sie hat, das Nöthigste entbehrt. Ist es nicht meine Pflicht, Ihnen zuzurufen: ‚Geben Sie zuerst ihm, was ihm gehört, und mir – was übrig bleibt!‘?“

Er schöpfte Athem, als habe er die schwerste Arbeit vollbracht. Adelheid hatte die Stirn an den Baum gedrückt und schwieg. Der Candidat raffte Mappe und Zeichnungen zusammen und sagte leise: „Man wird uns zu Hause vermissen, gnädige Frau!“

Sie winkte ihm stumm mit der Hand sich zu entfernen, er schritt gesenkten Hauptes durch das Gebüsch. Wie eingewurzelt blieb er stehen, der Baron und Wika traten ihm entgegen. Auf der Stirn des alten Herrn malte sich eine matte Röthe der Scham und er streckte in unverkennbarer Bewegung dem Candidaten beide Hände hin, als wolle er damit eine große stumme Abbitte thun für eine Beleidigung, von der Feldheim erst durch die Abbitte eine Ahnung bekam.

Beide Männer standen sich einen Augenblick schweigend gegenüber und hielten sich fest bei den Händen in warmem unausgesprochenem Entgegenkommen. Wika unterbrach die Pause: „Wir wollten Sie zum Essen holen, Herr Candidat, fanden Sie aber so im Gespräch vertieft, daß wir nicht zu stören wagten.“

„Kommen Sie, mein lieber Feldheim!“ sagte der Freiherr und legte im Weitergehen seinen Arm in den des Candidaten. Adelheid hatte sich indeß gesammelt und trat aus dem Dickicht hervor mit glühenden Wangen und gesenkten Wimpern.

„Na, Frau Schwägerin,“ höhnte Wika und wollte sich gleichfalls auf deren Arm stützen „Sie müssen vor der Hand doch noch mit der zänkischen Schwester vorlieb nehmen!“

Adelheid löste mit einer fast königlichen Geberde ihren Arm vom dem Wika’s: „Ich bitte, führe Dich an dem, welchen Du hierher geschleppt, um mich zu belauschen, Verrätherin! Ich habe nichts mehr mit Dir gemein, als den Namen, der mein Fluch geworden!“

„Sieh, sieh einmal,“ grinste Wika, die wieder ganz in ihrem Elemente war. „Die Frau Schwägerin sind ja gewaltig stolz geworden, seit Sie erfahren haben, daß Sie gar aus der Sonne abstammen! Freilich, freilich, solch schöne Complimente können wir anderen ‚Staubgeborenen‘ nicht machen. Ich werde aber Deinen Freunden schreiben, daß man die Briefe an Dich nicht mehr ‚Ihro Hochwohlgeboren‘ – sondern ‚Ihro Hochsonnengeboren‘ adressirt.“

„Wika,“ rief Adelheid außer sich, „bei Euch müßte ein Engel zum Teufel werden! Was ich auch je gefehlt haben mag, tausendfach ist es gebüßt in der Geduld, mit der ich Eure Bosheit ertrug. Hier aber, Wika, ist die Grenze dessen, was ich aushalten kann. Das, was Du in dieser Stunde gehört, laß aus dem Bereich Deiner Quälereien, das bringe nicht mit einem Worte mehr über Deine Lippen – oder ich thue endlich, was ich bisher stets verschmäht, ich suche Schutz gegen Dich bei meinem Gatten.“

Wika erschrak. Es war das erste Mal, daß Adelheid drohte, ihren Mann zu Hülfe zu rufen, und Wika wußte, daß der Freiherr nichts unerbittlicher verurtheilte als Bosheit. Sie schwieg und trippelte athemlos und blinzelnd neben Adelheid her, die so unbelästigt und ungeblendet in dem Brand der lachenden Sonne dahin schritt, als wäre sie wirklich von verwandtem Element.

Der Freiherr war mit Feldheim weit voraus. Er führte sich immer noch an dem jungen Mann und Beide sprachen ernst und angelegentlich miteinander. Sie traten in das Haus, ohne die Damen abzuwarten, und als diese endlich nachkamen, ging Adelheid sogleich auf ihr Zimmer und schloß sich ein. Sie zuckte zusammen, als sie an den Tisch trat, denn da lag ein Brief Egon’s an sie! Mit zitternder Hand erbrach sie ihn, die Photographie eines schönen Mannes fiel ihr daraus entgegen! Sein Bild in diesem Augenblick! Sie war tief erschüttert. Sie warf sich auf die Kniee und erhob wie vor einem Altar flehend die Hände: „Vergieb, vergieb, Egon!“ rief es in ihrer Seele. „An Dein Herz flüchte ich mich zurück – Du, Du nur bist die Liebe, die immer gleiche, die wahre! O Egon, mein Egon – vergieb, vergieb!“ Und sie brach in einen Strom heißer bitterer Reuethränen aus und küßte das Bild, und drückte es an ihren Busen, als wollte sie an dem Bilde gut machen, was sie an dem verbrochen, den es darstellte! –

„Nun?“ fragte im Corridor unten Bella die zornige, schwitzende Wika mit gespannter Erwartung.

„Nichts war’s,“ keuchte Wika, „wir haben sie zu früh aufgescheucht. Sie sind noch nicht so weit mit einander, wie wir es dachten. Hätten wir nur vierzehn Tage länger gewartet, da wäre die Frucht reifer gewesen!“

„Nun,“ meinte Bella mit gefalteten Händen, „so können wir uns wenigstens sagen, daß wir das Seelenheil dieser beiden jungen Verirrten gerettet haben, ohne sie zu vernichten. Sie sind jetzt gewarnt und werden –“

„Ach, geh’ mir mit Deinen Dummheiten,“ fuhr Wika sie an; „was kümmert mich der Adelheid ihr Seelenheil! Den Candidaten will ich aus dem Hause bringen, und nun sitzt er fester als je!“

„O Wika – er ist doch ein Diener Gottes – sei nicht so hart gegen ihn!“

„Ja, nimm ihn auch noch in Schutz! In meine Ohren hab’ ich’s hineingehört, wie er uns zänkische alte Jungfern genannt hat, die dem Alten das Leben verbittern; ein sauberer Diener Gottes das! Ich will’s ihm eintränken, wart nur!“

Da kam Adelheid aus ihrem Zimmer herunter, einen eingelegten Brief Egon’s an ihren Mann in der Hand. Eine gewaltsam unterdrückte Bewegung verrieth sich noch immer, und ihre Augen leuchteten fieberhaft unter den langen Wimpern hervor.

„Ich habe einen Brief von Vetter Schorn,“ warf sie mit gleichgültig sein sollender Miene hin, „er will uns mit meinem Neffen Victor in drei Wochen besuchen.“

„Egon? willkommen!“ rief der Freiherr, der soeben aus seinem Zimmer trat und die letzten Worte gehört hatte. „Ei, das ist ja sehr schön!“

„Du hast doch nichts dagegen, daß er meiner Schwester Sohn mitbringt?“ fragte Adelheid, als wäre dies die Hauptsache an dem Ereigniß.

„Wenn es Dich freut, meine Adelheid – so ist er mir tausendmal willkommen. Victor wird auch ein prächtiger Gefährte für unsern Alfred sein, die Knaben sind ja fast in einem Alter,“ rief der alte Herr und führte Adelheid in das Speisezimmer, wo Feldheim mit Alfred und Lilly wartete.

„Wie gut Du bist!“ flüsterte Adelheid und sah scheu von ihm zu dem Candidaten hinüber, dessen Auge fest und ruhig wie je auf sie gerichtet war. Sie neigte ihr flammendes Gesicht dem Gatten zu und noch einmal streifte ihr Blick den Candidaten.

„Meine Adelheid,“ sagte der Freiherr und zog ihren Kopf an seine Brust. „Mein Weib“ – er hielt inne und verbesserte sich leise, „mein Kind, mein schönes gutes Kind, lege Dich und alles, was Dich drückt, an dies alte Herz – und denke, es sei das Deines Vaters!“ Er wischte eine Thräne ab, die voll in seinen weißen Wimpern perlte, und trat zum Tisch. „Setzen Sie sich heute hierher neben mich, Herr Candidat,“ sagte er und drückte mit seiner blutlosen Hand die pulsirende Rechte des jungen Mannes.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_131.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)